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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Drive by Wire |
Von Albert Kündig Seit Urzeiten träumt der Mensch davon, die ihm auferlegten physischen Grenzen zu überwinden, und ein schöner Teil unserer Erfindungskraft haben wir in Einrichtungen investiert, die uns das Fliegen, das Tauchen und die Fortbewegung zu Lande und zu Wasser mit Geschwindigkeiten erlauben, denen unsere bescheidene Muskelkraft nicht gewachsen wäre. Als Ingenieure sind wir besonders stolz auf technische Systeme, die es dem Menschen sogar gestatten, sich in Bereichen fortzubewegen, wo unsere Wahrnehmung und unsere Reaktionen schlicht zu langsam sind: Computer im Verbund mit Sensoren und Aktoren erlauben uns die Beherrschung von Fahrzeugen und Fluggeräten, ohne dass unsere Füsse noch direkt mit den Bremsen des Autos oder unsere Hände mit den Leitwerken des Flugzeugs in Kontakt stehen. In Anlehnung an das bei Flugzeugen schon länger bekannte Fly by Wire nennt ein bekannter Autohersteller das neue Steuerungskonzept Drive by Wire. Zu Recht rühmt er als Vorteile unter anderem die erhöhte Sicherheit und eine umweltfreundlichere Betriebsweise. Was mir als Ingenieur nun aber gar nicht gefällt, ist das hartnäckige Bestreben, auch den Hochschulbetrieb immer stärker auf eine Art Drive by Wire umzustellen. Nicht etwa, dass ich schon von Plänen gehört hätte, unsere Schulleitung durch einen Superrechner und Softwareagenten zu ersetzen - Gott bewahre! Vielmehr ist es die Festlegung und Auswertung von immer mehr Indikatoren, anhand derer unsere Bildungsmanager auf Bundesebene die Armada der universitären Schlachtschiffe und fachhochschulischen Kreuzer durch die unruhigen Gewässer des tertiären Bildungsozeans steuern wollen. Erstmals aufgeschreckt haben mich 1998 mehrere Publikationen mit vielsagenden Namen - z.B. ein "Beitrag zu einem Indikatorensystem für die Wissenschafts- und Technologiepolitik" oder die "Forschungslandkarte Schweiz 1997" -, Veröffentlichungen, in deren Zentrum alle nur erdenklichen Quervergleiche verschiedener Disziplinen aufgrund bibliographischer Daten oder von Patenten stehen. So interessant diese Publikationen anzusehen sind, es bleibt doch ein schales Gefühl: Wie nur hat man die Disziplinen abgegrenzt? Ist es fair, Soziologen mit Elektronikern aufgrund der Patente zu vergleichen? Weshalb sind die Parade"publikationen" des Architekten und Bauingenieurs - das Kirchnermuseum in Davos oder die Brücke über den grossen Belt - nicht berücksichtigt? Auf diese Kritik angesprochen erklärte mir der Autor einer der Studien: "Sie haben an sich recht - wir messen halt, was wir können; das ist immer noch besser, als nichts zu messen".
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Ich frage mich noch immer, woher diese manischen Bestrebungen kommen, das Hochschulsystem über irgendwelche Indikatoren zu steuern, mit magischen Formeln alle möglichen Messwerte auf eine eindimensionale Exzellenz-Skala zu verdichten und dann die Ressourcen aufgrund dieser Kennzahlen zu verteilen. Hand auf's Herz: Was hat seit Ende meines Studiums 1962 geändert? Die Zahl der Studierenden hat sich zwar verdoppelt, die helvetischen Leitungs- und Stabsorgane (einschliesslich der nach modernen Managementprinzipien "outgesourcten" Leistungen) haben sich etwa verfünffacht. Hauptträger der akademischen Arbeit ist immer noch der Mittelbau - Menschen, die nach wie vor für ihre Doktorarbeit im Schnitt 4 Jahre brauchen. Die Prozesse, die wir steuern und regeln wollen, sind also ihrer Natur nach gleich geblieben; wir bewegen uns an sich - um die Metapher vom Fahren und Fliegen wieder zu bemühen - nicht plötzlich in einer Umgebung, der unsere Sinnesorgane und unsere Muskelkraft nicht gewachsen wären. Offenbar sind wir eben selber schuld, wenn alles viel turbulenter und komplexer geworden ist: Mit all den Schwerpunktprogrammen, Kompetenzzentren, Qualitätssicherungsformeln, Bonusmechanismen, Netzwerken (1)und Förderaktionen ist ein immer komplexerer Mittel-Umverteilungsapparat entstanden, dem man nun mit Drive by Wire beizukommen glaubt. Schade! Informationen sind zwar durchaus nützlich bei der Entscheidungsvorbereitung, Steuerung im Hochschulbereich sollte doch aber letztlich Menschenführung sein (2) - genau so, wie es nützlich ist, bei aufziehender Grippe die Körpertemperatur zu messen, dann aber die innere Stimme anhört, wenn es um die Bettruhe geht. Der fatale Irrtum des heutigen "Informationszeitalters" ist, dass Daten nur zu oft mit Wissen gleich gesetzt werden. Daten kann man gewinnen, Wissen aber muss man erwerben, und zum Er-Werben braucht es Vertrauen. Was nützte es dem Menschen, wenn er alle Informationen hätte, verlöre aber das Vertrauen? Die wahre Herausforderung - nicht nur im Hochschulbereich - ist der Wiederaufbau einer Vertrauensgesellschaft, und nicht der Aufbau der Informationsgesellschaft. Die sind wir nämlich schon lange - spätestens seit Gutenberg. |
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Fussnoten:
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