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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 12.02.2004 06:00

Malta - ein EU-freundlicher Sonderfall

Von Jürg Martin Gabriel

Malta und die Schweiz verstehen sich beide als nationaler Sonderfall, allerdings mit bemerkenswerten Unterschieden. Der maltesische Sonderfall führt das Land in die Europäische Union, während der schweizerische Sonderfall uns von ihr entfernt. Und noch komischer – es ist die rechts stehende National Party, die Malta nach Europa bringt, und es ist die linke Labour Party, die sich dagegen stemmt. Ganz anders bei uns. Da sind die "Nationalen" gegen die Union, und die Sozialisten dafür.

Zuerst zum nationalen Sonderfall. Etwas Besonderes sind die Malteser insofern, als sie eine semitische Sprache und den Katholizismus in sich vereinen. "Allah" ist das maltesische Wort für ihren christlichen Gott! Die Sprache verbindet die Malteser mit der arabischen Welt, der Katholizismus mit Europa. Besonders ist auch die Marginalität der In-sel. Während zweieinhalb Jahrhunderten wurde Malta von den "Knights of Saint John" zum maritimen Bollwerk im Kampf gegen die Ungläubigen ausgebaut, doch ein Aussenposten war das Land auch im Zweiten Weltkrieg. Für Mussolini und Hitler war der britische Flottenstützpunkt so wichtig, dass die Insel während zweieinhalb Jahren – erfolglos – mit ebenso vielen Bomben eingedeckt wurde wie London. Für ihre Tapferkeit verlieh die britische Krone den Maltesern das Georgs-Kreuz, welches seither stolz die rot-weisse Nationalfahne schmückt. Der Orden wird normalerweise an Individuen vergeben, nur Malta erhielt ihn als Nation.

Nun zum sozialistischen Sonderfall. Traditionell war die maltesische Labour Partei englandfreundlich und internationalistisch. Doch als nach der Unabhängigkeit die britische Navy Valletta verliess und viele Hafenarbeiter arbeitslos wurden, ging der Sozialist Mintoff auf Distanz zum Nato-Mitglied Grossbritannien und zur kapitalistischen EWG. Von nun an gab sich Malta blockfrei und marschierte Hand in Hand mit Jugoslawiens Tito, Algeriens Ben Bella und Ägyptens Nasser – und später mit Libyens Khadaffi. Man suchte die Rolle des neutralistischen Vermittlers, zwischen Ost und West, Nord und Süd, Christen und Arabern. Wie für viele andere Neutrale und Neutralisten hat sich dieser Kurs nach Ende des Kalten Kriegs nicht bewährt.

Schliesslich zum Sonderfall der National Party. Sie, die während Jahrzehnten verbissen für die Souveränität und Unabhängigkeit kämpfte, führt Malta heute in die Europäische Union – auf Kosten der Souveränität. Das mag die Labour Party gar nicht. Sie führte einen (erfolglosen) Abstimmungskampf mit einem Vokabular, das an die Schweizerische Volkspartei und an die Aktion für eine Unabhängige und Neutrale Schweiz (AUNS) erinnert. Man befürchtet den Verlust an Eigenständigkeit, an nationaler Identität und Neutralität – allerdings unter Sozialisten statt Nationalisten.


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Jürg Martin Gabriel, beurlaubter ETH-Professor für Politikwissenschaft und seit März 2003 Direktor der Mediterranean Academy of Diplomatic Studies an der Universität von Malta.

Es gibt gute Gründe, weshalb die National Party alles andere als nationalistisch ist. Im betonten Gegensatz zum autoritären Mintoff gibt sie sich demokratischer und rechtsstaatlicher, und fühlt sich darin von der EU bestärkt. Auch ihre Wirtschaftsnähe ist EU-kompatibel. Dasselbe gilt für die traditionelle Freundschaft dieser Partei mit Italien und dem Vatikan. Die maltesischen "Nationalen" haben Gemeinsamkeiten mit der CSU Bayerns und anderen christdemokratischen Parteien Europas. Natürlich steckt im dezidierten Europakurs der National Party auch eine Portion Eigennutz: Als Netto-Empfängerland wartet man sehnlichst auf den Geldsegen aus Brüssel. Warum nicht; die Umverteilung von den reichen zu den armen Regionen funktioniert in der EU nicht anders als in der Eidgenossenschaft.


Zur Person

Als Romanischbündner zog der20-jährige Jürg Martin Gabriel in die USA und stieg dort die akademische Leiter hoch bis zum PhD. Kaum zurück in der Schweiz, liess er sich 1972 für drei Jahre an die Universität Yaoundé in Kamerun verpflichten. Danach habilitierte er sich an der Uni St. Gallen, wurde Ordinarius und kam 1995 an die ETH. Hier baute er den Studiengang für Berufsoffiziere zum B.A.-Studium in Staatswissenschaften aus. In diesem Jahr hat Gabriel mit der Leitungsübernahme der "Mediterranean Academy of Diplomatic Studies" (MEDAC) auf Malta noch einmal etwas ganz Neues angepackt. Die 1990 gegründete MEDAC wird vom Departement Calmy-Rey unterstützt, sowie vom HEI, dem Institut des Hautes Etudes Internationales der Uni Genf. Völkerrecht, Politikwissenschaften, Ökonomie und Geschichte bilden die Basis für das Ziel, die Kandidaten in ihren diplomatischen Kompetenzen zu schulen. Dabei liegt der Fokus keineswegs auf dem Mittelmeerraum: "Wir streben eine Ausbildung nach europäischen Standards an. Den Studierenden werden aufgeklärte – man kann auch sagen: westliche – Werte vermittelt“, betont Jürg Martin Gabriel.






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