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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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ETH-Absolventen: Erobert die Redaktionen! |
Von Paul Schmid-Hempel Wir haben es uns so eingerichtet, dass gewisse Dinge jeweilen zu Jahresbeginn zur Kenntnis genommen werden. Dazu gehört an der ETH seit geraumer Zeit ein diskretes, jährliches Schwinden der Ordentlichen Kredite und in der übrigen Schweiz die Neubesetzung in den Redaktionsstuben unserer Zeitungen. Haben diese Dinge miteinander zu tun? Nicht direkt, dennoch fällt etwas auf. Es ist wohl so: Auf der Suche nach Orientierung greift der Zeitungsleser in der verwirrenden Flut der gedruckten Informationen zur publizierten Meinung. Was nicht als Meinung von Redaktoren geschrieben oder gesagt wird hat es schwer, viele Köpfe zu erreichen. Es ist der Kommentar des Leitartiklers, welcher die Gemüter bewegt und manchmal sogar die Politik. Wer aber macht diese Meinungen? Unter acht redaktionellen Neuernennungen einer grossen Zürcher Tageszeitung für 2002 findet sich eine Person, die Geschichte studiert hat, drei neue Redaktoren, die auf ein Sprachstudium zurückblicken, einer mit einem Soziologiestudium und zwei weitere aus dem Bereich Nationalökonomie und Betriebswirtschaft. Diese generelle fachliche Ausrichtung einer Redaktion ist wohl kein Einzelfall, übrigens nicht nur in den Printmedien. Aus der Sicht einer naturwissenschaftlich-technischen Universität wie der ETH stellt man fest, dass unsere Absolventen, zum Beispiel aus den Naturwissenschaften, nicht häufig in solchen Listen erscheinen. Ausserdem steht zu vermuten, dass Physiker, Biologen oder Chemiker dort meist die Spezialdossiers in Wissenschaft und Technik betreuen, selten aber die Dossiers in Politik und Gesellschaft.
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Nun ist es unbestreitbar, dass ein naturwissenschaftlicher Hintergrund die Bewältigung enstprechender fachlicher Themen erleichtert, genauso wie die Kenntnis der Nationalökonomie den Umgang mit den Wirtschaftsvorgängen erleichtert. Es sind denn auch nicht diese Spezialkenntnisse, die hier zu Bemerkungen Anlass geben. Vieles von dem, was im redaktionellen Geschäft gefragt ist, muss man sich wohl im Laufe der Tätigkeit sowieso aneignen, egal woher man kommt. Ein anderer fachlicher Hintergrund vermittelt aber auch eine andere Weltsicht und damit eine andere Sicht von dem, was das Leben lebenswert macht, was nun gut oder schlecht sei. Naturwissenschaften als essentieller Teil unserer westlichen Kultur und als wichtige Grundlage unseres Selbstverständnisses als Bürger sind deshalb auch ein wichtiger Teil von Politik und Gesellschaft. Dies wird aber in der breiten Öffentlichkeit immer weniger wahrgenommen. Die entsprechenden finanziellen Konsequenzen für die Hochschulen sind nicht ausgeblieben. Einsichten und Meinungen, welche durch einen naturwissenschaftlichen Hintergrund geprägt sind, sollten deshalb nicht nur in Spezialdossiers zum Ausdruck kommen, sondern auch bei Alltagsthemen aus Politik und Gesellschaft ihre gebührende Rolle einnehmen. Dies ist beileibe kein Persilschein für Naturwissenschafter und für eine einseitige Sichtweise, aber eine Einsicht bleibt zurück. Die naturwissenschaftliche Sicht der Dinge gehört nicht nur in den Ethikrat. Deshalb: Absolventen der ETH -- erobert die Redaktionsstuben! |
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