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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 28.01.2004 06:00

Doktorand – Undefinierbares "Etwas"?

Von Martin Näf

Seit mehreren Jahren lebe ich mit gespaltener Persönlichkeit: Je nachdem, wer mich warum fragt, bin ich mal "ETH Assistent", ein andermal "Doktorand", und manchmal bin ich auch einfach "Forscher". Weil mir bisher keiner die richtig passende Definition geben konnte, habe ich nachgeforscht.

Frage ich das ETH Rektorat, dann bin ich Student – wie es sich gehört mit Legi und Testatbogen ausgestattet. Das finde ich eigentlich ganz praktisch, denn mit der Legi kriege ich nicht nur günstiges Mensa-Essen, sondern auch diverse Verbilligungen in der Zürcher Kulturszene. Irgendwie passt das Label "Student" aber nicht so richtig zu meinem Lebensstil: Vorlesungen habe ich schon länger keine mehr besucht, am Erstsemestrigenfest käme ich mir wie ein Grufti vor und habe deshalb den Kater den jüngeren Kommillitonen überlassen, und in meiner Bekanntschaft ist Heiraten plötzlich ein Thema. So richtig alt fühle ich mich zwar nicht, aber ins typische Studi-Bild passe ich definitiv nicht mehr.

Ende Monat erhalte ich jeweils erfreuliche Post von der ETH Personalabteilung: die Lohnabrechnung mit ansehlichem Betrag. Im Gegensatz zu Papa's Check während Studienzeiten lässt es sich davon sehr vernünftig in Zürich leben, die Sozialabzüge und spätestens die Steuerrechnung geben mir das gute Gefühl, ein Teil der erwerbstätigen, "erwachsenen" Gesellschaft zu sein. Das ist also die Sicht der Personalabteilung: Assistent mit Lohnklasse 15 und 100 % Anstellungsgrad – dort wissen sie nicht mal, dass ich Doktorand bin. So richtig vergleichbar mit einer Anstellung in der Industrie ist der Status allerdings dennoch nicht: Kompensationslose Überstunden in der an der ETH üblichen Grössenordnung sind bestenfalls für höhere Kader akzeptiert, einmal im Jahr erhalte ich das "Kündigungschreiben" der Personalabteilung, und vor allem bin ich faktisch auf Gedeih und Verderben für mindestens drei Jahre meinem Chef ausgeliefert, was meine Stelle und vor allem persönliche Entwicklung – sprich Dissertation – betrifft.

Ich will hier auf keinen Fall ins Jammern verfallen: Wer in gutem Einvernehmen mit seinem Doktorvater (Professorinnen mitgemeint) die Dissertation durchführt und das Glück hat, im "richtigen" Institut zu arbeiten, hat an der ETH nahezu ideale Bedingungen in vielerlei Hinsicht: erstklassige akademische Weiterentwicklung gepaart mit finanzieller Sicherheit.


Zur Person

Dass er Informatiker wird, stand für ihn immer fest. Martin Näf, Doktorand am ETH-Computer Graphics Laboratory hantierte schon als Elfjähriger mit einem programmierbaren Taschenrechner, mit 15 entwickelte er kommerzielle Software und verdiente damit sein erstes Geld. Dennoch: Technik in Reinkultur wäre ihm zuwenig. „Ich bin halt zu sehr auch Sinnesmensch“, sagt er. In der Virtual Reality hat er darum sein ideales Tummelfeld gefunden. Für seine Doktorarbeit hat Martin Näf die die Softwareschnittstelle zur Applikation von „The blue-c“ entwickelt, dem grossen ETH-Projekt, das den Weg zur Telekonferenz der nächsten Generation aufzeigt. Mit „blue-c“ kann man dereinst in Zürich eine Person auch dann dreidimensional begrüssen, wenn diese sich in Santa Barbara aufhält.

Leidenschaftlich betreibt Martin Näf sein Hobby, die elektronische Musik. Im hochgerüsteten Heimstudio produziert er Ambient-Klänge von beeindruckender Qualität. Im Frühjahr 2004 beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt: dann wird er 30, und etwa gleichzeitig sollte seine Diss fertig sein. Nach neun Jahren ETH und viel Engagement für Gremien wie die AVETH, den SSD und die Unterrichtskommission des Departements Informatik hat Martin Näf nun einen Postdoc in fernen Landen im Visier.




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Martin Näf, Doktorand der Informatik und derzeit "ETH Life"- Kolumnist.

Fehlt allerdings das Vertrauen zwischen den Partnern, verkehrt sich das System genauso schnell ins Gegenteil. Von gesicherter Existenz kann plötzlich keine Rede mehr sein, und im Gegensatz zum Diplomstudium fehlen jede Struktur und vor allem klar formulierte Erfolgskriterien. Dass in solchen Fällen häufig Doktorierende wie "kleine" Studierende herablassend behandelt werden, die aber bitte trotzdem ihre Wochenenden im Lab anstatt auf Parties verbringen sollen, macht die Situation nicht besser.

Nun gibt es natürlich Ansätze, um dem Doktorat mehr Struktur zu verleihen. Das Doktoratsstudium mit Kreditsystem ist schon länger Realität, für die weitere Umsetzung in der Praxis wird immer wieder gerne eine stärkere "Verschulung" propagiert. Inwiefern das mit dem Bild des gereiften Wissenschaftlers - nicht nur fachlich - am Ende der Doktoratszeit zusammenpasst, darüber gehen die Meinungen auseinander. Meine Erfahrungen mit Doktorierenden, die ich in den USA kennengelernt habe – und ich meine nicht die paar wenigen Überflieger aus Stanford und dem MIT – bestärken mich allerdings in der Meinung, dass eine verstärkte Verschulung des Doktorates nicht unbedingt in die wünschbare Richtung eines selbständigen Wissenschaftlers geht. Ein blosses Kopieren des angelsächsischen Systems wäre mit Sicherheit wenig qualitätsfördernd, vor allem aber passt das dann nicht mehr mit unserer inhärent labilen Anstellung und dem kaum existenten Stipendienwesen zusammen. Aber auch bei den Anstellungsbedingungen gibt es keine Patentrezepte: Eine garantierte Anstellung über mehrere Jahre verhindert, dass "faule Eier" wirksam entfernt werden können. Dass eine unbefristete ETH Anstellung faktisch nur bei einer wirklich desaströsen Leistung oder massivem Fehlverhalten aufgelöst werden kann, passt nicht mit dem geforderten Leistungsstandard zusammen.

Was bleiben denn für Möglichkeiten übrig? Das Prinzip "Vertrauen" ist kaum zu ersetzen, aber daran muss kontinuierlich gearbeitet werden. Vorgesetzte, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und das ignorante Argument, es sei schon immer so gewesen und anderen geht's noch schlechter, beiseite lassen, sind durch nichts zu ersetzen. Die Arbeit daran beginnt bei der Berufung, und sie muss auch zu einem späteren Zeitpunkt honoriert respektive sanktioniert werden können. Solange die Publikationsliste das einzige Erfolgskriterium darstellt, wird langfristiges, verantwortungsvolles Denken wenig gefördert. Die möglichen Lehren aus der laufenden Personalbefragung bieten hier möglicherweise eine Chance, die hoffentlich gut genutzt wird. Aber auch wir Doktorierende müssen unseren Teil dazu beitragen, indem wir die notwendige Betreuung tatsächlich einfordern und durch Eigeninitiative ergänzen. Nur damit wird meine Definition von Doktorierenden Wirklichkeit: Selbständige, initiative, aufstrebende Forscher.




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