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Rubrik: Im Gespräch
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Publiziert: 10.05.2001 06:00

Podiumsdiskussion zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms
Gentechnik: Waffe oder Hilfsmittel?

"Der perfekte Mensch? - Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms" war das Thema eines Podiums am Zürcher Festival des Wissens. Doch die Diskussion drehte sich weniger um Perfektion als um die individuelle Selbstbestimmung und die Grenzen der Gentechnologie.

Von Christoph Meier

Das Thema Gentechnologie scheint immer noch auf breites Interesse zu stossen. So war gestern Mittwochabend die Aula der Universität bis auf den letzten Platz besetzt, als das vom Tages-Anzeiger und dem Zürcher Festival des Wissens organisierte Podium "Der perfekte Mensch? - Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms" über die Bühne ging. Unter der Leitung des Chefredaktors des Tages-Anzeigers, Philipp Loepfe diskutierten Suzanna Braga, Psychotherapeutin und Spezialärztin für medizinische Genetik, Klaus Lindpaintner, Vizepräsident und Direktor von Roche Genomics, Hans-Peter Schreiber, Leiter der Ethik-Stelle der ETH Zürich und Peter Wehrli, Leiter des Zentrums für selbstbestimmtes Leben.

Potente Waffe Gentechnologie

Wehrli markierte auch gleich zu Beginn der Diskussion seine Position mit der Metapher von der Gentechnologie als potenter Waffe. Er äusserte grösste Bedenken bezüglich der Verwendung und der Kontrolle des von der Gentechnologie generierten Wissens. Die Metapher aufnehmend merkte der Roche-Vetreter an, dass die Gentechnologie in der Tat eine potente Methodologie darstelle, doch sei es wie beim Metall, das zum Schwert oder zur Pflugschare verwendet werden könne. Seiner Meinung nach diene die Gentechnologie vor allem dazu, das Verständnis von Krankheiten zu vertiefen. Dies führe wiederum zu spezifischeren Diagnosen und Therapien. In der Diagnostik ist auch gemäss Suzanne Braga bisher am meisten erreicht worden ganz im Gegensatz zur Therapie. Sie erinnerte aber daran, dass die Möglichkeiten der Gentechnologie genützt werden sollen, dabei aber der Mensch nicht vergessen werden dürfe.

Die zypriotische Eugenik

In Europa wurde durch den Erbgesundheitswahn des Dritten Reiches die Eugenik zu einem hochproblematischen Begriff. Trotzdem werden heute Abtreibungen auf Grund genetischer Befunde akzeptiert. Angesprochen auf die in Zypern praktizierte Eugenik (1) bezüglich der Erbkrankheit Thalassämie, verwies der Ethiker Schreiber auf unterschiedliche Wertvorstellungen in verschiedenen Kulturen und dass wir nicht befugt seien, über andere Kulturen moralisch zu urteilen. Im Fall von Zypern ist auch zu beachten, dass die mittels genetischer Screenings durchgesetzte Verhütung von Thalassämie in der Bevölkerung breit abgestützt ist.


Beta-Thalassämie in Zypern

Bei Thalassämie-Kranken ist die Bildung von Hämoglobin, also des roten Blutfarbstoffes, gestört. Dieser hat die Aufgabe, den Sauerstoff von der Lunge über das Blutgefässsystem zum Gewebe zu transportieren. Wird der Sauerstoff nicht mehr transportiert, ersticken die Patienten innerlich. Bereits im zweiten Lebensjahr zeigt sich die Krankheit mit starker Blässe und einer Vergrösserung der Milz. Die körperliche Entwicklung wird beeinträchtigt, das Gesicht ähnelt dem von Menschen mit Down-Syndrom, die Zähne treten hervor, der Leib ist geschwollen, auch die Leber vergrössert sich. Ohne Behandlung führt die Krankheit binnen weniger Monate zum Tod.

Auf Zypern ist die Thalassämie weit verbreitet. Fast jeder siebte Einwohner trägt den Gendefekt in seinem Erbgut. Seit Anfang der 80er Jahre können sich die jährlich 6000 Heiratswilligen freiwillig auf das Vorhandensein des Defekts testen lassen. Dabei werden im Durchschnitt rund 200 Paare als Risikoträger identifiziert. Nicht zuletzt durch Mitwirkung der Orthodoxen Kirche, die den kirchlichen Segen zur Hochzeit erst nach Nachweis der Teilnahme an einem entsprechenden Gentest erteilt, konnte sich die Zahl der an Beta-Thalassämie leidenden Neugeborenen von durchschnittlich 70 auf unter 2 verringern.




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perfekter mensch
Diskutierten über die Chancen und Ängste im Umfeld der Gentechnologie mit: Klaus Lindpaintner und Suzanne Braga. gross

Für Schreiber wäre es bei uns unakzeptabel, wenn ein Zwang zur Eugenik von oben ausgeübt würde. Das höchste, kulturhistorisch gewachsene Gut in Zentraleuropa sei die individuelle Selbstbestimmung. Wehrli ging nicht auf das zypriotische Problem ein, sondern konstatierte allgemein, dass bei genetischen Screenings nicht Krankheiten verhindert würden sondern Menschen. Eine Zurückhaltung bezüglich Screenings in Europa hänge mit der bitteren Erfahrung im letzten Jahrhundert zusammen.

Wahrscheinliche Erkrankungen

In der Folge kam die Problematik genetischer Daten zur Sprache. So wurde einerseits wiederholt betont, dass der Mensch nicht auf sein Genom reduziert werden könne. Lindpaintner machte auch noch darauf aufmerksam, dass auch die komplexen Interaktionen der Genprodukte noch schlecht verstanden seien. Er gestand ein, dass die Versprechungen der Pharmaindustrie mindestens bezüglich der Zeitvorgaben nicht eingehalten werden können. Der Umgang mit Wahrscheinlichkeitsangaben bei Diagnosen müsse der Selbstbestimmung der Betroffenen überlassen werden. Dies veranlasste Braga zur Bemerkung, dass Wahrscheinlichkeitsangaben sehr unterschiedlich interpretiert werden und dass es deshalb wichtig sei, die Leute auch psychologisch zu betreuen.

Verhinderung von Behinderung

"Selbstbestimmung hat etwas mit Geld zu tun", griff Wehrli das Thema auf. Er bemerkte, dass viel Geld aufgewendet würde, um Behinderungen zu verhindern, anstatt dass dieses verwendet würde, um die Behinderten zu integrieren. Er zeigte sich auch in der Folge unversöhnlich, was in der Aussage kulminierte, dass auch Kalaschnikoff mit seiner Waffe nur Gutes im Sinne gehabt habe. Für ihn scheint es klar, dass der Umgang mit den Ressourcen das zentrale Problem ist und dieses im Falle der Gentechnologie wahrscheinlich zum Nachteil der Behinderten gelöst wird.

Alle behindert, keiner perfekt

Als Loepfe die Diskussion auf den Wunsch nach Perfektion lenkte, wurde wiederum darauf hingewiesen, dass genetische Daten nur eine beschränkte Aussagekraft besitzen. Es sei auch so, dass die Gentechnologie eher zur Sichtweise führe, dass wir alle irgendwelche Behinderungen aufweisen. In der anschliessenden, allgemeinen Diskussion äusserte sich ein Behinderter, dass die Sicht der Betroffenen mehr berücksichtigt werden müsste. So gäbe es ihn nicht, wenn er das zweite Kind gewesen wäre. Denn sein Bruder sei abgetrieben worden.

Die Dialogbereitschaft der Pharmaindustrie wollte Lindpaintner zum Schluss demonstrieren, indem er auf die gratis zur Verfügung gestellten CD-Roms hinwies. Wehrli erwiderte lakonisch, dass seine Organisation kein solches Angebot stellen, ja sich kaum eine Kopiermaschine leisten könne. "Die Fragen um die Gentechnologie können heute nicht geklärt werden, doch vielleicht gelingt es uns, sie einzuordnen", sagte Loepfe zu Beginn der Veranstaltung. Der Abend machte aber wieder einmal klar, dass eine gemeinsame Einordnung so schnell nicht stattfinden wird.


Fussnoten:
(1) Zeit-Artikel zum Thema der Eugenik auf Zypern: hhttp://www.zeit.de/2001/08/Wissen/200108_genom_zypern.html



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