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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 20.06.2002 06:00

Bundespräsident Villiger an der ETH
"In Solidarität investieren"

Im Audimax der ETH warb Bundespräsident Villiger gestern Mittwoch Abend für die Solidaritätsstiftung. – Eine Art Auftakt für die Diskussion über die Goldinitiative der SVP und den bundesrätlichen Gegenvorschlag, die am 22. September zur Abstimmung gelangen. Der Urnengang scheint noch weit weg: Kontroversen wurden keine ausgetragen.

Von Norbert Staub

Es sei ausserordentlich, dass ein Bundespräsident die kurzfristige Anfrage, für ein Referat zum Thema „Schweiz und Solidarität“ nach Zürich zu reisen, mit „ja“ beantworte, sagte ETH-Rektor Konrad Osterwalder zu Begrüssung. „Aber es ist selbstverständlich, dass ein Alumnus der ETH kommt, wenn man ihn ruft“, so Osterwalder mit einem Augenzwinkern zum ehemaligen Ingenieur-Studenten Kaspar Villiger.

Nie geschwänzt: Karl Schmid

Vor wohl aufgrund der Sommerhitze etwas enttäuschender Kulisse erinnerte Villiger zunächst an den ETH-Professor Karl Schmid, den bedeutenden Germanisten und politischen Denker. „Das waren die Vorlesungen, die ich nie geschwänzt habe“, bekannte der für sein Pflichtbewusstsein bekannte Magistrat: “Schmid hat in mir die Freude am Nachdenken über unser Land geweckt.“

Die vom Bundesrat vor gut fünf Jahren – in der Phase der Holocaust-Debatte - ins Auge gefasste Solidaritätsstiftung ist ein Thema, das zweifellos zu solch vertiefterem Nachdenken anregt. Mit diesem Projekt wird an einen staatspolitischen Wert appelliert, der in der Schweiz von der AHV über das Steuer- bis zum Konkordanzsystem in so ziemlich jeder politischen Lösung zu finden ist. Am 22. September entscheidet sich an der Urne, ob Volk und Stände dafür sind, den Erlös aus dem Verkauf überschüssiger Goldreserven der Nationalbank unter anderem in eine Stiftung für humanitäre Projekte zu investieren – oder ob sie der Initiative der SVP zustimmen, die die ganzen zu erwartenden 20 Milliarden Franken der AHV zukommen lassen will.

“Kleine Alarmsignale“

So stabil das Staatsgebilde Schweiz erscheine: die Fakten sprächen eigentlich für Zerbrechlichkeit und Instabilität, sagte der Bundespräsident. Ein „Konglomerat von Minderheiten“ sei das Land, sprachlich und kulturell disparat, mit der Neigung zu „Gezänk und Kritikastertum“. Bei alledem sei, so, scheine ihm, die Solidarität immer schon eine wichtige Bindekraft gewesen, die wechselseitige Mitverantwortung der Mitglieder einer Gesellschaft. Sie erstrecke sich von den Talgenossenschaften in der Urschweiz zum bis heute geltenden Prinzip, dass „nichts von Belang aus der Verantwortung aller entlassen wird“.

Es gebe derzeit „kleine Alarmsignale“, so Kaspar Villiger, dass diese gewachsene politische Kultur in Gefahr sei; zu den Gefahrenquellen zählt er übersteigerten Individualismus, die Verabschiedung von wirtschaftlichen Eliten aus der staatlichen Gesamtverantwortung oder „die Tendenz zu einer fundamentalistischen Polarisierungspolitik“.


Was tun mit den Goldreserven?

Die Schweizerische Nationalbank verkauft zur Zeit etwa die Hälfte ihrer Goldreserven, ca. 1'300 Tonnen, weil diese zur Führung der Geldpolitik nicht mehr benötigt werden. Eine Volksinitiative der SVP verlangt, den ganzen Betrag ausschliesslich für die AHV zu verwenden. Der Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament sieht vor, das Goldvermögen während 30 Jahren in der Sustanz zu erhalten und lediglich die Realzinsen von jährlich 600 bis 700 Mio. Franken zu nutzen. Zu je einem Drittel sollen diese der AHV, den Kantonen und der Stiftung Solidarität Schweiz zukommen. Diese soll Projekte finanzieren, die Menschen in Not unterstützen, je zur Hälfte im In- und Ausland.




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br k villiger
"Beitrag zur Erneuerung der humanitären Tradition." Bundespräsident Kaspar Villiger über die Solidaritätsstiftung. gross

Letztere laufe auf die Diffamierung des politischen Gegners hinaus, und „wer das Doppelspiel Regierungspartei und trotzdem Opposition überdreht, wer die Milizpolitiker permanent als classe politique lächerlich macht und den Staat, der wohl begrenzt bleiben muss, systematisch schwächen will, der sägt an einem Pfeiler des nationalen Zusammenhalts.“ Deutliche Worte, die unverkennbar an die SVP gerichtet waren.

Nicht Ergebnis von Druckversuchen

Wenn Solidarität ein nationaler Grundwert sei, müsse hin und wieder darin investiert werden. Die Stiftung „Solidarität Schweiz“ sei eine solche Investition. Ihr stünden jährlich rund 200 Millionen Franken zur Verfügung. Dem Bundesrat schwebe „kein neues Hilfswerk“ vor. Einen schlanken, beweglichen Apparat solle es geben, um in Programme und Projekte zu investieren, die an der Bekämpfung der Ursachen von Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit arbeiten.

Rückblickend auf die neunziger Jahre hätte die Stiftung etwa die Drogenprävention oder Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit unterstützen können. „Heute ist es die Bekämpfung von Familienarmut“, hier habe die Politik noch keine geeigneten Mittel in der Hand. Weitere denkbare Felder seien die Bekämpfung jugendlicher Gewalt, nicht nur in Konfliktgebieten, sondern auch auf Schweizer Pausenplätzen, oder die Ausrottung einer Krankheit. „Möglich wäre auch die Vergabe einer Art Nobelpreis für Projekte dieser Art“, sagte Villiger.

Nicht wenige hätten den Eindruck, die Stiftung sei „Ergebnis ausländischer Druckversuche“. Das sei falsch, betonte der Bundespräsident. Wohl sei die Idee während der Debatte um nachrichtenlose Vermögen und Raubgold aus der Nazizeit entstanden, „im Umfeld eines Stücks Vergangenheitsbewältigung“, doch sei sie konsequent auf die Zukunft gerichtet.

Nur leise Kritik

Widerspruch zur Solidaritätsstifung hatte Kaspar Villiger in der kurzen abschliessenden Fragerunde keinen zu gewärtigen; obwohl er sich sichtlich gern damit auseinandergesetzt hätte. Leise Kritik enthielt allenfalls die Frage eines Zuhörers, wie die betonte Zukunftsgerichtetheit der geplanten Stiftung mit den immer spürbarer werdenden Restriktionen bei der Bildungsfinanzierung zusammengehen könne. Der Finanzminister setzte dem seinen anhaltenden „Kleinkrieg“ entgegen, der in der Abwehr wachsender Begehrlichkeiten von allen Seiten bestehe - bei gleichzeitig vom Volk auferlegter Pflicht, die Schuldenbremse zu ziehen.

Initiative zweier ETH-Physiker

Dass diese Rede an der ETH stattfand, ist übrigens der Initiative von zwei Physikern der ETH, Jürg Fröhlich und René Monnier, zu verdanken, die sich schon seit mehreren Jahren damit beschäftigt haben, wie der Vorschlag einer Solidaritätsstiftung aus der Professorenschaft unterstützt werden könnte. Die Initianten fanden, es stehe einer öffentlichen Institution wie der ETH gut an, als Diskussionsforum für ein bedeutendes nationales Projekt zu dienen und damit Befürwortern wie Gegnern der Vorlage Gelegenheit zu bieten, ihre Argumente der Öffentlichkeit vorzustellen. Allerdings, meint René Monnier gegenüber ETH Life, hätte man sich gewünscht, "dass eine etwas grössere Zahl von Teilnehmern diese Chance ergriffen hätte."


Literaturhinweise:
Unter folgendem Link finden Sie den gesamten Redetext: www.efd.admin.ch/d/dok/



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