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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.08.2005 06:00

Interview mit Nobelpreisträger Richard R. Ernst
Mit Wissen und Vertrauen gegen Angst

Unter dem Titel „Fear and Anxiety“ veranstaltete die ETH aus Anlass des Dalai-Lama-Besuchs in der Schweiz Anfang August 2005 ein Symposium (ETH Life berichtete(1)). Zu einer Konfrontation von buddhistischer Weisheit und Wissenschaft kam es dabei kaum. Richard R. Ernst sagt, weshalb ihm dies auch nicht wichtig war.

Interview: Peter Rüegg

Herr Ernst, das Symposium „Fear and Anxiety“ vom 4. August 2005 brachte westliche Wissenschaft und östliche Weltanschauung zusammen, ohne dass es zu einer direkten Auseinandersetzung gekommen wäre. Täuscht dieser Eindruck?

Ernst: Das Symposium hat aus Anlass des Dalai-Lama-Besuchs stattgefunden. Diego Hangartner, ETH-Absolvent und Mitverantwortlicher für den Dalai-Lama-Besuch in der Schweiz, ist mit der Idee eines Symposiums auf mich zugekommen, in Anlehnung an die erfolgreichen Mind & Life-Conferences in Dharamsala. Das Thema „Angst“, oder auf Englisch „Fear and Anxiety“, hat sich dank seiner Aktualität rasch herauskristallisiert. Zur Angstbewältigung, so dachten wir, könnten alle, insbesondere auch der Dalai Lama als Vertreter des Buddhismus, etwas beitragen. Die Konfrontation von Buddhismus und westlicher Wissenschaft war nicht das vordergründige Ziel der Veranstaltung.

Der Dalai Lama hat den Dialog gelobt als Mittel für ein besseres, friedvolleres Zusammenleben. Was hat uns die Veranstaltung aus Ihrer Sicht mit auf den Weg gegeben?

Unser Symposium hat verschiedene Ansätze zur Angstbewältigung aufgezeigt. Erkenntnis der Ursachen und Verständnis der Zusammenhänge sind dabei entscheidend. Zentral sind die Stärkung des Selbstbewusstseins und die Reflexion über sich selbst. Jeder hat mit der Arbeit an sich selbst zu beginnen. Hier gibt es wenig Grenzen, um zu einem glücklicheren, weniger durch Angst getriebenen Leben zu kommen.

Dies wissen westliche Psychologen wie Arno Gruen, Jürgen Margraf und Eugen Drewermann sehr gut. Doch ebenso ist dies zentraler Inhalt der buddhistischen Lehre, wie dies Matthieu Ricard und der Dalai Lama ausgedrückt haben. Hier treffen sich also in der Tat westliche und östliche Erkenntnis, was die Angstbewältigung betrifft. Viele Wege können zu einem glücklicheren Dasein führen.

Buddhistische Meditation ist ein erfolgversprechender Weg, doch es gibt viele weitere Möglichkeiten, das innere Gleichgewicht zu finden, auch Aktivitäten ganz innerhalb der westlichen Kultur. Um nur eine zu erwähnen: Die intensive Beschäftigung mit Musik kann ausserordentlich positiv wirken. Nicht ohne Grund wurde das Symposium mit Musik von Mozart begonnen.

Was können die Erkenntnisse aus dem Symposium zur Beseitigung von Ängsten beitragen?

Anlässe wie das interkulturelle und interdisziplinäre Symposium „Fear and Anxiety“ dienen primär der Motivation, dem Öffnen der Augen und Ohren. Die eigentliche Arbeit muss anschliessend jeder und jede selber leisten, sei es durch Literaturstudium oder durch den Besuch von Kursen mit aktiver Beteiligung. Es ist auch heilsam, im privaten Kreis, zu zweit, zu dritt, über die im Symposium aufgeworfenen und über weitergehende Fragen zu diskutieren. Eine solche Diskussion kommt in unserem sachbezogenen Studium und in unserer naturwissenschaftlichen Forschungsarbeit eindeutig zu kurz. Doch ohne Reflexion über unsere existentiellen und kulturellen Grundlagen ist eine Ausbildung zu einem verantwortlichen Mitbürger auch an einer technischen Universität unmöglich. Dieser Anlass war somit eine Gelegenheit, um zur Schliessung dieser Bildungslücke beizutragen. Der notwendige Zeitaufwand für solche Aktivitäten hält sich in Grenzen, wichtiger ist eine Änderung der Grundhaltung.


Prof. Richard R. Ernst hat den Dalai-Lama-Besuch an der ETH Zürich eingefädelt. gross

Im Wissenschaftsbetrieb sind zahlreiche Ängste auszuloten. Konkurrenzangst, Furcht vor Imageverlust bis hin zur Prüfungsangst. Könnte die Wissenschaft vom Buddhismus profitieren?

Ängste sind Teil des Lebens. Sie können auch motivierend wirken. Ungewohnte, neue Situationen erwecken stets Ängste. Die Frage ist, wie man diese bewältigt. Wenn jemand vor Prüfungen steht, kann buddhistische Gelassenheit nützlich sein. Nur kann man diese nicht wie eine Pille gegen Angst schlucken. Sie kann nur durch harte Arbeit erworben werden. Im Hallenstadion zu sitzen und den Worten des Dalai Lama zu lauschen, genügt zwar noch nicht, doch ein solches Erlebnis kann motivieren, an sich weiterzuarbeiten und Gefühle wie Angst in den Griff zu kriegen.

Das Wissenschaftssystem ist aber sehr kompetitiv. Haben da die Ansichten des Buddhismus – Mitgefühl zum Beispiel - überhaupt Platz?

Konstruktive Konkurrenz gehört zur Wissenschaft. Eine offene, freundschaftliche Atmosphäre kann sehr stimulierend wirken. In den USA habe ich ein solches Klima erlebt, bei welchem nicht der Neid im Vordergrund stand. Allerdings musste man dabei auch etwas leisten. Als ich dann nach fünf Jahren USA in die Schweiz zurück kam, erlitt ich nach einem Jahr einen Nervenzusammenbruch. Nicht der Leistungsdruck brachte mich soweit, sondern der verbreitete Argwohn.

Was hat denn der Buddhismus bei der Angst und deren Bewältigung unserer Sichtweise voraus?

Wir investieren in Versicherungspolicen und kaufen uns teure, oft unwirksame Alarmanlagen. Erfahrene Buddhisten reagieren auf Ängste durch eine Änderung der inneren Einstellung und erlernen sich Gelassenheit angesichts undefinierter Gefahren.

Wie baut man persönlich Ängste ab?

Schon am Symposium habe ich Mahatma Gandhi zitiert: Jeder muss selbst die Änderung sein, die er in der Welt sehen möchte. Vielleicht macht das eigene Beispiel Schule. Es braucht zuerst Urvertrauen in sich selbst. Aber auch entgegengebrachtes Vertrauen einer Gemeinschaft, in welcher man sich aufgehoben fühlt, hilft.


Wenn buddhistische Mönche Naturwissenschaften studieren

Das Projekt Science meets Dharma (2) soll eine Brücke zwischen westlicher Wissenschaft und tibetischem Buddhismus schlagen. Im Auftrag des Dalai Lama erhalten seit vier Jahren Nonnen und Mönche in Klöstern im indischen Exil Einblick in die wissenschaftliche Denkart. Zur Zeit unterrichten im Rahmen von Science meets Dharma europäische Lehrer in vier Klöstern in Südindien Physik, Chemie, Biologie, Geographie und Englisch. Überdies schliessen vier Mönche im Tibet-Institut Rikon in diesem Jahr eine Ausbildung in naturwissenschaflichen Fächern ab und gehen zurück nach Indien. (3)




Fussnoten:
(1) vgl. „ETH Life“-Bericht Ozean der Weisheit trifft Wissenschaft: www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/dalailama.html
(2) vgl. „ETH Life“-Bericht Interkultureller Brückenschlag www.ethlife.ethz.ch/articles/SciencemeetsDhar.html
(3) www.sciencemeetsdharma.org



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