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Publiziert: 16.06.2003 06:00

Zukunft des Siedlungsraums Schweiz
Weder Stadt noch Land

Die Stiftung "Avenir Suisse" hat am letzten Mittwoch das Buch "Stadtland Schweiz" präsentiert, das Zukunftsszenarien für den Siedlungsraum Schweiz zur Diskussion stellt. Am Buch mitgearbeitet haben auch mehrere Forschende der ETH Zürich.

Von Felix Würsten

Was ist die Schweiz? Ein moderner Staat, weltoffen und urban, der sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten weiss? Ein föderalistisches Gebilde aus 26 Kantonen und 2880 Gemeinden, das verzweifelt an den bewährten Strukturen festhält, um seine Identität zu erhalten? Eine vorbildliche Willensnation, in der vier Sprachgemeinschaften friedlich zusammenleben? Oder doch eher ein Nebeneinander von Regionen, die sich mehr und mehr auseinander leben?

Die Anzeichen jedenfalls, dass sich die Schweiz in einer Identitätskrise befindet, mehren sich. Doch die Diskussion, welchen Weg die Schweiz in Zukunft beschreiten soll, will nicht so recht in Gang kommen. Vielleicht, weil in vielen Köpfen nach wie vor ein antiquiertes Bild der Schweiz herumgeistert, ein Bild, das die Schweiz mit den Kategorien "Stadt" und "Land" begreifen will, obwohl doch der weitaus grösste Teil der Bewohner - rund drei Viertel - weder in der Stadt noch auf dem Land wohnt und arbeitet, sondern in Siedlungen, die sich diesen beiden Begriffen entziehen.

Diskussion anstossen

Die Stiftung Avenir Suisse möchte diese Diskussion nun mit einem Buch beleben. "Stadtland Schweiz" (1), so der treffende Titel, setzt sich explizit mit den Problemen der Agglomerationen auseinander und will Denkanstösse zur Zukunft des Siedlungsraums Schweiz vermitteln. Am letzten Mittwoch wurde das Werk, an dem verschiedene Forschende der ETH Zürich als Autoren mitgewirkt haben, in Zürich der Öffentlichkeit vorgestellt.

Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass sich der Siedlungsraum in den letzten Jahrzehnten auf eine verheerende Art und Weise entwickelt hat. Das verdeutlichen die Fotographien von Joël Tettamanti auf eindrückliche Weise. Geschäftshäuser, Wohnsiedlungen, Strassenzüge, Brücken und Lagerhallen breiten sich überall im Land aus, ordentlich, zweckmässig und gesichtslos - Siedlungsbrei eben, wie es die überzeugten Städter verächtlich nennen. Es sind beklemmende Bilder, die so gar nicht zu den Fotos in den Tourismusprospekten passen wollen.

Weiterdörfeln wie bisher?

Noch einmal fünfzig oder hundert Jahre in diesem Stil "weiterdörfeln" (Max Frisch), das ist weder wünschenswert noch praktikabel, sind die Herausgeber überzeugt. Klar ist aber auch, dass die Zeit der grossen planwirtschaftlichen Lösungen vorbei ist, wie Thomas Held, Direktor von Avenir Suisse, an der Buchvernissage erklärte. Heute gehe es darum, auf Grund einer analytischen Beschreibung neue Perspektiven für die Agglomerationen zu entwickeln. Und diese sehen je nach dem ganz verschieden aus, wie die Autoren anhand von sieben Fallbeispielen aufzeigen.

Das Buch versteht sich als Lesebuch, das zum Nachdenken anregen soll, meinte Held. Diesen Anspruch vermag es sicher einzulösen. Wer sich Sorgen um die Raumentwicklung macht, findet eine Fülle von Fakten, Ideen und Anregungen. Dabei verfolgen die beiden Herausgeber, Angelus Eisinger (Institut für Geschichte der ETH Zürich) (2) und Michel Schneider (Avenir Suisse) (3) ein durchaus ambitioniertes Ziel, hoffen sie doch, eine ähnliche Kontroverse auszulösen wie Lucius Burckhardt, Markus Kutter und Max Frisch in den fünfziger Jahren mit dem Buch "Achtung, die Schweiz".

Der Traum vom Land

Doch woher rührt denn das Malaise? Schliesslich sind Raumplanung, Verkehrspolitik, Standortmarketing, Tourismusförderung, Landschaftsschutz, etc. in der Schweiz ja keine Fremdwörter. Ein Hauptproblem sieht Georg Tobler vom Bundesamt für Raumentwicklung darin, dass die meisten Bewohner zwar auf dem Land wohnen möchten, dort aber nicht ländlich leben wollen, sondern städtisch. Es gelte nun, so Tobler, vermehrt urban zu denken - wer vom Land träumt, baut keine gute Stadt. Nötig sei auch, die bisherigen politischen Grenzen zu überwinden und demokratisch legitimierte Strukturen zu schaffen, die mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten übereinstimmen.

Die Autoren von "Stadtland Schweiz" plädieren daher für eine Stärkung der Regionen. Dazu braucht es nicht nur planerische Konzepte und neue politische Strukturen, sondern auch Identität stiftende Elemente, findet Martin Hofer von der Firma Wüest & Partner. Mag sein, das man als Zürcher, Berner, Basler oder Genfer von den anderen belächelt wird - aber man hat zumindest eine Stadt, der man sich zugehörig fühlt. Doch mit was identifizieren sich die Menschen im Spreitenbach, Rheinfelden oder Gümligen?


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Bilder aus der Schweiz: Spreitenbach (ZH), Renens (VD). (Bilder: Joel Tettamanti, (c) Avenir Suisse) gross

Die Schweiz als Hub City?

Doch braucht die Schweiz daneben nicht auch eine übergreifende Vision? Immerhin orientieren sich drei der wichtigsten Zentren - Genf, Lugano und Basel - zunehmend gegen aussen und wenden sich mehr und mehr von der Schweiz ab. Die holländischen Städteplaner vom Büro MVRDV (4) haben deshalb Szenarien entworfen, wie die Schweiz zu einer neuen Identität finden könnte. Es sind bewusst überzeichnete und zugespitzte Zukunftsbilder, die grundlegende Ideen unbefangen zur Diskussion stellen wollen.

Man könnte etwa, meinte Winy Maas, Mitbegründer von MVRDV, Olten zu einem europäischen Verkehrsknotenpunkt ausbauen (die Schweiz als Hub City), oder die Bevölkerung im Grossraum Zürich konzentrieren und so eine europäisch bedeutende Stadt schaffen (Super-Zurich). Man könnte auch den Verkehr auf hohe Brücken verlegen (Scenic Highways), oder das Land zu einem bedeutenden Energielieferanten Europas machen (Energy City), indem man die Alpen mit Sonnenkollektoren vollpflastert und den Jura mit Windkraftwerken überstellt.

Bauen als Vision

Spätestens hier kommen allerdings leise Zweifel auf, ob man mit solchen Szenarien fernab der Realität wirklich eine fruchtbare Kontroverse auslösen kann. Die Idee, mit gigantischen Bauwerken und neuen urbanen Zentren die heutigen Probleme zu lösen, ist nicht gerade ein origineller Ansatz - man erinnere sich etwa an die Vision, im Seebecken von Zürich Hochhäuser auf aufgeschütteten Inseln zu bauen. Ein Teil der gegenwärtigen Misere besteht ja gerade darin, dass moderne städtische oder stadtähnliche Siedlungen in der Realität häufig wesentlich trister aussehen, als sich dies die Planer ursprünglich vorgestellt hatten.

Wird aus Zürich dereinst "Super Zurich"? Als Vision schlagen die holländischen Planer vor, entlang des Sees eine neue, moderne Stadt zu bauen, die von renaturierten ländlichen Regionen umgeben ist. Bild: MVRDV, (c) Avenir Suisse)


Fussnoten:
(1) Angelus Eisinger und Michel Schneider (Hg.): Stadtland Schweiz. Untersuchungen und Fallstudien zur räumlichen Struktur und Entwicklung in der Schweiz. Birkhäuser - Verlag für Architektur, Basel 2003. 408 S., Fr. 88.-
(2) Institut für Geschichte der ETH Zürich: www.ifg.ethz.ch/
(3) Stiftung Avenir Suisse: www.avenirsuisse.ch/
(4) Homepage von MVRDV: www.mvrdv.archined.nl/



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