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Rubrik: Tagesberichte |
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Interview mit dem Computerwissenschaftler Ivan Havel Was Metaphern bewirken |
Welche Rolle spielen Metaphern in der Wissenschaft und wie wirken sie auf den Erkenntnisprozess? Mit diesen Fragen beschäftigten sich dreissig Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Tschechien, Deutschland, Holland und der Schweiz am traditionellen „Villa-Lanna-Workshop“ im Januar in Prag. Mitveranstalter dieses exklusiven interdisziplinären Gedankenaustausches, der seit 1999 jedes Jahr im Januar in der Villa Lanna in Prag stattfindet, ist Ivan Havel, der Bruder des ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten. Im Interview mit ETH Life schildert der Computerwissenschaftler seine Eindrücke des Workshops. Interview: Rolf Probala ETH Life : Herr Havel, was haben Sie am Lanna-Workshop über die Rolle von Metaphern in der Wissenschaft erfahren? Ivan Havel: Der Workshop mit Forscherinnen und Forschern aus den verschiedensten Disziplinen war für mich äusserst anregend. Als Wissenschaftler interessiert mich ganz besonders, was geschieht, wenn eine Metapher in einem völlig anderen Wissensgebiet, als jenem, aus dem sie stammt, verwendet wird. Wirkt sie kreativ? Öffnet sie eine neue Sicht auf das Thema? Bringt sie uns auf neue Ideen? Oder behindert sie den Erkenntnisprozess? Wie wirken Metaphern in den Naturwissenschaften? Diese Frage interessiert mich ganz besonders. Und, sind Metaphern im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess hilfreich oder eher hinderlich? Je nachdem, einige sind kreativ, andere haben historische Wurzeln und sind nun einmal da. Beispielsweise die Metapher, die unser Gehirn als Kamera oder als Computer beschreibt. Sie ist in mancher Hinsicht fraglich, aber sie war für den Erkenntnisprozess äusserst hilfreich. Oder die Metapher vom Speicher. Zuerst wurde das Bild vom Speicher zur Beschreibung des menschlichen Gedächtnisses verwendet. Danach fand es auch Eingang in die Computerwissenschaft. Und jetzt holen Physiologen wiederum Metaphern aus der Informatikwissenschaft, um die Funktionsweise unseres Gehirns zu beschreiben. Sie sehen, so wandern Metaphern zwischen den Wissensgebieten hin und her.
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Der Gebrauch von Metaphern birgt auch Gefahren. Wo sehen Sie diese? Gefährlich wird es dann, wenn eine Metapher wörtlich, als Beschreibung der Realität genommen wird. Ich weiss nicht, was den Mathematiker Claude Shannon (den Vater der Informationstheorie, die Red.) bewog, für seine Theorie den Begriff „Information“ zu verwenden. Vielleicht benutzte er ihn als Metapher, denn in seiner Theorie steht „Information“ nicht für „Inhalt“ oder „Wissen und Erkenntnis“. Es besteht nun ein gewisses Risiko, dass man den Begriff „Information“ in Shannons Theorie wörtlich nimmt und damit auch „Inhalt“ verbindet, was nicht zutrifft. Auf der andern Seite wirkt die Metapher „Information“ in Shannons Theorie aber enorm kreativ, weil sie darauf hinweist, dass meine Möglichkeit, etwas Neues zu verstehen, davon abhängt, was ich darüber schon weiss. Die Wissenschaft braucht Sprachbilder. Gäbe es ohne Metaphern auch keine Wissenschaft? Ohne Metaphern gäbe es keine Sprache. In der Wissenschaft finden wir Metaphern vor allem in Gebieten, die sich mit Dingen ausserhalb unserer täglichen Erfahrung beschäftigen; also Phänomenen aus der Makro- und der Mikrowelt. Wenn ein Astrophysiker vom Zusammenstoss der Galaxien spricht, dann verwendet er offensichtlich eine Metapher. Aber nach einiger Zeit geht die metaphorische Wurzel vergessen und das Bild wird zum eigenständigen Begriff. Es gibt Ausnahmen, vor allem in der Mathematik und Physik. Dort verwenden Wissenschaftler für ihre neuen Konzepte Begriffe ohne jeden metaphorischen Bezug. So sprechen Physiker beispielsweise vom „ Charme“ oder von den „Farben“ der Quarks. Die Begriffe klingen elegant und angenehm. Sie lassen sich leicht verwenden und im Gedächtnis behalten. Aber sie sind lediglich Bezeichnungen und sagen nichts aus über die Quarks. Auch in der Mathematik finden sich viele solche Begriffe für abstrakte und komplexe Theorien und Verfahren. Nächstes Jahr findet der „Villa-Lanna-Workshop“ zum zehnten Mal statt. Wie sehen Sie die Zukunft dieser interdisziplinären Denkwerkstatt? So wie es aussieht, ist die Finanzierung für die nächsten drei Jahre gesichert. Und ich bin zuversichtlich, dass wir den „Villa-Lanna-Workshop“ auch darüber hinaus weiterführen können. Am zehnten Treffen im Januar 2008 werden wir uns voraussichtlich mit der Frage der Reproduzierbarkeit in Wissenschaft und Kunst beschäftigen. Und für 2009 haben wir uns das Thema „Die anthropozentrische Orientierung der Wissenschaft“ vorgenommen. Für mich sind diese Workshops mit der kleinen Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den verschiedenen Ländern und Fachgebieten und die intensiven Diskussionen enorm inspirierend. |
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Literaturhinweise:
Fussnoten:
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