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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 15.06.2006 06:00

Neuer Signalweg bei der Vernalisation
Wie Kälte zur Blüte führt

Für das Phänomen, dass Kälteperioden zur Blüte bei gewissen Pflanzen führen, fanden ETH-Forscher einen neuen Signalweg. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Regulation des Gens AGL19 durch Polycomb group Proteine. Die Studie, die diese Woche publiziert wird, zeigt, wie immer mehr molekulargenetische Grundlagen für eine Erscheinung entdeckt werden, die früher als Argument gegen Genetiker verwendet wurde.

Christoph Meier

Gewisse Pflanzen wie beispielsweise Winterweizen benötigen den Winter oder eine künstliche Kältebehandlung, damit sie zur Blüte kommen. Dieses Phänomen wird als Vernalisation bezeichnet. Der Begriff geht auf den Agronomen Trofim Lyssenko zurück, der in der Sowjetunion tätig war. Er versprach, durch diese „Erfindung“ viel grössere Ernteerträge zu ermöglichen. Zudem "bewies" die Vernalisation für Lyssenko, dass erworbene Eigenschaften erblich sind und es keine Gene gibt. Die sowjetischen Medien liebten die Vorschläge des Bauernkindes, und Lyssenkos Aufstieg begann bis hin zu Stalins persönlichem Landwirtschaftsberater. In dieser Position machte er wissenschaftlichen Biologen das Leben schwer, indem er diese aufgrund ihrer vielen Arbeiten mit der Taufliege als "Fliegenliebhaber und Menschenhasser“ verunglimpfte. Genetik wurde in der Folge als eine "faschistische“ und "bourgeoise" Wissenschaft gebrandmarkt.

Obwohl Lyssenko den Fortschritt der russischen Wissenschaft massiv behinderte und er heute als Beispiel für einen ideologisch verirrten, pseudo-wissenschaftlichen Scharlatan gilt, interessiert die Vernalisation immer noch - insbesondere die genetischen und molekularen Grundlagen dafür. Ein Wissenschaftler, der momentan auch in diesem Gebiet forscht, ist Lars Hennig vom ETH-Institut für Pflanzenwissenschaften. Er und seine Mitarbeiter stiessen auf einen neuen Signalweg bei der Vernalisation, bei dem das Molekül AGL19 eine Schlüsselrolle spielt. Die Studie erscheint diese Woche in der Fachzeitschrift Genes&Development (1).

Ausgangspunkt: „Sackmesser“-Protein

Auf AGL19 stiessen die ETH-Forscher, als sie die Wirkung eines anderen Proteins, MSI1, untersuchten. Dieses erinnert mit seinen vielen Funktionen an ein Sackmesser. Eine besonders wichtige Funktion ist das Ruhigstellen bestimmter Gene, wie die Wissenschaftler bereits früher herausgefunden hatten (2). Diese wollten nun wissen, welche Gene bei jungen Pflanzen der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) besonders unruhig beziehungsweise aktiv werden, wenn MSI1 ausfällt. Dafür setzten sie die Microarray-Technik ein, bei der auf einen Schlag die Aktivität mehrerer tausend Gene bestimmt werden kann. AGL19 war nun eines der Gene, das ohne MSI1 aufblühte. "Wir fokussierten unsere Arbeit in der Folge auf AGL19, da wir es aufgrund seiner Sequenz als potenzielles Regulatorgen erkannten“, erläutert Lars Hennig.

Um der Funktion auf die Spur zu kommen, brachten die Wissenschaftler die Pflanze mit gentechnischen Methoden dazu, AGL19 nach "Forscher-Belieben“ zu produzieren. Dabei zeigte sich, dass das Protein das Blühen der Ackerschmalwand auslösen kann. Aber ist AGL19 auch in gentechnik-freien Pflanzen für das Blühen wichtig? Die Antwort lautete: Ohne AGL19 blüht die Ackerschmalwand trotz Vernalisation später. Das Protein ist also notwendig, damit die Pflanze Kälteperioden optimal wahrnehmen kann. Insofern passte der danach erhobene Befund, dass Vernalisation das AGL19-Gen aktiviert, gut ins Bild.

Das Molekül AGL19 beeinflusst das Blühen bei der Ackerschmalwand: Wird AGL19 zusätzlich produziert (links) kommt die Pflanze früher zum Blühen als der Wildtyp (rechts), was an der kleineren Anzahl Laubblätter erkennbar ist. (Bild: Lars Hennig) gross


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Der Kälteperiode des Winters veranlasst die Ackerschmalwand später zum Blühen: Arabidopsis thaliana im Schnee (Bild: Klaus Hennig) gross

Unabhängig von bekanntem Regulationsweg

"Da wir mit unserer Forschung mitten in die Regulation dieser speziellen Kälteinduktion gelangt waren, wollten wir wissen, wie hängt AGL19 mit bekannten Vernalisation-Regulationswegen zusammen“, skizziert Hennig den neuen Forschungshorizont. Als besonders potentes Molekül war dabei FLC bekannt. Die folgenden Versuche hätten aber ergeben, so Hennig, dass sich FLC und AGL19 nicht gegenseitig beeinflussen. "Wir hatten überraschenderweise einen unabhängigen Signalweg gefunden.“

Wer reguliert aber den Regulator AGL19 in diesem neuen Signalweg? Vom Sackmesser-Protein MSI1 wusste man, dass es mit Proteinen zusammen arbeitet, die ursprünglich durch die von Lyssenko so bekämpfte Genetik in der Taufliege gefunden wurden und Polycomb group Proteine genannt werden. In Fliegen steuern diese Proteine die Entwicklung, und in Säugern erregen sie das Interesse der Wissenschaftler als mögliche Schlüsselregulatoren in Stammzellen und Tumoren. In Pflanzen sind Polycomb group Proteine und MSI1 beispielsweise für die Embryoentwicklung im Samen notwendig, wie aus einer Publikation von Hennig gemeinsam mit Kollegen an der Universität Zürich hervorgeht (3). Die ganz neuen Ergebnisse zeigen nun, dass diese Proteine auch für die Regulation von AGL19 durch lange Kälteperioden im Winter notwendig sind. Dies geschieht, indem die Verpackung der Gene über Anfügen oder Entfernen von kleinen Molekülen, den Methylgruppen, verändert wird.

Ironie in der Forschungsgeschichte

Dadurch ergibt sich eine Parallele zwischen den zwei Signalwegen für die Vernalisation: In beiden Fällen wird die Aktivität von Genen über deren Verpackung gesteuert. Im Falle von FLC wird aber das Gen nach dem Winter ruhiggestellt und weggepackt, während im Falle von AGL19 das Gen vor dem Winter verpackt auf seine Zeit wartet.

"Unsere Forschung stellt die Grundlage dar, um besser zu verstehen, wie die Vernalisation abläuft“, meint Hennig. Ein Knackpunkt bleibe jedoch, da noch immer nicht verstanden wird, wie die Pflanze eine Kälteperiode misst. Hier will der ETH-Forscher denn auch weiter arbeiten und dem molekularen Kältefühler auf die Spur kommen. In Bezug auf mögliche praktische Folgen seiner Erkenntnisse ist Lars Hennig noch vorsichtig. Es sei durchaus möglich, dass man einmal dank seinen Einsichten die Erträge bei Winterweizen oder Raps steigen könnten. Generallösungen im Stile Trofim Lyssenkos bietet der ETH Forscheraber nicht. Stattdessen stellt er befriedigt fest, dass es eine Ironie der Geschichte ist, wie die von Lyssenko geschmähte und unterdrückte Fliegengenetik die Vernalisation zu verstehen hilft. Zudem, so Hennig, gewinnt man auch dank der Arbeiten an der Ackerschmalwand ein besseres Verständnis der Funktion von Polycomb group Proteinen. „Und was das für die Krebsforschung bedeutet, beginnen wir gerade zu erahnen.“


Fussnoten:
(1) N. Schönrock et al: „,Polycomb-group proteins repress the floral activator AGL19 in the FLC-independent vernalization pathway“, Genes&Development, June 15, 2006.
(2) Vgl. „ETH Life“-Bericht „Gestörte Genruhe“: www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/msi1hennig.html
(3) C. Köhler et al. „ Arabidopsis MSI1 is a component of the MEA/FIE Polycomb group complex and required for seed development.“ EMBO Journal. 22: 4804–4814.



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