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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 24.11.2004 06:00

Eisforscher Trinks hielt Vortrag an Diplomfeier der Betriebswirtschaftler
Leben im Eis

Der Physiker Hauke Trinks verbrachte ein Jahr auf einer einsamen Insel im Eis. Seine Begleiter waren zwei Hunde, Eisbären und eine Frau, die er vorher kaum kannte. An der Nachdiplomfeier des Departements für Management, Technologie und Ökonomie berichtete er über seine Erlebnisse und erläuterte seine Theorie zur Entstehung des Lebens im Eis vor 4 Milliarden Jahren.

Von Jakob Lindenmeyer und Anne Laurence Klein

Zur Diplomfeier des Nachdiplomstudiums in Betriebswissenschaften (1) lud das Departement für Management, Technologie und Ökonomie (MTEC) (2) letzte Woche einen speziellen Gastredner ins volle Auditorium Maximum. Der 61-jährige Physiker Hauke Trinks ist seit über 20 Jahren Professor an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. (3). In seiner wissenschaftlichen Laufbahn befasste er sich unter anderem mit Messtechniken in der Raumfahrt. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich mit einem grundlegenderen Forschungsthema: Die Entstehung des Lebens. Trinks verfolgt die Hypothese, dass Leben -nicht wie so oft angenommen- in einer vulkanischen Ursuppe entstanden sei, sondern im Polareis.

Allein im ewigen Eis

Um dies genauer zu erforschen, fror sich der Physikprofessor bereits vor fünf Jahren mit seinem zum Labor umgebauten Segelschiff am Nordrand von Spitzbergen für einen Winter im Packeis ein. Trinks wählte Spitzbergen als Eislabor, weil es sich nur rund 1'000 Kilometer vom Nordpol entfernt befindet und das ganze Jahr über 60 Prozent der Insel mit Eis bedeckt sind. Die norwegische Inselgruppe umfasst etwa die Fläche der Schweiz. Aufgrund des ausgleichenden Meeres ist das Klima gemässigt arktisch mit 4,5 Grad im Sommer und Minus 17 Grad im Winter.

Trinks und sein Hund geniessen die seltenen Sonnenstrahlen neben einem sich gemütlich räkelnden Walrosspaar. gross

Das reicht zwar nicht für Bäume, aber im Sommer immerhin für Flechten, Farne, Gräser und sogar einige kleine Blütenpflanzen. Das plankton- und fischreiche Meer lockt zudem viele Seevögel, Robben und Eisbären an. Da erst 1596 entdeckt, gibt es auf Spitzbergen keine einheimische Urbevölkerung. Die Bewohner lebten früher vom Wal- und Robbenfang, dann vom Kohleabbau und heute vermehrt von den Forschungsstationen und vom Tourismus.

Trinks schloss aus den Experimenten, dass die Kälte kein verhindernder Faktor für das entstehende Leben sei und brach auf eine längere und noch intensivere Expedition ins ewige Eis auf. Der Gouverneur der Insel Spitzbergen erteilte Trinks die Bewilligung, ein ganzes Jahr in einer ausrangierten schwedischen Forschungsstation auf der unbewohnten Insel Nordaustland zu überwintern. Einzige Auflage: Um nicht völlig zu vereinsamen, dürfe er nicht allein gehen, sondern müsse sich eine Begleitperson suchen. Daraufhin sprach Trinks eine ihm unbekannte Frau in einer Kneipe in Longyearbyen an: die Engländerin Marie Tièche. (4) Sie willigte spontan ein, Trinks auf seiner Expedition ins ewige Eis zu begleiten.

Abenteurerin Marie Tièche erlebte eine bereichernde Zeit mit Hauke Trinks. gross

Aufdringliche Eisbären

Der Eisbrecher des Gouverneurs brachte die beiden zusammen mit zwei Hunden und Vorräten für ein ganzes Jahr zur verlassenen Forschungsstation von Kinnvika. Dort lebten die beiden in einer sechzehn Quadratmeter umfassenden Holzhütte, ohne Telefon, Strom und fliessendes Wasser eingeeist während 13 Monaten, davon 4 Monate in der stockfinsteren Polarnacht. Erschwerend kamen insbesondere im Sommer ihre Nachbarn hinzu: über hundert Eisbären.


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Auf Ausschau nach Eisbären auf dem Dach der eingeschneiten Hütte: Eisforscher Hauke Trinks. gross

Ein Gefühl für die Abläufe im Eis

Da streng geschützt, hatten diese jegliche Angst und Respekt vor dem Menschen verloren. Die Jungen liebten es, das Klopapier aus dem WC-Häuschen zu stehlen. Ein ausgewachsener Eisbär verletzte einen der Hunde gar so schwer, dass Trinks ihm nur noch den Gnadenschuss verpassen konnte.

Doch trotz aller Widrigkeiten des ewigen Eises, widmeten sich die beiden täglich den zahlreichen Untersuchungen von Boden und Meer. "Ich wollte ein Gefühl davon kriegen, was im Eis wirklich abläuft", schilderte Trinks an der Diplomfeier die Triebkraft, die ihn dazu brachte, ein Jahr in der eisigen Kälte auszuharren.

Kälte ermöglicht Stabilität

Die bisherige Theorie der Entstehung des Lebens aus einer Ursuppe beinhaltet das Problem, dass durch zufällig verlaufende Reaktionen zwar komplexe Moleküle wie Nukleinsäureketten entstehen können, diese in der Wärme aber in relativ kurzer Zeit wieder in ihre Bestandteile zerfallen. Trinks Experimente auf Spitzbergen zeigten nun, dass die Kälte im Meereseis und die poröse Struktur von schwammigem Salzwasser, festen Eiskristallen und eingeschlossenen Gasbläschen die notwendigen Kompartimente und physikalischen Bedingungen schafft, um Bausteine aufzukonzentrieren und als Katalysator zu wirken.

Die genauen Reaktionen und Prozesse in der Mikrostruktur des Meereises wurden aufgrund Trinks Messungen im Labor unter realistischen Bedingungen experimentell nachgeprüft. Das Max-Planck-Institut in Göttingen untersuchte die Prozesse von salzigem Meerwasser und Grundmolekülen in einem speziellen "Eisreaktor". Der "Eisreaktor" wurde gemäss Trinks Messungen während eines Jahres unter wechselnden Bedingungen laufen gelassen. Die Analyse zeigte, dass sich im Eis ohne Zutun von Enzymen spontan Hunderte von Nukleotiden zu langen Strängen verketteten - ähnlich der DNA-Doppelhelix. Für Trinks bedeuten diese Erkenntnisse eine Sensation auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens.

Besuch einer Eisbärenmutter mit ihrem Jungen. gross

Waschmittel und Joghurts

Trinks Forschungskollegen konnten in den Bakterienproben bestimmte Enzyme identifizieren, die möglicherweise eine ganze Reihe neuer industrieller Anwendungen erlauben. Psychrophile, d.h. kälte-liebende Bakterien sollen die Reifung von Käse und Joghurt in der Kälte ermöglichen und der Umwelt beim Abbau von Öl nach Havarien in der Arktis helfen. Ihre Enzyme dienen der Waschmittel-Industrie zur Entwicklung von Kaltwaschmitteln.

Neben dem wissenschaftlichen Aspekt war der Aufenthalt für Professor Trinks und seine Assistentin Tièche auch ein menschliches Abenteuer: „Wir waren uns einig, dass dieses Jahr eines der schwierigsten, aber auch schönsten unseres Lebens war.“ Ihre Erfahrungen im Polareis haben sie Interessierten in Form mehrerer Bücher aufbereitet (5). Laut Trinks, werden auch die wissenschaftlichen Publikationen über die Arbeit im Eis nicht mehr lange auf sich warten lassen.


Literaturhinweise:
Film-Tipp: Das Abenteuer im Polareis wurde vom ZDF verfilmt: www.zdf.de/ZDFmt/mediathek/0,3496,MT-2202775,00.html

Fussnoten:
(1) Website des Nachdiplomstudiums in Betriebswissenschaften: www.mtec.ethz.ch/education/ndsbetr/
(2) Homepage des Departements für Management, Technologie und Ökonomie (MTEC): www.mtec.ethz.ch/
(3) Homepage von Hauke Trinks an der Technischen Universität Hamburg-Harburg: www.et1.tu-harburg.de/de_DE/de_pht_publikationen.php
(4) Das Abenteuer aus der Sicht der Assistentin Marie Tièche: www.zdf.de/ZDFde/inhalt/10/0,1872,2202122,00.html
(5) Bücher über das Spitzbergen-Experiment: www.zdf.de/ZDFde/inhalt/5/0,1872,2202885,00.html



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