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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 27.11.2001 06:00

Fragen zur Interpretation der Freisetzungsanforderungen durch das BUWAL
BUWAL: fehlende Kompetenzen

Am 20. November hat das BUWAL das Gesuch der ETH Zürich um eine Bewilligung eines Freisetzungsversuchs mit gentechnisch verändertem KP4-Weizen abgewiesen. Der Entscheid ist bei Wissenschaftlerinnen und Forschern aus den Biowissenschaften auf Unverständnis und Ablehnung gestossen, da die Begründung wissenschaftlich nicht nachzuvollziehen sei. Ausführungen des ETH-Wissenschaftsforschers Alessandro Maranta.

Von Alessandro Maranta

Die wissenschaftliche Beurteilung von Gesuchen zu Freisetzungsversuchen obliegt primär der Eidgenössischen Fachkommission für biologische Sicherheit (EFBS). Das BUWAL hat aber nicht allein eine wissenschaftliche Beurteilung vorzunehmen, sondern muss seinen Entscheid aufgrund des vollständigen rechtserheblichen Sachverhaltes fällen. Das heisst, dass die Stellungnahme durch das BUWAL nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch rechtlichen Anforderungen genügen muss.

Diese Anforderungen werden letztlich vom Parlament formuliert. Dieses soll öffentliche Anliegen so zum Ausdruck zu bringen, dass die erlassenen Normen für alle verbindlich angewendet werden können. Es ist also weder die Aufgabe der ETH noch diejenige von BUWAL, Greenpeace oder des WWF sondern des demokratisch-parlamentarischen Prozesses die entsprechenden Normen und Kriterien zu bestimmen.

Berufung auf Gesetz, das nicht in Kraft ist

In der Verfügung und stärker noch in der Rede von BUWAL-Direktor Philippe Roch wird auf die fortgeschrittenen parlamentarische Debatte im Gentechnikrecht (vormals Gen-Lex, jetzt Gentechnikgesetz) verwiesen, die angeblich die härteren Auflagen an das Gesuch begründen(2) Namentlich wird auf den Artikel 6 "Schutz von Mensch, Umwelt und biologischer Vielfalt" des Gentechnikgesetzentwurfes des Ständerates aufmerksam gemacht. Mit Verweis auf die im Ständerat geführte Debatte wird die politische Dimension dieses Entscheids hervorgehoben. Dabei wird insbesondere die Verwendung von Antibiotika-Resistenzgenen als ein massgeblicher Grund für die Ablehnung angeführt.

alessandro maranta
Stellt in Frage, dass das BUWAL dem Geist des Ständerats folgt: ETH-Wissenschaftsforscher Alessandro Maranta.

Zunächst ist es schleierhaft, warum ein noch nicht in Kraft getretenes Gesetz, das erst in einer Kammer behandelt wurde, als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden kann, wenn seit August 1999 mit der Freisetzungsverordnung eine ausreichende Gesetzesgrundlage vorliegt.

Zweitens erstreckt sich der Geltungsbereich des Kriterienkatalogs für eine Bewilligung in Absatz 2 sowohl auf die Freisetzung im Versuch als auch auf die kommerzielle Inverkehrbringung. Da für Forschung und Vermarktung sinnvollerweise unterschiedlich hohe Hürden bestehen, sieht Absatz 3 für Forschungszwecke Erleichterungen vor, wenn sie zu neuen Erkenntnissen bezüglich der ökologischen Bewilligungskriterien führen. Diese Kriterien entsprechen bis auf das Verbot von Antibiotikaresistenzen und einer Generalklausel inhaltlich den Bewilligungsvoraussetzungen in Artikel 8 Absatz 1 der geltenden Freisetzungsverordnung.


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christof sautter
Die Reaktion des BUWAL auf sein Freisetzungsgesuch löste unter Forschern einen mittleren Sturm der Entrüstung aus: ETH-Pflanzenwissenschaftler Christof Sautter. gross

Gesetzentwurf fragwürdig gedeutet

Welchen Status hat dann allenfalls das Verbot von Antibiotikaresistenzen für den Freisetzungsversuch in Lindau? Dieser Versuch diente der Grundlagenforschung; jedoch nicht mit dem ausschliesslichen Ziel, die ökologischen Risiken zu erforschen. Sollte einzig derlei Risikoforschung zugelassen werden, wie dies das BUWAL nahelegt, dann würde der Versuch als Grundlagenforschung zwischen Stuhl und Bank fallen.

Andererseits ist diese enge Interpretation des BUWAL fragwürdig, da jegliche Risikoforschung auf die Erkenntnis der ökologischen Zusammenhänge angewiesen ist. Erst diese Einsichten erlauben es, spezifische Fragen nach der Eintrittswahrscheinlichkeit und dem Schadensausmass im Sinne der Risikoforschung zu stellen. Selbst wenn das Gentechnikgesetz gemäss des Entwurfs des Ständerates bereits in Kraft wäre, könnte die Interpretation des BUWAL nicht nur wissenschaftlich, sondern auch rechtlich kritisiert werden.

Religiöser Minderheitenschutz?

Gemäss BUWAL-Direktor Philippe Roch hat sein Bundesamt eine "globale Sicht und Verantwortung": "Wir müssen in unsere Entscheidung politische Überlegungen mit einfliessen lassen."(3) Doch der Ständerat wollte mit dem Artikel 6 gerade solchen politischen Überlegungen enge Grenzen setzen. Die ursprünglich im Gen-Lex Entwurf enthaltene Generalklausel, dass Bewilligungen verweigert werden können, wenn überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, wurde entgegen einem Minderheitsantrag nicht ins Gesetz aufgenommen.

Ständerat David Eugen erläuterte pointiert: Worum es beim Minderheitsantrag gehe, sei die Frage, "was im Zusammenhang mit diesem Gesetz an öffentlichen Interessen von Bedeutung ist". Er betonte, dass alle rechtlich relevanten Sachverhalte, allein die "Gefährdungen von Mensch und Umwelt und der biologischen Vielfalt" betreffen. Der Tatbestand der überwiegenden öffentlichen Interessen, der mit dem Minderheitsantrag eingebracht worden wäre, würde dagegen die Rechtssicherheit gefährden.

Ständerat Gian-Reto Plattner legte in der Debatte den Kern des Problems unmissverständlich offen: "Geht es in diesem Gesetz um den Schutz von Mensch, umweltbiologischer Vielfalt und nachhaltiger Nutzung der schweizerischen Fläche? Oder geht es noch um religiösen Minderheitenschutz, um den Schutz der Kaffeebauern in Brasilien oder um viele andere Interessen, die man noch einbringen könnte?"(4)

Buwal: kein politischer Weichensteller

Diese Debatte im Ständerat macht deutlich, dass einer ausgedehnten politischen Beurteilung, wie sie das BUWAL vorgenommen hat, vom Ständerat enge Grenzen gesetzt werden sollten. Wenn daher WWF, Greenpeace oder ProNatura den Entscheid als wichtige forschungs- und agrarpolitische Weichenstellung begrüssen,(5) dann schreiben sie dem BUWAL eine Kompetenz zu, welche diesem aufgrund der Rechtslage nicht zukommt. Tatsächlich wäre das Parlament massgeblich; aber es muss auch verstanden werden.


Fussnoten:
(1) Lic. phil. Alessandro Maranta ist Assistent an der Professur für Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftsforschung, ETH Zürich. Weitere Informationen zu seiner Forschung finden Sie unter www.wiss.ethz.ch/maranta
(2) Siehe die Mitteilung des BUWALs mit weiterführenden Links auf www.umwelt-schweiz.ch/buwal/de/medien/presse/artikel/20011120
(3) Zitat aus "Versuchsantrag der ETHZ abgelehnt", NZZ, vom 21. November 2001, Seite 13.
(4) Amtliches Bulletin der Bundesversammlung 2001 S 313f.; einzusehen auf: www.parlament.ch/ab/data/d/s/4608
(5) Vgl. etwa die Pressemitteilung auf www.wwf.ch



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