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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 14.02.2001 06:00

Kommunikationsprobleme bei umstrittener Forschung
"Trust Me, I'm a Scientist"!!??

Um die gesellschaftliche Akzeptanz ihrer zum Teil umstrittenen Forschung zu erhöhen, rufen die Naturwissenschaften zunehmend die Sozialwissenschaften zu Hilfe - ein Unterfangen, dass scheitern muss, wie unser Kolumnist Thomas Bernauer schreibt: denn Sozialwissenschaftler seien keine Sozial-Ingenieure, welche die Gesellschaft manipulieren können. Viel wirkungsvoller wäre langrfristige interdiszplinäre Forschung.

Von Thomas Bernauer

Vergleicht man die gesellschaftlichen Kontroversen um die Kernenergie und die Biotechnologie, ergeben sich viele Parallelen. Frappant sind zum Beispiel die ähnlichen Reaktionsmuster derjenigen NaturwissenschaftlerInnen und Ingenieure, die an der Erforschung und Entwicklung der jeweiligen Technologie beteiligt sind. Oft verteidigen diese "ihre" Technologie nach dem Schema "Trust me, I'm a scientist". Umso ratloser sind dann viele dieser Forschenden, wenn eine neue Technologie, die einen grossen gesellschaftlichen Nutzen bei relativ geringen Kosten (Risiken) verspricht, auf massive Akzeptanzprobleme in der breiten Öffentlichkeit stösst.

Experten erachten zum Beispiel das mit der Lebensmittelbestrahlung, dem Gebrauch von Wachstumshormonen in der Nutztierzucht oder gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) in Nahrungsmitteln verbundene Gesundheitsrisiko mehrheitlich als sehr gering. Trotzdem sperrt sich die Mehrheit der KonsumentInnen - vor allem in Europa - gegen diese Technologien.

Ein häufig anzutreffendes Reaktionsmuster auf Seiten der Natur- und Ingenieurwissenschaften besteht darin, die Irrationalität der Nicht-Experten zu beklagen und sich ins traute Labor zurückzuziehen. Andere WissenschaftlerInnen wiederum versuchen, die Vorteile einer Technologie stärker an die nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit zu kommunizieren. Auch damit haben sie oft keinen Erfolg. Seit Seveso, Three Mile Island, Tschernobyl, Schweizerhalle und der BSE-Krise haben "TechnokratInnen" in der Öffentlichkeit massiv an Glaubwürdigkeit verloren. Wenn eine Biotech-Spezialistin heute GVOs propagiert, reagiert die breite Öffentlichkeit etwa gleich enthusiastisch, wie wenn die böse Königin Schneewittchen den wunderschönen Apfel anpreist.

In ihrer Verzweiflung wenden sich Befürworter einer neuen Technologie bisweilen an VertreterInnen der "inexakten" Wissenschaften - beispielsweise Politikwissenschaft, Ökonomie oder Soziologie. Einem fast schon stereotypen Ritual folgend, werden die SozialwissenschaftlerInnen gebeten, dabei zu helfen, eine bestimmte Technologie in der Gesellschaft akzeptabler zu machen.


Zur Person

Thomas Bernauer, geboren 1963 in London, Ontario (Kanada), ist seit April 1999 ausserordentlicher Professor für Internationale Beziehungen am Zentrum für Internationale Studien (CIS) der ETH und Uni Zürich. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören Fragen der internationalen Wirtschafts- und Umweltpolitik sowie der Rüstungskontrolle.




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thomas bernauer
Politologe Thomas Bernauer

Das Scheitern solcher Versuche ist vorprogrammiert. Der Grund: SozialwissenschaftlerInnen sind keine Sozial-Ingenieure, welche die Gesellschaft manipulieren können. Sie versuchen vor allem, gesellschaftliche Entwicklungen durch "observational studies" quantitativ und qualitativ zu erfassen und zu erklären. Zum Beispiel können sie erklären, weshalb die Restriktionen gegen GVO-Nahrungsmittel in Europa kontinuierlich stärker geworden sind, während sich in den USA ein Trend Richtung Labeling kombiniert mit grosszügiger Marktzulassung abzeichnet. Sie können zum Verständnis oder zur Antizipation gesellschaftlicher Reaktionen auf neue Technologien beitragen und damit Frustrationen auf Seiten der Natur- und Ingenieurwissenschaften vermeiden helfen. SozialwissenschaftlerInnen sind aber kein Ersatz für PR-BeraterInnen.

Um gegenseitige Missverständnisse zwischen Natur-/Ingenieurwissenschaften und Sozialwissenschaften zu reduzieren, gesellschaftliche Reaktionen auf neue Technologien besser zu verstehen und eine Entwicklung und Nutzbarmachung solcher Technologien im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu ermöglichen, wäre gemeinsame Forschung nötig. Interdisziplinäre Konferenzen und Kommissionen gibt es haufenweise, auch an der ETH Zürich. Forschungsprojekte, in denen Natur- und SozialwissenschaftlerInnen über längere Zeiträume kontinuierlich und intensiv zusammenarbeiten, sind jedoch extrem selten.

Im Rahmen der Alliance for Global Sustainability - einem von der ETH, dem MIT und der University of Tokyo geführten Forschungsprogramm - sind gegenwärtig Bestrebungen im Gange, ein grösseres Projekt dieser Art zu lancieren. Beabsichtigt ist, Forschungsteams bestehend aus Natur- und SozialwissenschaftlerInnen sowie Experten aus der Industrie zu bilden und in diesen Teams bestimmte neue Technologien und ihre gesellschaftlichen Implikationen umfassend zu analysieren. Dadurch werden der bisherigen Rhetorik zur verstärkten Verankerung der Sozialwissenschaften im Forschungsbetrieb an der ETH hoffentlich auch Taten folgen.




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