ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
Print-Version Drucken
Publiziert: 30.05.2001 06:00

Kolumne: Ablösung
Neue Unruhe

Kommende Woche erscheint mit Albert Kündigs Kolumne der erste Text aus der neuen Kolumnistenrunde. Unsere neuen Zwischenrufer verbindet das Anliegen, als Wissenschaftler mehr als die eigene Disziplin im Auge zu haben. Wir stellen Ihnen im folgenden die vier Persönlichkeiten vor.

Von Norbert Staub

Albert Kündig: Früh elektrisiert

Er wird seine Karriere im kommenden Jahr abschliessen und in Pension gehen. ETH Life zapft die reiche Erfahrung des Professors für Systemtechnik und gewieften Hochschulpolitikers an.

Albert Kündig umschreibt ein Erlebnis, das seinen Berufsweg gesprägt hat, mit einem bezeichnenden Bild: "Ich erinnere mich, dass ich - noch ein kleiner Junge - den Auftrag gefasst hatte, den Gartenweg vor unserem Haus zu rechen: keine sehr spannende Arbeit. Um sie mit einem guten Grund zu unterbrechen, fragte ich meinen Vater, was denn das Wort ‚Koordinate‘ bedeute, das ich irgendwo aufgeschnappt hatte. Seine Antwort war: ‚Damit kann man jede beliebige Position mit Zahlen bestimmen.‘" Dieses Erlebnis habe ihn regelrecht "elektrisiert". "Es war also möglich, mit Zahlen, rein algebraisch, an die Geometrie heranzugehen - dieser intuitiv richtige Gedanke hat mich nicht mehr losgelassen."

Sein erstes Taschenradio hat Kündig bereits in der "Sek" gebastelt. Bald war klar, dass nur eine angewandte Studienrichtung in Frage kam. Computer interessierten ihn brennend, aber die Informatik war Ende der fünfziger Jahre als Fach noch in weiter Ferne. Aus der Not machte er eine Tugend, studierte Elektrotechnik und ging zur PTT, wo er - nach der Entwicklung eines ersten digitalen Vermittlungsknotens - im Forschungsbereich die Informatik aufbaute.

prof albert kźndig
Albert Kündig. gross

1983 wechselte er als Professor an die ETH, wo sich unter seiner Leitung die Technische Informatik von einer kleinen Forschungsgruppe zum Institut entwickelte. Er habe das grosse Glück gehabt, die Entwicklung der Telekommunikation zur totalen Digitalisierung zu erleben und "als Mittäter" seinen Teil dazu beizutragen, sagt Albert Kündig. Sein Anliegen war immer, dass die Elektroingenieure gute Informatikvorlesungen erhalten. "Sie sind im Gegensatz zu den Programmierern ja schliesslich diejenigen, die die Computer bauen".

Mit den Jahren hat sich der Blick des Wissenschaftlers zunehmend auch auf die gesellschaftlichen Auswirkungen seines Tuns gerichtet. Im Schweizerischen Leitungsausschuss für Technologiefolgenabschätzung ist er zuständig für die Frage, wie die schöne neue Informationswelt mit ihren Gadgets Handy, Palm und Laptop die Gesellschaft beeinflusst.

Was regt ihn an der Schweizer Industrielandschaft auf? "Der fehlende Mut: Unsere Firmen neigen dazu, trotz toller Ideen die Flinte zu früh ins Korn zu werfen; oft kann eben ein Produkt erst im zweiten Anlauf zur Marktreife gebracht werden. Produzenten im Ausland sind dann die dankbaren Profiteure." Etwas, das ihn in seiner Kolumne beschäftigen wird, ist die in der Schweiz nicht ganz einfache Umsetzung des europäischen Bologna-Abkommens zum Bachelor-/Master-Studium. Die Elektrotechnik an der ETH ist schon länger auf diesen Zug aufgesprungen - mit Albert Kündig als treibender Kraft.

Luciano Carraro: Forschung am nie versiegenden Rohstoff

Er ist Chemieingenieur ETH und Doktorand am Departement Forstwissenschaften. Sein Thema ist die Reaktivität von Chemiezellstoff. Chemie und Forstwissenschaft - Reagenzglas hier, Fichten und Buchen dort: wie geht das zusammen? "Zum Studium kam ich über die Umweltdiskussionen in den achtziger Jahren: Alle redeten vom Waldsterben, aber niemand kam wirklich draus. Ich wollte wissen, welche chemischen Prozesse zum Beispiel der Umweltverschmutzung zugrunde lagen."

luciano carraro
Luciano Carraro.

Der Industrie-Rohstoff Chemiezellstoff, sagt Carraro, kommt aus umweltfreundlicher Quelle. "Heute werden Polymere gewöhnlich aus fossilem Erdöl hergestellt. Chemiezellstoff dagegen stammt aus nachwachsendem Holz. In meiner Arbeit bestimme ich chemische Eigenschaften dieses Halbfabrikats auf dem Weg vom Rohstoff zum Produkt."

Luciano Carraro ist verheiratet. Was hat ihn dazu bewogen, die - zunächst finanziell nicht einfache - Forschungslaufbahn einzuschlagen? "Der Reiz der ETH besteht für mich in der Chance, mit meinem Wissen zur Nachhaltigkeit in der Industrieproduktion beizutragen", erklärt er. Ein Thema seiner Kolumnen wird wohl die neue wissenschaftliche Schwerpunkte-Politik der ETH sein. "Da setze ich einige Fragezeichen. Dann interessieren mich natürlich Dinge aus dem Arbeitsalltag: die schwache Verkehrerschliessung des Hönggerbergs etwa oder der seltsame Umgang der Fremdenpolizei mit ausländischen ETH-Angehörigen."


weitermehr

prof david gugerli
David Gugerli. gross

David Gugerli: Paradiesvogel

Er hat soeben eine ordentliche Professur für Technikgeschichte an der ETH erhalten - eine Premiere für die Schweiz. David Gugerli gehört zu den Spitzenvertretern einer Disziplin, in der an den Universitäten im deutschsprachigen Raum - im Gegensatz zur "reinen" Sozialgeschichte etwa - nicht gerade mit Hochdruck geforscht wird.

Dabei liegt es auf der Hand, wie stark technische auf gesellschaftliche Entwürfe immer schon einwirkten und diese bedingten. Gugerli: "Technik ist viel zu sozial, als dass man sie nur technisch erklären kann, und die Gesellschaft ist viel zu technisch, um nur mit sozialem Instrumentarium zu studieren." Gutes Anschauungsmaterial dafür bietet Gugerlis laufende Veranstaltung "Technikgeschichte der Umwelt", die das Umweltdenken des 19. und 20. Jahrhunderts reflektiert.

Ein Historiker an der ETH - kommt man sich da nicht wie ausgestossen vor? "Nein", so Gugerli, "ich fühle mich wohl in der Rolle des Paradiesvogels in diesem Haus. Das ist aber kein Freipass. Es erfordert ein gerüttelt Mass an Bereitschaft, zuzuhören, als Beobachter zu fungieren. Der Phil-Ier hat einen ganz anderen Blick auf den Gegenstand des Maschineningenieurs als dieser selbst. Daraus entsteht ein neues Potential für die Reflexion. Es ist wie im Theater: der Kontakt mit den WissenschaftlerInnen erzeugt einen Verfremdungseffekt, wirft ein neues, bereicherndes Licht auf die eigene Arbeit." Und grundsätzlich verfügt Gugerli über ein dickes Fell: "Wer als Historiker an der ETH arbeitet, bekommt hie und da schon zu hören, Geschichte sei 'irrelevant'. Das darf einen nicht tödlich beleidigen."

Dieter Imboden: Blick über den Tellerrand

Was kann ein Physiker zur Lösung von Umweltproblemen beitragen? "Diese Frage hatte ich auch, als mir Anfang der siebziger Jahre vom Direktor der EAWAG eine Stelle angeboten wurde", sagt Dieter Imboden, Professor für Umweltphysik. Ich stellte mich vor mit dem Satz: "Ich bin Theoretischer Physiker und möchte gern ein nützliches Glied der Gesellschaft werden".

prof dieter imboden
Dieter Imboden.

Dass er als erster Physiker bei der EAWAG durchaus am richtigen Ort war, stellte sich schnell heraus. "Ich bin in das Gebiet hineingewachsen, und mein physikalisches Wissen fiel damals, als der Gewässerschutz zum breiten gesellschaftlichen Anliegen wurde, auf fruchtbaren Boden. Es war später dann noch öfter so, dass ich an Aufgaben herantrat, für die es eigentlich kein Vorbild gab. Mir blieb dann nur, es zu versuchen oder nicht. Wenn ich zurückblicke, hatte ich dabei enormes Glück."

Imboden scheint die Rolle des Pioniers zu behagen. 1987 war er massgeblich an der Gründung des ETH-Studiengangs Umweltnaturwissenschaften beteiligt. "Das war eine politisch und institutionell aufregende Sache, weil sich aus diesem Projekt sehr schnell zu ein ganzes Departement entwickelte."

Er ist ein Wissenschaftler, der unkonventionelle Wege geht und gern über den Tellerrand seines ohnehin breiten Forschungsgebiets schaut. Im vergangenen Semester war Imboden Gast am Collegium Helveticum. Dort machte er sich (auch öffentlich) Gedanken über die Rolle der Wissenschaftler in der heutigen Gesellschaft. Sein Fazit: Will die Forschung im gesellschaftlichen Kontext Sinn machen, müsse neben ihr Wissenwollen ganz entschieden ihre Verantwortung treten - besonders angesichts des Fortschritts, der sie zunehmend vor ethisch heikle Situationen stelle.




Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!