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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 29.09.2006 06:00

Nationales Forschungsprogramm 48 „Landschaften und Lebensräume der Alpen“
Kapital Landschaft

Die Synthese des Schwerpunkts „Inwertsetzungs-Prozesse“ des Nationalen Forschungsprogramms 48 (NFP 48) „Landschaften und Lebensräume der Alpen“ ist abgeschlossen. Sie zeigt: Potenzial, aus der Landschaft Kapital zu schlagen, ist da, aber nicht überall. Und entlegene Täler sollen sich auch entleeren dürfen, wenn die Politik dies will.

Peter Rüegg

Die Schweizer Alpen sind schön, doch vom blossen Bewundern des Panoramas hat noch niemand gelebt. Wer in den Alpen lebt und arbeitet, hat deshalb ein vitales Interesse daran, die Landschaft in Wert zu setzen, sprich: Naturschönheit in klingende Münze zu verwandeln. Genau diesen Aspekt hat der vierte Schwerpunkt „Inwertsetzungs-Prozesse“ des Nationalen Forschungsprogramms 48 „Landschaft und Lebensräume der Alpen“ beleuchtet und die Synthese der wissenschaftlichen Erkenntnisse gestern in Flims der Öffentlichkeit präsentiert.(1)

„Die Synthese zeigt, dass in den ländlichen Gebieten des Alpenraums sehr viel Potenzial steckt, das in Zukunft aber noch differenzierter genutzt werden muss“, fasst Bernard Lehmann, ETH-Professor für Agrarökonomie und Präsident der Leitungsgruppe des NFP 48, zusammen. Man dürfe nicht mehr in jeder Gemeinde alles machen, auch wenn die Zonenordnung dies eigentlich zulasse. Dies führe zu einem Mosaik mit zu kleinen Angeboten. Gefragt sei eine „dezentrale Konzentration“.

Mehr Miete dank schöner Landschaft

Für die Inwertsetzung der Landschaft zeigen die Wissenschaftler verschiedene Strategien auf. Einerseits setzen sie auf die Kräfte des Marktes, andererseits auf eine gewisse staatliche Regulierung. Chancen bieten sich zum Beispiel in optimierten marktwirtschaftlichen Strategien im Tourismus, der besseren Nutzung von erneuerbaren Energien wie Holz, Wind und Wasser oder einer intensiveren Vermarktung von regionalen Produkten und Dienstleistungen. Zwar sind immer weniger Nischen vorhanden. Mit Innovationen können aber neue Märkte erschlossen werden, wie der kommerzielle Erfolg von Iglu-Übernachtungen zeigt. Viele alpine Regionen, wie der Kanton Nidwalden, sind zudem als Wohnort von Pendlern und Rentnern entdeckt worden. Immobilien mit unverstellter Sicht auf die Landschaft etwa erzielen höhere Mietpreise, wie eine Studie aus dem Wallis zeigt.

Wertschöpfung von Naturpärken begrenzt

Im Tourismus weht allerdings ein rauer Wind. Topdestinationen mit gut ausgebauter Infrastruktur sind einem harten Wettbewerb ausgesetzt. Abgelegene Randregionen, die weder gut erreichbar sind noch über ein gutes Tourismusangebot verfügen, brauchen dafür weiterhin staatliche Hilfe. Naturpärke können neue Perspektiven eröffnen, doch generieren diese erst ein Einkommen, wenn traditionelle Nutzungen mit neuen Dienstleistungen des sanften Tourismus gekoppelt werden.


NFP 48: Landschaft und Lebensräume der Alpen

2002 wurde das Nationale Forschungsprogramm „Landschaft und Lebensräume der Alpen“ gestartet. (3) Es hatte zum Ziel, wissenschaftliche Grundlagen für die künftige Nutzung und Entwicklung der Alpenräume bereit zu stellen. Das Programm hatte fünf Schwerpunkte, die mit 35 Teilprojekten angegangen wurden: Wahrnehmung und Bewertung, Veränderungs-Prozesse, Gestaltungs-Prozesse, Prognosen und Inwertsetzungs-Prozesse. Zu jedem Schwerpunkt wird eine Synthese erstellt, 2007 soll eine Gesamtschau publiziert werden. Mitte Oktober findet in der Karthause Ittingen ein Werkstatt-Gespräch mit verschiedenen Akteuren aus Politik, von Nichtregierungsorganisationen und Verwaltung statt. Davon erhofft sich Bernard Lehmann vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema.




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Landwirtschaftliche Leistungen sind noch immer gefragt, doch könnte in Zukunft die Pflege der Landschaft das Einkommen sichern (Bild: SNF) gross

Allerdings zeigt die vorliegende Synthese auch, dass Regionale Naturpärke, wie sie der Bund mit der Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes vorsieht, genug Geld und einen langen Atem für ihre Vorbereitung brauchen. Auch wird die Wertschöpfung oft überschätzt. Im Kanton Bern wurde geschätzt, dass ein Park pro Jahr 3 bis 10 Millionen Franken an Wertschöpfung generiert. Damit ergänzen Regionale Naturpärken das touristische Angebot, sind aber kaum Motor einer ländlichen Wirtschaft.

Einkommenseinbussen für Bauern

Vor einer grossen Herausforderung steht die Berglandwirtschaft. Das Teilprojekt SULAPS etwa zeigte, dass die Einkommen aus der Berglandwirtschaft weiter sinken (2) - bei einer weit reichenden Liberalisierung der Agrarmärkte um bis zu 80 Prozent. Nebeneinkommen werden immer wichtiger, können aber die Verluste nicht ausgleichen und so dürften die Haushaltseinkommen der Bergbauern um einen Fünftel sinken.

Den volkswirtschaftlichen Nutzen des Schutzes der Berglandschaften gewichten die Forscher hoch. Sie schlagen vor, die Landschaft als öffentliches Gut zu betrachten und optimaler zu nutzen, sehen aber auch ein Manko bei der Abgeltung des Verzichts auf gewisse Nutzungen. Finanzielle Leistungen an die Bergbevölkerung sollen verstärkt mit ökologischen Zielen verknüpft und an Gegenleistungen gebunden werden, die zum Schutz und zur Pflege der Landschaft erbracht werden. „Werden Direktzahlungen pauschal ausbezahlt, steuert man die ökologische Qualität zu wenig“, sagt Bernard Lehmann.

Die Wissenschaftler schlagen vor, als neue Finanzierungsformen zum Schutz der Alpenlandschaft einen Umweltfonds oder einen Markt mit Entwicklungsrechten zu schaffen. Eine Studie hat nämlich gezeigt, dass die Touristen in Davos durchaus bereit wären, für den Landschaftsschutz zu zahlen; durchschnittlich 22 Franken pro Woche mehr für ihre Ferienwohnung, wenn dafür das Siedlungsgebiet nicht weiter ausgedehnt würde. Die Einheimischen wären sogar dazu bereit pro Jahr und Kopf 118 Franken zu bezahlen, um Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu vergrössern.

Täler aufgeben kein Tabu

Trotz viel versprechenden Strategien, die das NFP 48 enthält, wird es nach Ansicht von Bernard Lehmann weiterhin einen Finanzausgleich brauchen. Der neue Finanzausgleich stütze richtig, sagt der ETH-Professor. Diese Zahlungen erlaubten es den Regionen, ihre Chancen wahrzunehmen. Der Rückzug aus gewissen strukturschwachen Gebieten dürfe trotzdem nicht länger tabuisiert werden. Noch immer glaube man in der Schweiz, jede Gemeinde um jeden Preis entwickeln zu müssen. Dies führe zu einer flächendeckenden Urbanisierung. Gefordert ist eine regionale Differenzierung. Wichtig dabei, dass man nicht einfach zuwarte, bis sich ein Tal entleere, sondern man müsse eine aktive Vorwärtsstrategie unter Einbezug der Betroffenen verfolgen und einen Konsens finden. „Eine Räumung kann man nicht verfügen“, betont Lehmann. Zudem sei es Sache der Politik zu entscheiden, welche entlegenen Talschaften aufgegeben werden.


Fussnoten:
(1) Simmen, Helen, Felix Walter und Michael Marti (2006): Den Wert der Alpenlandschaften nutzen, thematische Synthese zum Forschungsschwerpunkt IV "Raumnutzung und Wertschöpfung" des NFP 48, vdf-Verlag, Zürich.
(2) vgl. ETH Life-Bericht "Bergbauern vor unsicherer Zukunft": www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/berglandwirte.html
(3) Website des NFP48: www.nfp48.ch



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