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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 28.04.2003 06:00

100. Geburtstag einer frühen ETH-Doktorandin
„Ich war ein lebender Computer"

Nora Winterhalter doktorierte 1929 an der ETH in „Spezieller Botanik", wie es damals genannt wurde. Sie feiert heute Montag in ihrem Heim an der Steinwiesstrasse in Zürich ihren 100. Geburtstag. In einem Gespräch erzählt sie aus ihrem Leben. „Ich war ein lebender Computer", umschreibt sie lachend ihre wissenschaftliche Tätigkeit. „Sie war ungeheuer gewissenhaft und fleissig", ergänzt Sohn Kaspar Winterhalter.

Von Regina Schwendener

Ich war gespannt auf die Begegnung mit Nora Winterhalter, der Frau, die 1929 bei Professor Ernst Gäumann im noch jungen Fach Phytopathologie doktorierte und heute, am 28. April, 100 Jahre alt wird. Auf mein Läuten öffnet mir eine schlanke Frau die Tür, begrüsst mich freundlich und heisst mich in ihrem gemütlichen Heim willkommen. Meine Gastgeberin führt mich in einen grossen hellen Wohnraum mit vielen Pflanzen und zahlreichen Blumensträussen. Fotos von Familienangehörigen, Freundinnen und Freunden sowie unzählige Zeitungen und Bücher ziehen den Blick an. Ich will eigentlich sie ausfragen, aber interessiert und aufgeweckt nimmt Nora Winterhalter das Heft in die Hand und erkundigt sich über mein Arbeitsgebiet, will erst einmal ihre Besucherin kennen lernen und stellt dann fast entschuldigend fest: „Wissen Sie, mich interessiert eben immer noch alles, was an der ETH passiert." Im Laufe des Gesprächs vergisst man rasch einmal das hohe Alter der zierlichen Frau, die einen mit ihrem Humor, aber auch mit dem, was sie lebhaft erzählt, in ihren Bann zieht.

Als Lehrerin tätig

Vor 100 Jahren wurde Nora Winterhalter als waschechte Schweizerin, deren Stammbaum jedoch ein paar Äste gen Schwarzwald streckt, in Zürich geboren. Die Bilder, welche die Wände in der Wohnung von Nora Winterhalter zieren, stammen vom Vorfahren, dem Kunstmaler Winterhalter aus Menzenschwand. Als junges Mädchen wuchs die Jubilarin in einer Arztfamilie auf, in der man im Gegensatz zu den damals üblichen gesellschaftlichen Gepflogenheiten sehr liberal dachte. Das sei ihr auch zugute gekommen, stellt die spätere Botanikerin fest, denn sie hatte keine Probleme, ihren Wunsch nach einem naturwissenschaftlichen Studium in die Tat umzusetzen. In diesem Sinne wurde auch das Thema „Frau in einer von Männern dominierten Welt" nie zu einem Problem für sie. „Mal war ich während des Studiums die einzige Frau, mal waren wir zwei. Es war die Zeit, in der die Frauen versuchten, sich stärker durchzusetzen", erzählt Nora Winterhalter. „Ich erinnere mich, dass eine Holländerin damals sehr wütend auf mich war, weil sie fand, ich sei mit den Studenten zu freundlich."

Anfangs habe sie Pharmazie ins Auge gefasst, bevor ihr Hans Pallmann - Freund der Familie und 1949 Präsident der ETH - vom „Verkäuferberuf" abgeraten und ihr das Studium der Naturwissenschaften ans Herz gelegt hatte, welches sie 1929 mit einer erfolgreichen Dissertation bei Professor Ernst Gäumann abschloss. - Und dann hat die junge Akademikerin die wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen? - „Nein. Ich habe meine Leistungen nie als so aussergewöhnlich angesehen. Ich wurde Biologie-Lehrerin an der Höheren Töchterschule von Zürich", erzählt sie bescheiden und mit einem verschmitzten Lachen. Sie heiratete 1930 den ETH-Geologen und Studienkollegen Robert U. Winterhalter und wurde bald schwanger.

„Wissen Sie", erklärt Nora Winterhalter, „den Schülerinnen eine schwangere Lehrerin zuzumuten, war damals nach Meinung meiner älteren weiblichen Kolleginnen geradezu unanständig für die empfindlichen Seelen der Mädchen." Heute wird die Jubilarin von ihrem Sohn, ihrer Tochter, deren Mann, vier Enkeln und acht Urenkeln umsorgt. Die liebevoll neckende Art zwischen Sohn - er hat sich inzwischen zu uns gesellt - und Mutter sorgt während des Gesprächs immer wieder für Heiterkeit.

Bis 75 in der Forschung tätig

Von ihrem Mann, dem sie nach der Geburt der Kinder als Assistentin zur Seite stand, Karten malte, Literatur zusammen suchte, liess sich Nora Winterhalter 1947 scheiden.


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Kaspar Winterhalter freut sich, mit der Familie den 100. Geburtstag seiner Mutter feiern zu können. gross

Hans Pallmann übernahm die Vormundschaft für die Kinder, und für Nora Winterhalter stellte sich die Frage, wie sie ihren und der Kinder Lebensunterhalt bestreiten konnte. Als Lehrerin kam sie nicht mehr an. „Die Begründung war", lacht die 100-jährige, „ich sei zu nett und zu hilfreich gegenüber den Schülerinnen und Schülern." Kurz darauf hat sie aber Professor Gäumann zu sich an sein Institut geholt. Einer in dieser Gruppe, in der die Botanikerin gearbeitet hat, war Jakob Nüesch, später ETH-Präsident. Jakob Nüesch ist ein enger Freund der Familie geworden. Nach ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit bei Ernst Gäumann wechselte Nora Winterhalter zu Professor Leopold Ettlinger. Hier wirkte sie bis 1977, bis ins 75. Lebensjahr.

Erinnerungen bleiben

Nach ihrem beruflichem Engagement habe sie es genossen, Städte in anderen Ländern anzuschauen und überhaupt, Reisen zu unternehmen. Als Nora Winterhalter 80 Jahre alt war, fuhr sie mit ihrem Sohn in den Südwesten der Vereinigten Staaten zur Jahreszeit der blühenden Kakteen. „An diese Reise habe ich besonders schöne Erinnerungen", strahlt die Jubilarin. Ihre schlimmste Erinnerung? - Die Trennung von ihrem Mann. „Es hat mindestens zwei Jahre gedauert, bis ich dies als Segen erkannte."

Welche Erinnerungen verbindet Nora Winterhalter mit den Weltkriegen? „Beim Ersten Weltkrieg erinnere ich mich, dass man uns in der Schule sagte, jetzt ist Krieg und das Wasser würde knapp. Da bin ich nach Hause gerannt und habe zwei Badewannen mit Wasser gefüllt." Das war wohl eine lächerliche Reaktion, sinniert sie. Nicht wohl ist ihr in Gedanken an den Zweiten Weltkrieg, bei dessen Ausbruch die Familie in Deutschland war, das sie fluchthaltig verliess. In diesem Weltkrieg war ihr Mann Platzkommandant in Davos. Nora Winterhalter erinnert sich an interessante Begegnungen wie mit dem Antinazi Ziegler - später deutscher Bundestagsabgeordneter -, aber auch an solche, die sie frustrierten und wütend machten. Ihre Augen blitzen, als sie sagt: „Da war ein Herr Bode. Der hat versucht, mir gegenüber die Nazis zu verherrlichen. Ich glaube, ich war noch nie so wütend. Einen andern habe ich rausgeworfen, als er beim Mittagessen über Churchill geschimpft hatte. Das waren gute Freunde meiner Eltern." - Dass sie für die damalige Zeit Zivilcourage zeigte, ist ihr nicht einmal bewusst.




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