ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 04.03.2004 06:00

Gentech-Weizen: Wer ist Christof Sautter?
„Winkelried der Genforschung“

Das ETH-Gesuch für einen Freilandversuch mit gentechnisch verändertem Weizen beschäftigt seit Oktober 1999 die Schweizer Politik. Die Fronten sind verhärtet: Auf der einen Seite kämpfen Umweltaktivisten gegen das Experiment, auf der anderen Seite steht das ETH-Institut für Pflanzenwissenschaften, welches die Forschungsarbeit am KP4-Weizen mit diesem letzten Versuch abschliessen möchte. Der Freilandversuch, das ist Christof Sautter (1). Keine andere Person wird so stark mit dem Experiment in Verbindung gebracht, wie der 57-jährige Biologe. Ein Porträt.

Von Michael Breu

Nun also soll Tübingen „Stadt der Wissenschaft“ werden. Zumindest hat sich die Kommune im Bundesland Baden-Württemberg für die Endrunde nominiert und hat beste Chancen, den Wettbewerb des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft zu gewinnen. Weshalb dies so ist, sagt die aktuelle, populäre Version der Stadtchronik; darin heisst es: „Das folgenschwerste und bedeutsamste Ereignis in der Geschichte Tübingens war die 1477 geschehene Gründung der Universität durch Graf Eberhard im Bart in der damals etwa dreitausend Einwohner zählenden Stadt.“ Die Hohe Schule habe den Bedenken getrotzt und dank guter wirtschaftlicher und personeller Ausstattung rasch grosses Ansehen erworben. Die Theologen Biel und Summenhard unterrichteten dort, die Juristen Uranius-Prenniger und Naukler-Vergenhans, die Humanisten Reuchlin und Bebel, der spätere Reformator Melanchthon oder der berühmte Mathematiker und Astronom Stöffler. Auch die Fuchsie, eine üppig wachsende, bei Hobbygärtnern beliebte Kübelpflanze, hat ihren Namen von einem Tübinger, dem Botaniker Leonhard Fuchs.

Hier, in der Stadt der Humanisten und Reformatoren, hier ist Christof Sautter am 14. September 1946 geboren und aufgewachsen, zuerst in der Altstadt, später am Rande Tübingens. Die Grosseltern führten eine Wagnerei, sein Vater ein Geschäft für Kinderausstattungen. Und weil der Vater ursprünglich Buchhändler lernte, wurde Kultur im Hause Sautter hoch gehalten.

Acht Quadratmeter: Auf diesem Feld will ETH-Forscher Christof Sautter gentechnisch veränderten KP4-Weizen anpflanzen. Vor einem Jahr wurde die Versuchsanlage in Lindau von Umweltaktivisten zerstört. gross

Heute ist Christof Sautter Privatdozent an der ETH Zürich, ein stiller Schaffer, der nie öffentliche Auftritte gesucht hat. Und schon gar nicht die Presse. Dennoch hat er in den letzten dreieinhalb Jahren mehr Interviews gegeben als andere ETH-Forscher. Grund dafür ist sein Gesuch für einen Freilandversuch mit gentechnisch verändertem Weizen (2), für den er sich seit Oktober 1999 einsetzt. Dieses hartnäckige Engagement hat ihm vor zwei Jahren den Titel „Winkelried der Genforschung“ eingebracht, als die Sonntags-Zeitung den Biologen auf Platz 46 der „Köpfe des Jahres 2002“ setzte – vor den Bundesräten Joseph Deiss und Ruth Metzler, vor dem Nochnicht-Bundesrat Hans-Rudolf Merz und vor Nestlé-Chef Peter Brabeck.

Vergilbt: Fragen an die Zukunft

Aus dem Büro LFW E 32.1 am ETH-Institut für Pflanzenwissenschaften hört man lautes Tastaturklimpern. Vornübergebeugt sitzt Christof Sautter auf einem Bürostuhl, der das Parkett rund um den Tisch sichtbar abgenutzt hat. Er schreibt in einem Mehrfingersystem Emails, zwischendurch schaut er auf den Bildschirm. „Muss nur noch schnell etwas erledigen. Darf ich?“, fragt er und schreibt weiter. Das gibt Zeit, den Blick im Büro umherschweifen zu lassen. Das Büchergestell auf der linken Seite ist vollgestopft mit mehrheitlich grauen Ordnern: „Genlex Pressespiegel“, „Freilandversuch Medien“, „Field Test“, steht auf den Rücken. Auf der anderen Zimmerseite sind Lehrbücher eingeordnet, die meisten befassen sich mit den Grundlagen der Biologie und der Genetik, einzelne über die Wirkung von Pflanzenschutzmitteln. Gleich bei der Türe steht ein kleines, quadratisches Tischchen, auf dem sich Fotokopien türmen, zuoberst eine aus „Nature Biotechnology“. Nebenan hängt eine vergilbte Kopie von Max Frischs „25 Fragen an die Zukunft“.

„So, jetzt habe ich Zeit“, sagt der Forscher und setzt sich ans kleine Tischchen. Sein Blick ist vom Gesprächspartner abgewandt, die Arme sind vor der Brust verschränkt.


weitermehr

Durch Beschuss mit Mikroprojektilen werden Fremdgene in einen Organismus eingebracht: ETH-Forscher Sautter an der Particle Inflow Gun. gross

„Wo soll ich beginnen?“, sagt er und reiht im Eiltempo Stationen seines Lebens aneinander. Zu schnell, denn eigentlich will man mehr wissen über ihn, zum Beispiel etwas über den Lausbuben, der während dem Unterricht heimlich Mickey Mouse-Hefte unter der Schulbank las, die Luftschutzkeller Tübingens mit der Taschenlampe erforschte oder auf dem nahen Exerzierplatz die Liebe zur Biologie entdeckte. Einzelheiten lässt er sich nur wenige entlocken. Auch seine Mimik verrät kaum etwas über sein Innenleben. Nur wer genau hinschaut, entdeckt, dass sich die feinen Muskeln um die Augenlieder zusammenziehen, wenn er von seiner Heimat erzählt, sich erinnert.

Von Zellorganellen zum „Golden Rice“

In Tübingen ging er zur Schule, studierte von 1969 bis 1973 an der Universität Biologie, Physik und Mathematik und legte zwei Jahre später das Gymnasiallehrerpatent ab. Denn eigentlich wollte Sautter Lehrer werden und unterrichten: „Aber ich fühlte mich noch zu jung. Deshalb blieb ich in der Forschung“, sagt er. Nach seiner Dissertation über Pilzbestimmungen mit dem Elektronenmikroskop wurde 1979 eine Stelle an der TU München in Weihenstephan frei – „ich habe sie von mir aus nicht gesucht, mir hat es in Tübingen gefallen.“ Dennoch bewarb sich der Schwabe und zügelte im gleichen Jahr ins Herz Altbayerns, habilitierte sich dort 1986 in Botanik (über die Entstehung der Zellorganellen Glyoxy- und Peroxisomen) und wechselte 1989 ans ETH-Institut für Pflanzenwissenschaften, das damals unter Leitung von Ingo Potrykus, dem Erfinder des „Golden Rice“ stand. „Potrykus suchte für die Erforschung der Mikroprojektiltechnik einen Biologen, der eine Ahnung von Physik hat“, sagt Sautter, „ich war für ihn ein idealer Kandidat.“

Mit Potrykus verbindet Sautter viel – nicht nur der Medienwirbel, den der Provitamin-A-haltige „Golden Rice“ ebenso auslöste wie der KP4-Weizen. „Potrykus wollte etwas tun für die Ernährungssicherheit in den Länder der Dritten Welt. Das ist auch mir ein wichtiges Anliegen. Weizen“, sagt er, „ist eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel weltweit. Zudem ist die Gentechnologie auch ökologisch sinnvoll.“

Wertkonservativ und weltoffen

Sautter kommt in Fahrt, streicht heraus, dass dem Weizen 1993 im Schwerpunktprogramm Biotechnologie des Schweizerischen Nationalfonds eine zentrale Rolle zukam, dass erste Gewächshausversuche mit Stinkbrand-resistentem Gentechweizen Erfolg versprechende Resultate zeigten und dass nur mit dem Freilandversuch die Arbeiten über den KP4-Weizen abgeschlossen werden könnten. Allerdings scheint dies nicht möglich zu sein. Umweltaktivisten haben immer wieder Einsprachen gegen das Experiment deponiert; vergangene Woche hat das Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) die letzte abgewiesen.

Sautter ist kein sturer Funktionalist, keiner, der die Welt in Freund und Feind einteilt; Sautter ist ein kritischer Geist, der sich dem Dialog stellt, wertkonservativ und weltoffen. Kein Widerspruch, das ist der Tübinger.

Deshalb kann er nicht verstehen, dass seine Gegner nicht mit ihm diskutieren wollen: „Sie lassen sich nur selten mit Tatsachen kontaminieren“, erklärte er vor drei Jahren der Neuen Zürcher Zeitung. Der radikale Widerstand während der letzten Jahre geht ihm jedoch nahe: „Emotional macht es mir Mühe, Volksfeind zu sein“, sagte er dem Nachrichtenmagazin Facts vor einigen Monaten. Dennoch will er durchhalten, seine Arbeit zu Ende führen: „Ich will mich der Diskussion stellen.“ Danach allerdings wird es genug sein, dann will er sich, seiner Frau und den beiden Töchtern (16 und 18) wieder mehr Zeit gönnen. Auch will er wieder mehr auf seiner Bratsche üben, vielleicht sogar wieder in einem Orchester oder einem Streichquartett spielen. Heute bleibt für die Musik eine knappe halbe Stunde Zeit übrig, zum Abschalten vor dem Einschlafen.

Einen Moment ist es ruhig im Büro LFW E 32.1, Christof Sautter streicht sich über den akkurat geschnittenen Bart und macht sich fürs Mittagessen bereit. Das Anziehen des karierten Jacketts wird durch Spätfolgen einer Kinderlähmung erschwert, welche sich am linken Arm noch heute zeigen. Mit strengem Blick auf den Boden überquert er die Universitätsstrasse auf dem Weg zur ETH-Mensa.


Fussnoten:
(1) Homepage Christof Sautter: www.pb.ethz.ch/crops/people/sautter.htm
(2) Hintergrundinformationen zum Feldversuch: www.pb.ethz.ch/crops/wheat/feldversuchaktuell.htm



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!