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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 18.04.2002 06:00

HI-Viren aus populationsbiologischer Sicht
Mit Mathematik gegen AIDS

Bricht AIDS aus, ist der Patient nicht Opfer des HI-Virus, sondern einer HI-Viren-Population. Das Verhalten von Populationen versteht man am besten mit Modellen der Ökologie und Evolutionsbiologie. Ein neues Modell von ETH-Forschenden ermöglicht es nun, die Dauer bis zum Ausbruch von AIDS bei Rhesusaffen besser vorauszusagen.

Von Christoph Meier

"Es gibt eine Beute, einen Räuber und sogar einen Top-Räuber!" Was Sebastian Bonhoeffer, ETH-Professor für Theoretische Biologie (1), beschreibt, ist eine HIV-Infektion. Dabei entspricht die Beute der befallenen Zelle, der Räuber dem HI-Virus (siehe Kasten) und der Top-Räuber der Antwort des Immunsystems. Manches verstehe man erst richtig, wenn man das Ganze als einen dynamischen Prozess innerhalb einer Population auffasst, begründet der Forscher seine Herangehensweise an die HI-Infektion. Er entwickelt darum mathematische Modelle, welche die Dynamik der HI-Viren besser beschreiben sollen.

Sebastian Bonhoeffer
Versucht mit mathematischen Modellen die quantitativen Aspekte von AIDS besser zu verstehen: Sebastian Bonhoeffer, ETH-Professor für theoretische Biologie. gross

Überleben - nicht nur Frage der Virenmenge

Eines dieser Modelle, das Bonhoeffer zusammen mit seinem Doktoranden Roland Regoes und Kollegen aus Atlanta entwickelte und im Journal of Virology publizierte (2), erlaubt es, die Zeitspanne zwischen Infektion und Ausbruch von AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome) besser vorauszusagen. Die verfeinerte Prognostizierbarkeit kommt zustande, da das neue Modell die Schwankungen integriert, denen die Virenmenge während dem Verlauf der Krankheit unterworfen ist. Die Daten selbst stammen von 12 Rhesusaffen, die Affen-AIDS entwickelten. In der Praxis verwendet man jeweils nur die Virenmenge im Blut nach der akuten Infektion, wenn man die Überlebenszeit und den Status eines Patienten abschätzen will. Zu diesem Zeitpunkt - beim Menschen 6 Monate nach der Infektion - stabilisiert sich die Virenmenge. Eine Einfachmessung wird durch das neue Modell relativiert, da gemäss diesem kurze Phasen mit viel Viren weniger Einfluss auf die Überlebenszeit haben als solche mit tiefem Virentiter aber insgesamt gleich viel Virenpartikeln. Das heisst, das Phasen mit einem hohen Virengehalt unterproportional zum Fortschreiten der Krankheit beitragen.


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viren
Bei einer HIV-Infektion wird wird der Körper des Patienten mit bis zu einer Billion Viren überschwemmt. gross

Behandlungsunterbruch vielleicht nicht so schlimm

"Unsere Forschung könnte relevant sein, wenn es erforderlich ist, eine Behandlung kurz zu unterbrechen", macht Bonhoeffer die Verbindung zur Praxis. Denn bei einem Unterbruch würde die Virenmenge stark zunehmen, was nun gemäss dem neuen Modell möglicherweise nicht mehr so gravierend ist. Das Modell stellt aber auch die gängige Sichtweise in Frage, dass einfach eine bestimmte Anzahl von Viren umgesetzt werden muss, bis AIDS ausbricht. Es ist also nicht so, dass der Körper, nachdem er seine beschränkte "Abwehrmunition" verschossen hat, einfach an Erschöpfung zugrunde geht. "Dadurch kompliziert sich aber die Frage, wie sich HIV schliesslich durch AIDS manifestiert", merkt Bonhoeffer an. Doch dass sein Modell stimmen könnte, zeigen die vielen Reaktionen von Kollegen. Diese bestätigen dem Forscher, dass seine beim Affen gewonnen Voraussagen gut mit ihren Beobachtungen beim Menschen übereinstimmen.

Mathe-Modelle für Behandlung relevant

Angesprochen darauf, wie seine Forschung nun weitergeht, meint Bonhoeffer, dass er vor allem die Dynamik des HI-Virus zuwenden möchte. Fragen dabei sind: Welche der Zelltypen werden infiziert, wie viele dieser Zellen weisen das HI-Virus auf und wie lange überleben diese? Auch die Entwicklung von Resistenzen bietet sich für die Untersuchung aus evolutionärer Perspektive an. "Für optimale Behandlungsstrategien lässt sich mit mathematischen Modellen noch eine Menge machen", prognostiziert Bonhoeffer. Dass diese Ansätze neue Einsichten liefern, zeigte sich auch schon früher. Denn lange glaubten Mediziner und Virologen, dass der tiefe Virengehalt im Blut in der klinischen Latenzphase auf eine langsame Vermehrung des HI-Virus zurückzuführen sei. Erst Evolutionsbiologen wiesen darauf hin, dass ein niedrieges Gleichgewicht auch durch eine starke Viren-Produktion mit gleichzeitig effizienter Elimination zustand kommen kann. Eine Erklärung, die sich dann in der Praxis bestätigte.


HI-Virus: der AIDS-Erreger

Das HI-Virus (Human Immunodeficiency Virus) wurde 1983 von amerikanischen und französischen Forschenden entdeckt. Im Dezember 2001 lebten gemäss der WHO 40 Millionen Menschen mit dem Virus. 2.7 Millionen davon sind Kinder unter 15 Jahren. Neu infiziert wurden im letzten Jahr 5 Millionen. Gestorben an AIDS sind im Jahre 2001 3 Millionen Personen.




Fussnoten:
(1) Forschungsprojekte der Gruppe für theoretische Biologie: www.eco.ethz.ch/research/research_tb.html
(2) Journal of Virology, Mar. 2002, Vol. 76, No. 5: "Contribution of Peaks of Viurs Load to Simian Immunodeficiency Virus Pathognesis"



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