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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 24.04.2001 06:00

ETH-Institute mit Tierversuchen
Tiere im Dienste der Forschung

Der Schutz und das Wohlbefinden des Tieres sind in der Schweiz gesetzlich verankert. Das Tierschutzgesetz erlaubt und regelt aber auch Tierversuche. Beispiele von Tierversuchen an Instituten der ETH zeigen, was die beurteilenden Organe als unerlässliche Forschung einstufen.

Von Christoph Meier

"Tiere sind so zu behandeln, dass ihren Bedürfnissen in bestmöglicher Weise Rechnung getragen wird". So lautet der erste Satz des Artikels 2 des Schweizerischen Tierschutzgesetzes (1). Dass aber den Gesetzesverfassern nicht jegliches evolutionär notwendige Eigeninteresse abhanden gekommen ist, zeigt sich weiter unten im Gesetzestext. Denn unter Artikel 14 wird aufgelistet, für welche "humane" Zwecke Tiere in Versuchen verwendet werden dürfen. Als erster Zweck wird die wissenschaftliche Forschung erwähnt. Das bedeutet aber noch nicht, dass Forschende einen Freipass erhalten, denn auch sie unterstehen für Tierversuche der Melde- und Bewilligungspflicht. Die entsprechenden Bewilligungen werden von den Kantonen erteilt. Für die ETH heisst dies, dass der Kanton Zürich über ihre Tierversuche befindet. Was von diesem als gerechtfertigter Tierversuch taxiert wird und wer solche Versuche durchführt, soll anhand zweier ETH-Beispiele illustriert werden.


Mehr Tierversuche in der Grundlagenforschung

Die Tierversuchsstatistik 1999 weist zum 16. Mal in Folge eine Abnahme aus: um 1,5% gegenüber 1998 und um 78% gegenüber 1983. Für Kosmetika und Haushaltstoffe wurden 1999 keine Tiere eingesetzt. Sieben von zehn Tieren wurden in der Industrie und 26% an Hochschulen und Spitälern verwendet.

Insgesamt wurden 1999 445 682 Tiere verwendet - gegenüber 452 535 im Vorjahr. Der Anteil der Grundlagenforschung am Tierverbrauch hat gegenüber 1998 um 6% zugenommen. Es kamen auch mehr gentechnisch veränderte Mäuse zum Einsatz (56 200; +6,5%).



Die Katze als Kameramann

"Mein Traum ist, dass in 20 Jahren Blinde eine Kamera tragen, deren Aufnahmen in hörbare Befehle umgesetzt werden, die dann die Blinden führen". Der Träumende ist Konrad Körding vom Institut für Neuroinformatik (2). Um den Traum aber Wirklichkeit werden zu lassen, ist noch viel Grundlagenforschung nötig, in der auch Körding tätig ist. In einem Projekt der Gruppe um Peter König versucht er herauszufinden, für was sich Katzen in einer natürlichen Umgebung interessieren. Doch was ist eine "natürliche Umgebung"? Für diese Frage lassen sich die Forscher von Katzen führen, indem sie ihnen eine Mikrokamera auf dem Kopf fixieren und dann mit ihnen einen Spaziergang an der Leine im Freien unternehmen (3). Wieder "zuhause" im Labor werden den Katzen "ihre" Aufnahmen vorgespielt. Während der Vorführung erfolgen Messungen, die festhalten, was die Katze fixiert und welche neuronalen Aktivitäten vorhanden sind. Die gewonnen Daten können dann auf ihre statistischen Eigenschaften untersucht werden und können so Aufschlüsse geben über die Verarbeitung von natürlichen visuellen Stimuli.

Gesunde Tiere

Damit aber die Messungen möglich sind, mussten die Versuchskatzen vorgängig operiert werden. Bei der Operation wurden Elektroden so implantiert, dass auf verschiedenen Ebenen der visuellen Verarbeitungshierarchie Messungen möglich sind. Äusserlich sieht man bei der Katze einen Aufsatz auf dem Kopf, der einerseits als Steckplatz für die Messkabel dient, andererseits aber auch als Halter für die Kamera. Die feste Implantierung erlaubt es über längere Zeit, mehrere Versuche durchzuführen. Ein Besuch bei den Katzen erweckt den Eindruck, dass die Tiere gesund sind. Sie erweisen sich auch als zutraulich, obwohl ein Unbekannter auftaucht. Zudem bewohnen die vier operierten Katzen mit sechs Artgenossen ein Gehege, um das sie manch eine Stubenkatze beneiden würde.

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Versuchen das visuelle System der Katze besser zu verstehen: Konrad Körding und Peter König vom Institut für Neuroinformatik. gross

Die Verantwortung der Forscher

Angesprochen auf die Tierversuche allgemein, halten König und Körding fest, dass menschliche Interessen Tierleiden rechtfertigen. Eine Entscheidung gegen Tierversuche wäre eine Entscheidung gegen den Menschen und gegen die Tiere, denn Tiere würden auch von einem besseren Verständnis profitieren. Für die Forscher ist es wichtig, dass Tierversuche nicht auf Projekte mit kurzfristigem Nutzen eingeschränkt werden. Denn ohne Grundlagenforschung könnten viele medizinische Probleme nie wirklich gelöst werden. König ist auch der Meinung, dass die Verantwortung bei den Forschern belassen werden soll und nicht von aussen diktiert werden dürfe. Das heisst für die Forscher auch, dass nicht generelle Verbote aufgestellt werden sollen, sondern dass in gut schweizerischer Tradition der Einzelfall beurteilt werden müsse.


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Ein Weissbüscheläffchen bei der Arbeit am Touchscreen. Im Hintergrund sein Heimkäfig. gross

Aufgrund dieser Überlegung ist es auch folgerichtig, dass der Wissenschaftler nichts von Menschenrechten für Menschenaffen (4) hält, da je nach Fragestellung diese das ideale Forschungsobjekt darstellen. Trotzdem sei es naheliegend, dass man aufgrund des besseren Einfühlungsvermögens eher einen Primaten schütze als ein Nagetier. Dass bei solchen Themata die Emotionen hoch gehen, ist auch den Hirnforschern klar. Dies mag mit ein Grund sein, wieso sie nicht erlauben, die Katzen zu fotografieren. Sie befürchten, die Fotos könnten manipuliert werden und für die Stimmungsmache gegen Tierversuche verwendet werden.

Schizophrene Ratten

"Wir führen keine Tierversuche durch, die nicht einen direkten Bezug zum Menschen aufweisen", hält Joram Feldon vom Labor für Verhaltensneurobiologie (5) fest. Seine Forschungsgruppe in Schwerzenbach führt Tierversuche mit Mäusen, Ratten und Weissbüscheläffchen durch. Sie sollen dem Verständnis bei Depressionen, Schizophrenie oder Parkinson dienen. Im Zentrum des Interesses stehen dabei die Verhaltensreaktionen der Tiere. Dies führe auch dazu, dass die Belastung der Tiere nicht allzu hoch ausfalle, da nur gesunde Tiere brauchbare Resultate liefern. Auf die Frage hin, wie weit die Extrapolationen von Tieren auf den Menschen erfolgreich seien, antwortet Feldon, dass das Zentralnervensystem bei Säugetieren grundsätzlich sehr ähnlich sei. Natürlich gebe es Unterschiede zum Menschen, doch einzelne Symptome liessen sich sehr gut nachahmen. Als Beispiel könne die Aufmerksamkeitsstörung bei Schizophrenen genommen werden. Diese könne auch bei Ratten hervorgerufen werden. Gelänge es, diese medikamentös zu unterdrücken, dann würde dies wahrscheinlich auch beim Menschen funktionieren. Dabei sei es irrelevant, inwiefern es Sinn mache von Schizophrenie bei Ratten zu sprechen.

Gelangweilte Schimpansen

Höhere Primaten sind auch für Feldon und seinen Mitarbeiter, Christopher Pryce, etwas besonderes. Den Grund dafür erläutert Pryce: "Tiere müssen artgerecht gehalten werden können. Dies ist bei Menschenaffen besonders schwierig, da sich diese aufgrund ihrer Intelligenz rasch langweilen." Bei seinen Forschungsobjekten, den Weissbüscheläffchen, sieht der Forscher keine Probleme, da diese in Gefangenschaft anscheinend alle natürlichen Verhaltensweisen zeigen. Feldon selbst entschied sich für seine Doktorarbeit für Ratten und gegen Makaken, eine Gruppe höherer Primaten. Denn die Arbeit mit diesen wäre emotional viel belastender gewesen. Trotzdem wollen die Forscher keinen Sonderstatus für Primaten. Gleich wie ihre Kollegen von der Neuroinformatik sind sie der Ansicht, dass je nach Fragestellung auch höhere Primaten einzusetzen sind.

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Mit der Röhre auf der Plattform können feinste Bewegungen der Versuchstiere (hier eine Ratte) gemessen werden. gross

Es sei auch so, dass in Zukunft nicht auf Tierversuche verzichtet werden könne. Die Mehrheit der Bevölkerung realisiere das auch. Die Situation in der Schweiz und an ihrem Institut betrachten die Forscher als hervorragend, was sich zum Beispiel daran zeige, dass sie mit wenigen Tieren signifikante Resultate erhielten.

Bei dem Rundgang durch das Institut präsentieren Pryce und Feldon die Tiere und die Versuchsräume. Ein Bassin, in dem das räumliche Orientierungsvermögen durch eine verdeckte Plattform getestet wird, eine Sonde, mit der chemische Übertägerstoffe in vivo untersucht werden können, oder ein Kästchen mit einer Plattform, durch welche die Bewegungen eines Tieres registriert werden können, sind nur einige Beispiele für die vorhandenen Gerätschaften. Die Tiere selbst sind in den vorschriftsgemässen, für Menschen etwas eintönig anmutenden Stallungen untergebracht. Aufmerksam wird der Besucher von den Weissbüscheläffchen gemustert. Mit ihren munteren Bewegungen gewinnen sie schnell die Sympathie und man ahnt, wie auch andere Primaten schnell Fürsprecher finden können. Pryce fühlt sich den Tieren verbunden und investiert darum wie seine Kollegen viel Zeit in gute Haltungsbedingungen.

Wie weit diese Bemühungen von der Gesellschaft honoriert werden, bleibt offen. Denn Tierversuchsgegner haben am 3. April in Bern eine Petition an die eidgenössischen Räte hinterlegt, in der ein Stopp der Tierversuche und deren Finanzierung durch den Bund verlangt wird.


Fussnoten:
(1) Tierschutzgesetz: www.admin.ch/ch/d/sr/455/index.html
(2) Institut für Neuroinformatik: www.ini.unizh.ch/
(3) Homepage von Konrad Körding mit dem Video eines Katzenspaziergangs: http://zig.ini.unizh.ch/~koerding/
(4) Das Great Ape Project: www.greatapeproject.org/international/german/index.html
(5) Laboratory of Behavioural Biology and Functional Toxicology: www.rereth.ethz.ch/biol/toxikologie/toxikologie.prof_overview.html



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