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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 27.03.2006 06:01

Workshop "Risk in deregulated electricity markets"
Die Tücken des offenen Strommarkts

Die Öffnung der Strommärkte bietet nicht nur Chancen, sondern birgt auch gewisse Risiken. Insbesondere gilt es, ökonomische Prinzipien mit volkswirtschaftlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Wie dies am besten zu erreichen ist, wurde letzte Woche im Rahmen eines Workshops an der ETH diskutiert.

Felix Würsten

Der europäische Stromhandel befindet sich im Umbruch. Die Märkte werden geöffnet, der Austausch von Elektrizität quer über den Kontinent hinweg gewinnt zunehmend an Bedeutung. Auch die Schweiz macht sich daran, ihren Strommarkt zu liberalisieren. Dieser Wandel bietet neben Chancen auch Risiken. An einem Workshop, den das Centre for Energy Policy and Economics (CEPE), das Institute for Operations Research und das Institut für Elektrische Energieübertragung (IEE) letzte Woche gemeinsam durchführten, setzten sich Experten aus Wissenschaft und Stromwirtschaft mit der Frage auseinander, wie der Übergang am besten bewerkstelligt werden sollte.

Der Stromhandel ist durch einige Besonderheiten gekennzeichnet: Elektrizität kann nicht gespeichert werden und die Nachfrage ist grossen Schwankungen unterworfen; gleichzeitig erwarten die Kunden, dass der Strom in konstanter Qualität und in stets ausreichenden Mengen zur Verfügung steht. Die Frage stellt sich nun, wie die liberalisierten Märkte gestaltet werden müssen, damit die Kunden von den positiven Effekten der Marktwirtschaft profitieren und gleichzeitig die volkswirtschaftlich wichtige Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt. Entscheidend sei, so erklärte Hans-Jakob Lüthi, Professor für Operations Research an der ETH, dass Risiken von den Beteiligten nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance wahrgenommen werde. Die Firmen der Strombranche müssten vermehrt eine entsprechende Risikokultur entwickeln. Kalkuliertes Risiko in Kauf zu nehmen, werde künftig zum entscheidenden Faktor, um auf dem Markt zu bestehen.

Dringend nötiger Strukturwandel

Ein kritischer Punkt bei der Deregulierung der Märkte ist die Übertragung und Verteilung der Elektrizität. In diesem Bereich bestehe ein natürliches Monopol, erklärte Massimo Filippini vom CEPE: Ökonomisch gesehen ist ein einziger Netzbetreiber die optimale Lösung. Die Situation in der Schweiz, darin schien man sich am Workshop weitgehend einig zu sein, ist deshalb höchst unbefriedigend, weil es unzählige lokale Netzbetreiber gibt. Filippini ist überzeugt, dass ein Strukturwandel dringend nötig wäre. Dieser ist jedoch schwer durchsetzbar. Zum einen sind die Stimmbürger skeptisch, ob eine solche Bereinigung für sie Vorteile bringt; zum anderen subventioniert man in vielen Gemeinden über die Stromverteilung andere Dienstleistungen. Es gibt also eine unglückliche Verflechtung zwischen politischer Aufsicht und Netzbetrieb.

Würde in der Schweiz das Stromnetz tatsächlich nur noch von einer einzigen, wirtschaftlich selbständigen Gesellschaft betrieben, stellen sich zwei Fragen: Wie bringt man diese Gesellschaft dazu, die Infrastruktur angemessen zu unterhalten? Und wie verhindert man, dass sie als Monopolistin überrissene Margen kassiert? Für Filippini ist klar, dass dies nur mit klaren gesetzlichen Regeln und einer starken, fachlich kompetenten Aufsichtsbehörde erreicht werden kann.

Wasserkraft noch attraktiv?

Offene Fragen gibt es auch in Bezug auf die Stromproduzenten. Die Kraftwerksbetreiber fragen sich heute, ob sich Investitionen in Anlagen noch lohnen, die sich nur langfristig amortisieren lassen. Tatsächlich beobachtet man, dass die Stromgesellschaften heute tendenziell schnell gebaute und amortisierte Gaskraftwerke vorziehen. Wasserkraftwerke haben demgegenüber an Attraktivität eingebüsst. Bei der Beurteilung solcher Anlagen sei es jedoch wichtig, präzis zu kalkulieren, meinte Filippini. Man müsse zum Beispiel berücksichtigen, dass gewisse Wasserkraftwerke sehr flexibel Strom produzieren können.


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Die Übertragung und Verteilung der Elektrizität ist ein kritisches Element bei der Öffnung der Märkte. (Bild Atel) gross

Volkswirtschaftlich wichtig ist auch, dass stets genügend Produktionskapazitäten zur Verfügung stehen, um Spitzen und unerwartete Ausfälle abzudecken. Für die Produzenten ist es ökonomisch jedoch nicht attraktiv, die dazu nötige Infrastruktur bereitzustellen – im Gegenteil: Eine Verknappung des Stroms könnte für sie sogar interessant sein. In Fachkreisen wird daher intensiv über mögliche Lösungsansätze nachgedacht. Eine Variante wäre etwa, spezielle Kapazitätsmärkte einzurichten oder die Betreiber der Verteilnetze zu verpflichten, Reservekapazitäten bei den Stromerzeugern einzukaufen.

Schrittweiser Ausbau

Bei der Diskussion um die Öffnung der Strommärkte gilt es aber auch die physische Realität der Stromproduktion und -verteilung im Auge zu behalten. In den letzten 120 Jahren entwickelte sich in Europa und in Nordamerika aus kleinen, lokalen Netzen schrittweise kontinentale Versorgungssysteme. Getrieben wurde dieser Trend unter anderem von der Entwicklung im Kraftwerksbau, wie Göran Andersson vom Institut für Elektrische Energieübertragung erläuterte. Lag 1930 die optimale Grösse eines thermischen Kraftwerks noch bei etwa 100 Megawatt, so produzierten um 1980 Anlagen von 1 Gigawatt den günstigsten Strom.

Die Inbetriebnahme solch grosser Anlagen erforderte allerdings den Ausbau der Hochspannungsnetze. Nur so konnte der neu produzierte Strom auch abgesetzt werden. Mit der Einführung von Gaskombikraftwerken änderte sich dann der Trend in den achtziger Jahren radikal. Wirtschaftlich optimale thermische Kraftwerke weisen nun erneut nur noch eine Leistung zwischen 100 und 200 Megawatt auf.

Modelle für den kontinentalen Markt

Die grenzüberschreitenden Netze wurden also ursprünglich aus technischen Gründen gebaut. Heute ermöglichen sie die Etablierung eines gemeinsamen europäischen Markts. Auf der politischen Ebene wird zur Zeit intensiv diskutiert, wie der Strommarkt auf dem Kontinent geregelt werden soll. Dabei könnten verschiedene Modelle als Vorbild dienen. In den USA und in Neuseeland etwa werden in den überregionalen Netzen lokal unterschiedliche Strompreise zugelassen; die Tarifgestaltung erfolgt also alleine auf Grund ökonomischer Kriterien. In den skandinavischen Ländern und in Australien hingegen gilt die Regelung, dass überall die gleichen Preise gelten müssen. Ein drittes Modell steht nun in Kontinentaleuropa zur Diskussion. Die an sich unabhängigen Märkte sollen über spezielle Handelsmechanismen miteinander vernetzt werden.

Thilo Krause, Doktorand am IEE, hat mit einer Modellsimulation untersucht, welche Lösung aus volkswirtschaftlicher Sicht zu bevorzugen sei. Bei seinen Berechnungen schnitt das amerikanische Modell am besten ab. Dennoch könne nicht a priori gesagt werden, welche Variante im konkreten Fall tatsächlich zu bevorzugen sei.




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