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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 23.01.2002 06:00

Durchbruch in der Quantenoptik
Ordnung in die Quantensuppe

Einem Team von Physikern mit Beteiligung der ETH Zürich ist es in München erstmals gelungen, ein ultrakaltes Rubidium-Gas zwischen zwei dramatisch unterschiedlichen Quantenzuständen hin und her zu schalten.

Von Christian Thalmann

Seit seiner ersten experimentellen Realisierung im Jahre 1995 ist das Bose-Einstein-Kondensat eines der begehrtesten und faszinierendsten Forschungsgebiete der Quantenphysik: Ein Gas, das so nahe an den absoluten Nullpunkt abgekühlt worden ist, dass die klassischen Gesetze der Wärmelehre in den Hintergrund treten und der exotische Charakter der Quantenmechanik die Herrschaft übernimmt. Die Atome verlieren ihre Individualität und vereinigen sich in einem einzigen Quanten-Zustand, verhalten sich also wie ein Riesen-Atom. Die Welt der Quanten, ein surreal anmutender und bislang meist indirekt durch Interferenzeffekte beobachtbarer "Fiebertraum" der theoretischen Physik, wird makroskopisch.

Bose-Einstein-Kondensate haben eine Reihe von ausserordentlichen Eigenschaften. Das Gas darf nicht mehr als eine Menge von separaten Teilchen betrachtet werden und kann daher fliessen und sich deformieren, ohne Energie an innere Reibung zu verlieren. Man nennt es deshalb eine "Supraflüssigkeit", in Analogie zu den Supraleitern, die den elektrischen Strom ohne jeden Widerstand leiten. In einem supraflüssigen Ozean würde ein Schiff, einmal angestossen, bis ans Ende der Zeit weitergleiten, ohne langsamer zu werden. Natürlich darf man sich ein Bose-Einstein-Kondensat nicht derart makroskopisch vorstellen: Die heutzutage in den Laboratorien erzeugten Kondensate umfassen typischerweise nur gerade einige Hunderttausend Atome. Ein einziger Tropfen Wasser enthält dagegen rund eine Trilliarde (10^15) mal mehr Moleküle.

Zugschule im Eierkarton

Die Zürcher und Münchner Forschenden beschäftigen sich mit einem Bose-Einstein-Kondensat aus Rubidium-Atomen, das von allen sechs Richtungen her mit Laserwellen bestrahlt wird. Es entsteht dabei ein regelmässiges dreidimensionales Gitter von Wellenbergen und -tälern (der Physiker würde sagen: ein Interferenzmuster von Intensitätsmaxima und -minima). Diese Energielandschaft kann man sich wie einen Eierkarton vorstellen.

Vorerst hat diese Beleuchtung keinen nennenswerten Einfluss auf das Kondensat. Die Atome bewegen sich frei und reibungslos von Wellental zu Wellental. Nach wie vor belegen sie alle denselben Quantenzustand: Sie marschieren so zu sagen im Gleichschritt und sind voneinander nicht zu unterscheiden, bilden förmlich eine einzige kohärente Materie-Welle, genauso wie sich die Photonen in einem Laser zu einer einzigen kohärenten Lichtwelle verbinden. Da man in diesem Zustand keine einzelnen Atome mehr erkennen kann, ist es auch unmöglich zu bestimmen, wie viele Atome sich gerade in einem bestimmten Wellental aufhalten.

Tilman Esslinger
War im erfolgreichen Forschungsteam in München mit dabei: ETH-Quantenoptiker Tilman Esslinger gross


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motttransition
Visualisierung eines Quanten-Phasenübergangs: Die supraflüssigen Atome sind phasenkohärent und bilden ein deutliches Interferenzmuster (links, rechts). Beim Übergang zum Mott-Isolator verschwindet es (Mitte).

Erhöhen nun die Forschenden langsam die Intensität der Laserstrahlung, werden die Wellenberge immer höher, die Täler immer tiefer. Auf einmal ändert sich der Zustand des Gases schlagartig: Das eben noch so harmonische Kollektiv erstarrt zu individuellen Atomen, die in ihrem Wellental eingesperrt sind. Sie haben sich sozusagen aus den Augen verloren, denn sie schwingen nun nicht mehr im perfekten Einklang des Bose-Einstein-Kondensats, sondern unabhängig voneinander. Mit diesem Verlust an Kohärenz geht aber ein Gewinn an Genauigkeit einher: Die Zahl der Atome ist jetzt nämlich in jeder Mulde des Laser-"Eierkartons" genau gleich. Diesen Zustand bezeichnet man in der Physik als Mott-Isolator.

Der Phasenübergang von der Supraflüssigkeit zum Mott-Isolator ist reversibel und beliebig wiederholbar. Noch nie konnte man Atome so präzise Tanzen lassen. Klick - jetzt sind sie eine Welle. Klick - jetzt sind es Teilchen.


Mott-Isolator

Nevill Mott hatte schon im Jahre 1960 folgenden Effekt beobachtet: Gewisse elektrisch leitende Materialien verlieren plötzlich ihre Leitfähigkeit, wenn ihre Kristallstruktur zu unordentlich wird. Die periodische Energielandschaft wurde in Motts Versuchen nicht von Lasern, sondern von den zwischenmolekularen Kräften erzeugt. Das Experiment der Zürcher und Münchner Physiker hat aber entscheidende Vorteile gegenüber Mott's Beobachtungen: Mittels der Laser kann man die Tiefe sowie die Periodizität der Energielandschaft beliebig ändern und damit zwischen dem Mott-Isolator und dem supraflüssigen Zustand hin und her wechseln.



Mehr als nur Spielerei

Einen grossen Wert hat dieses Experiment für die theoretische Physik: So illustriert dieses Experiment den Welle-Teilchen-Dualismus der Atome mit bislang unerreichter Klarheit. Die treibende Kraft in dem beobachteten Phasenübergang ist nicht etwa Wärme, sondern das Heisenberg'sche Unschärfeprinzip: Es verhindert, dass von einem Teilchen sowohl Ort als auch Impuls genau bestimmt sein können. Für das hier beschriebene Experiment folgt daraus: Ein phasenkohärentes Gas wie das Bose-Einstein-Kondensat muss völlig delokalisiert sein, währenddessen ein räumlich präzise geordnetes Gas wie der Mott-Isolator eine völlig ungeordnete Phasenverteilung haben muss.

Auch werden die praktischen Anwendungen dieser Technologie nicht auf sich warten lassen. Atome haben innere Eigenschaften wie zum Beispiel magnetische Momente, die als Informationsbits in einem Quantencomputer dienen könnten. Bose-Einstein-Kondensate lassen sich mittlerweile schon mit Hilfe von briefmarkengrossen Chips produzieren. Jede Technologie, die Atome so präzise zu handhaben vermag, wie das die Physiker demonstriert haben, bringt uns einen Schritt weiter auf dem Weg zum Quantenrechner.

Tilman Esslinger, seit Oktober 2001 Professor für Quantenoptik an der ETH Zürich, war in dem Forschungsteam in München mit dabei. Seine eigene Forschungsgruppe an der ETH wird nun versuchen, das Experiment auf Fermionen auszudehnen. "Bis zum fertigen Quantencomputer dauert es noch viele Jahre", meint Esslinger. "Aber schon der Weg dorthin ist aufregend."


Literaturhinweise:
Quantenoptikgruppe von Tilman Esslinger an der ETH: www.quantumoptics.ethz.ch/
BEC-Team in München: www.mpq.mpg.de/~haensch/bec/



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