|
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
Print-Version
|
Werde, ETH, die du bist |
Leonhard Kleiser Die ETH Zürich findet sich in einer ausgezeichneten Verfassung: international hoch geachtet, das Flaggschiff der Hohen Schulen des Landes mit einer stolzen 150-jährigen Geschichte, ein Juwel in der Stadtkrone Zürichs und seiner Bildungs- und Kulturmeile. Die Medien und diese Webseiten berichten in reicher Vielfalt von ihren glänzenden Erfolgen. Doch Stillstand wäre Rückschritt, periodische Anpassungen an geänderte Verhältnisse sind unabdingbar. Dem will der anlaufende Reformprozess ETH 2020 Rechnung tragen, der gerade in ersten Umrissen erkennbar wird. (1) Woran sollen sich die Reformen orientieren? Zum einen sicher an den veränderten Rahmenbedingungen, die heute auch global betrachtet werden müssen, an deren absehbarer Entwicklung, und an einer Analyse der eigenen Stärken und Schwächen. Zum anderen wird eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Mission und der eigenen Identität erforderlich. Hier empfinde ich deutliche Defizite. Wir sollten uns nicht auf eine technokratische Diskussion der Ausgestaltung von Ausbildungs-, Forschungs- und Verwaltungsmaschinerien beschränken. Was mir Not zu tun scheint ist, dass wir uns auch an weiter gefassten Zusammenhängen orientieren. Eine Hochschule ist ein Tempel der Kultur, im weiten Sinn des Begriffs, mit einer Vorbildfunktion, die in viele Bereiche hinein ausstrahlt. An der ETH hat sich eine eigene „Kultur“ entwickelt, ein gemeinsam getragenes Selbstverständnis, basierend auf dem 150-jährigen Erbe, das in der abendländischen Tradition wurzelt. Es wäre fatal, wenn wir uns heute von dieser ETH-Tradition abkoppeln würden. Man muss nicht Aristoteles und Erasmus im Original lesen; die Pflege dieser Kultur kann sich aber auch nicht damit erschöpfen, die Graphische Sammlung nicht zu verkaufen. Das Leitbild von 1996 (2) scheint mir immer noch eine gute Richtschnur für die Konsequenzen dieser Grundlagen für unsere Hochschule zu sein. Wer überholen will, tut gut daran, vorher in den Rückspiegel zu schauen. Es gab auch in der Geschichte der ETH häufig Zeiten grosser Umbrüche, deren Ablauf uns heute Orientierung geben könnte. Ein beredtes Zeugnis davon geben die zum150-Jahr-Jubiläum der ETH erschienenen Bücher (3), glänzend geschrieben und fesselnd für jeden an der Historie Interessierten. Eine daraus resultierende langwelligere Betrachtung erscheint mir gerade in der heutigen Situation von besonderem Wert. Was in den ersten Konturen der nun ins Auge gefassten Reformen erscheint, stimmt mich nicht zuversichtlich. Es atmet mir den Geist der Imitation, nicht einer kraftvollen Originalität mit einer kühnen, eigenständigen Gestaltung. Es geht hier nicht um ein krampfhaftes Festhalten an Bestehendem. Doch bevor man Bewährtes über Bord wirft, sollte man weitgehende Gewissheit gewonnen haben, dass das Neue auch besser ist. Nur dass es anderswo irgendwelche Grossen Brüder oder kleinen Schwesterchen so machen, reicht nicht als Begründung. Wenn etwa auf angelsächsische Beispiele Bezug genommen wird: Sind wir nicht in Gefahr, womöglich zu kurz zu denken? Bei aller Macht der Globalisierung: wenn sie schon so fundamentale Diskrepanzen wie etwa die zwischen den beiden Basel oder den beiden Appenzell nicht hinwegzufegen vermochte, umso weniger können Unterschiede zwischen der Schweiz (oder Europa) und den USA in den politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen, historischen und kulturellen Umfeldern ignoriert werden. Was in dem einen System funktioniert, muss das in einem anderen noch lange nicht tun (von hässlichen Schattenseiten ganz zu schweigen). Imitation allein hilft nicht: wer die Arme bewegt wie ein Vogel, fliegt noch nicht wie ein Vogel. Ist die ETH Zürich unter anderem nicht auch deshalb so gut, weil sie anderswo gemachte Fehler bisher vermieden hat? Warum soll ein Spitzenforscher an die ETH kommen, wenn er es hier bald mit denselben Problemen zu tun bekommt, denen er an seiner bisherigen Stelle gerne entfliehen möchte?
|
Manches in dem neuen Konzept ist erst noch mit Substanz zu füllen. Es auch ist kein Geheimnis, dass das vorgeschlagene Organisationsmodell (anderswo schon ein Auslaufmodell?) Besorgnis ausgelöst hat. (1) Viele Fragen drängen sich auf. Wird das Kerngeschäft der Forschung und Lehre bald nur noch am Katzentisch behandelt? Wird es von neu aufgebauten oder gestärkten bürokratischen Imperien zunehmend zur Seite gedrängt? Wenn eine neue Hierarchiestufe eingezogen wird – werden dann nicht die guten Absichten der versprochenen „administrativen Entlastung der Professuren“ ins exakte Gegenteil verkehrt? Neue Organisationsformen mag man dekretieren – eine Organisationskultur, ein gelebter ETH-Geist lässt sich nicht überstülpen. Die ETH ist keine Nudelfabrik. Was für einen Produktionsbetrieb angemessen sein mag, taugt nicht auch schon für eine Hochschule. Was müssen wir tun, um – fliegerisch gesprochen – nicht schleichend in Abwärtsspiralen zu trudeln, sondern zu neuen Höhenflügen anzusetzen? Wie können wir die Schulleitung unterstützen bei der Ausgestaltung als notwendig erkannter Reformen? Beitragen können Studierende, die sich engagieren besonders in den Fragen des Lernens und Lehrens, und eine Professorenschaft, die wachsam ist, sich breit artikuliert sich nicht in allzu vornehmer Zurückhaltung übt. Gefordert sind nicht zuletzt natürlich die Führungsebenen, die wahrhaft zuhören sollten. Sie sollten weder beratungsresistent bleiben gegenüber der Sachkompetenz im eigenen Hause, noch allzu eilfertig sein mit der Übernahme der Vorstellungen fremder Vögte. Man kann der Schulleitung nur beipflichten, dass es Not tut, hinsichtlich der vorgesehenen Massnahmen "die Gründe verständlich zu kommunizieren und die Beteiligten in persönlichen Gesprächen zu überzeugen“ (1) - eine formidable Aufgabe. Schliesslich sollte man sich nicht scheuen, wo nötig Korrekturen anzubringen. Wie hatte schon Winston Churchill erkannt: “However beautiful the strategy, you should occasionally look at the results”. Dass die ETH mit den anstehenden Reformen nachhaltig gestärkt wird, dafür sollten sich alle einsetzen. Ein exzellentes, eigenständiges Original mit europäischem Profil zu bleiben und weiterzuentwickeln erscheint mir allemal besser, als eine mittelmässige Kopie zu werden. Wo ETH draufsteht, muss ETH drin bleiben. Werde, ETH, die du bist!
|
||||||||||||
Literaturhinweise:
Fussnoten:
Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen. |