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Publiziert: 11.04.2001 06:00

Selbstverwirklichung kontra Effizienz
"Menschlicher" Studieren: Ja, aber wie?

Von Thomas Bernauer

In der Neuen Zürcher Zeitung vom 2. April 2001 (S.11) plädiert Theodor Schmid, Politischer Sekretär des Verbandes der Schweizerischen StudentInnenschaften, für ein menschlicheres Studieren, das mehr Raum für selbständiges Lernen und Forschen bietet.

Vieles an Schmids Kritik des Studienbetriebs an Schweizer Universitäten und der ETH ist berechtigt. Die Gestaltung von Studiengängen orientiert sich in jüngerer Zeit immer stärker an engen ökonomischen Effizienzkriterien. Bildung auf Hochschulebene wird zunehmend weniger als menschliche Aktivität zur Selbstverwirklichung begriffen. StudentIn sein als Lebensform, die ein vorwiegend intellektuelles Bedürfnis erfüllt, stösst weitherum auf Ablehnung. Bildung gilt vielmehr als Investition in die Humankapitalbildung, die im Sinne einer Input-Output Logik möglichst effizient organisiert werden muss.

Wildwuchernde Verregelung

Dieses Effizienzdenken hat - paradoxerweise - nicht etwa zu einer Deregulierung im Studienbetrieb geführt, sondern eher zu einer wildwuchernden Verregelung, die der Kreativität weniger Raum lässt. Immer mehr Prüfungen, Beschränkungen der Studienzeit, Evaluationen am Laufmeter, und vieles mehr. Hinzu kommen die desolaten Betreuungsverhältnisse an vielen Schweizer Hochschulen aufgrund einer sich weit öffnenden Schere zwischen der Zahl der Studierenden einerseits und Dozierenden andererseits. Natürlich leiden nicht nur die StudentInnen, sondern auch die Dozierenden unter diesen Missständen. Prüfungen, Präsenzkontrollen, Evaluationen und dergleichen gehören für mich, und sicher auch für die meisten anderen Dozierenden, zu den unattraktivsten und unproduktivsten Tätigkeiten einer Professur. Sie kosten viel Zeit und Nerven und sind intellektuell wenig bereichernd.

Wie könnten diese Probleme gelöst und das Lernen an Hochschulen wie der ETH Zürich für alle beteiligten Menschen attraktiver und sinnvoller gemacht werden? Leider bekomme ich von den Studierenden, die ich immer wieder danach frage, meist nur recht vage Antworten. Viele StudentInnen scheinen ein "verschultes" Lernsystem, das ihnen schwierige Entscheidungen abnimmt und sie an ein sicheres Ziel führt, sogar zu schätzen. Reformen in den Studiengängen der ETH werden praktisch immer "von oben", d.h. durch die Dozierenden, initiiert und von den Studierenden fast ausnahmslos ohne Widerstände "geschluckt".

Beliebig lange lernen?

Leider kann ich auch dem NZZ-Beitrag von Theodor Schmid wenig abgewinnen. In vielen Punkten bleiben Schmids Vorschläge leere Worthülsen, z.B. "... was es braucht, sind nicht Lehrer, die ihre eigene Arbeit präsentieren, sondern Diskussionen unter der Leitung von Menschen, die Menschen fördern." Mit einigen Vorschlägen rennt er offene Türen ein; beispielsweise wenn er fordert, dass "...Forschungsergebnisse, die ein Professor auf Grund von Arbeiten seiner Studierenden publiziert..." als solche gekennzeichnet werden müssen.


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thomas bernauer
Politologe Thomas Bernauer

Andere Vorschläge wiederum sind so unpraktikabel, dass sich eine weitere Diskussion erübrigt; z.B. dass Professuren auf fünf Jahre beschränkt sein müssen und nur auf ausdrücklichen Wunsch der Studierenden verlängert werden dürfen, oder dass "...die Freiheit gegeben sein {muss}, jederzeit und beliebig lange nachzudenken, zu lernen und zu forschen."

Was wollen die Studierenden?

Ich würde im ETH Life gerne erfahren, welche Formen des Lernens Studierende der ETHZ als ideal empfinden, und wie sie die Studiengänge der ETH entsprechend organisieren würden. Ist die Annahme, dass ProfessorInnen, die aufgrund gesicherter Anstellungsbedingungen eine grosse Freiheit in Forschung und Lehre besitzen, das Rückgrat des Lehrbetriebs bilden müssen, immer noch sinnvoll? Ist die gegenwärtige Euphorie über den Einsatz neuer Technologien im Studienbetrieb berechtigt? Oder sind Kurse in kleinen Gruppen, die das selbständige Arbeiten der Studierenden fördern und auf wenig Technologie, dafür aber viel persönlicher Interaktion beruhen, im Erzielen von bestimmten Lerneffekten wirksamer? Wenn ja, würde es genügen, die Dozierenden vor ihrer Anstellung noch sorgfältiger auf fachliche und pädagogische Fähigkeiten zu prüfen, die Betreuungsverhältnisse durch die Anstellung von mehr Dozierenden zu verbessern und die Regulierungswut im Studienbetrieb einzudämmen? Im Moment werden zahlreiche Studiengänge der ETH Zürich umgebaut, ein guter Zeitpunkt also für Vorschläge von Seiten der StudentInnenschaft.


Zur Person

Thomas Bernauer, geboren 1963 in London, Ontario (Kanada), ist seit April 1999 ausserordentlicher Professor für Internationale Beziehungen am Zentrum für Internationale Studien (CIS) der ETH und Uni Zürich. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören Fragen der internationalen Wirtschafts- und Umweltpolitik sowie der Rüstungskontrolle.






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