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Rubrik: Science Life |
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Grundlagenforschung der anderen Art Tierversuche für Versuchstiere |
Tierversuche sind problematisch. Das weiss auch Hanno Würbel. Darum führt der ETH-Biologe - Tierversuche durch. Seine Absicht: die Haltungsbedingungen auf ihre Tiergerechtigkeit und Tierversuche auf mögliche methodische Schwächen zu überprüfen. Von Christoph Meier Tierversuche sind seit jeher umstritten. Die Forscher konnten in der Bevölkerung mehrheitlich Akzeptanz erreichen, indem sie mit dem aus Tierversuchen resultierenden Erkenntnisgewinn und den damit verbundenen Anwendungen überzeugten. Doch Auseinandersetzungen müssen nicht nur gegen aussen geführt werden. Denn die Tierversuchspraxis steht auch immer wieder vor hausgemachten Problemen. Problem Standardhaltung Eines davon hängt mit der Standardisierung der Tierhaltung zusammen. Diese wurde eingeführt, um eine gute Vergleichbarkeit zu erreichen und die Zahl der Versuchstiere zu reduzieren. Doch in ihrem Bemühen scheinen die Forschenden über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Vor lauter Vereinheitlichung wurden die Bedürfnisse der Tiere vernachlässigt. Zudem wurden die Resultate anfällig auf kleine Veränderungen in der Haltung oder Versuchsanordnung. Besonders eklatant offenbarte sich der "Fehlschluss der Standardisierung" (1) in einem Verhaltensversuch mit Mäusen, der 1999 in "Science" publiziert wurde (2). Obwohl in drei Labors nach exakt dem gleichen Protokoll gearbeitet wurde, verhielten sich genetisch fast identische Mäuse je nach Labor verschieden. Eine WC-Rolle kann helfen Hanno Würbel beschäftige sich schon vor 1999 mit dem Einfluss der Labortierhaltung auf die Tiere und die Forschungsergebnisse. Der Biologe war Mitte der neunziger Jahre der Erste, der mittels Infrarot-Aufnahmen zeigte, dass viele Labormäuse während der Nacht die meiste Zeit mit Gitternagen, Hüpfen in der Käfigecke und anderen Stereotypien verbrachten. Die meisten Forscher wussten nicht um diese Verhaltensstörungen, da sie nur während der Hellphase mit den Tieren gearbeitet hatten. Besorgnis erregend dabei: Stereotypien sind ein Symptom einer durch die nicht-tiergerechte Haltung bedingten Störung normaler Hirnfunktionen. Abhilfe wäre durch tiergerechte Käfiganreicherung zu erreichen. So ergab ein Versuch des ETH-Biologen, dass schon die Beigabe von Kartonröhren (z.B. aus WC-Rollen) als Rückzugsbereich und Beschäftigungsobjekt bei Mäusen stereotypes Verhalten um bis zu 50 Prozent reduzieren kann. "Vom Tierschutzgedanken her müssten hier alle nachziehen. Aber es ist natürlich so, dass gewisse Fragestellungen auch ohne Haltungsverbesserungen beantwortet werden können", meint Würbel dazu.
Dass Anreicherung und Variation in der Käfighaltung in den Köpfen der Forscher nicht Standard ist, belegt ein Zitat des renommierten Neurobiologen Fred Gage in "Nature" vom 16. August (3). Dieser argumentiert, dass sich fundamentale Prozesse unabhängig von Unterschieden in der Haltung zeigen. Würbel streitet das nicht grundsätzlich ab, gibt aber zu bedenken: "Ginge es darum, normale Hirnfunktionen beim Menschen zu untersuchen, welcher Forscher käme wohl auf die Idee, seine Versuchspersonen in psychiatrischen Kliniken zu rekrutieren?".
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"Eventuell braucht es mehr Tiere" "Was bedeutet es für die Aussagekraft von Forschungsresultaten, dass alle Tiere immer unter exakt identischen Bedingungen gehalten werden?" ist eine andere Frage, mit der Würbel die Tierversuchspraxis problematisiert. Denn sollten gewisse Versuchsergebnisse nur unter diesen spezifischen Bedingungen gelten, wäre deren Relevanz entsprechend beschränkt. Heisst das nun aber, dass Würbel mehr Kontrollversuche und somit mehr Tiere fordert? "Das kann durchaus sein", erwidert der Biologe. Es fehle aber ganz einfach an grundlegendem Wissen, inwiefern Resultate aus Tierversuchen robust seien in bezug auf verschiedene Umweltbedingungen. Interssanterweise wurde das Problem im Bezug auf den genetischen Hintergrund erkannt und Empfehlungen, wie dieser systematisch variiert werden kann (z.B. durch Verwendung mehrerer Inzuchtlinien oder Kreuzungen), liegen vor (4). Ein Grund, wieso in diesem Bereich gehandelt wurde, lag darin, dass viele sogenannte Knockout-Mäuse - das sind Mäuse, bei denen durch eine gentechnische Veränderung ein Gen inaktiviert wurde - je nach genetischem Hintergrund unterschiedliche Veränderung aufwiesen. Resultate anfällig auf Haltungsunterschiede Umso erstaunlicher ist es, dass viele Tierversuchs-Forscher nur widerstrebend akzeptieren, dass auch die Umweltbedingungen systematisch variiert werden sollten. Es ist, als würden sie das Lehrbuchwissen von den dynamischen Wechselwirkungen zwischen Anlage und Umwelt für ihre Forschung ausblenden. Wie stark verschiedene Ausprägungen von den Haltungsbedingungen abhängen, zeigt folgendes Beispiel: Mäusen, denen jenes Gen für einen Rezeptor ausgeschaltet wurde, dem eine entscheidende Rolle bei der Gedächtnisbildung zugeschrieben wird, zeigten tatsächlich Erinnerungsschwächen, wenn sie unter Standardbedingungen aufwuchsen. Der ganze Effekt ging aber verloren, wenn die Tiere mit dem inaktiven Gen in einer reichhaltigeren Umgebung aufwuchsen. "Werden die Bedingungen nicht systematisch variiert, sind eventuell die Versuche wertlos oder irreführend und damit weder wissenschaftlich noch vom Tierschutz her zu rechtfertigen", urteilt Würbel. Ein Problem liegt jedoch darin, dass nicht zuletzt Unterschiede im Umgang mit den Tieren zu Laborunterschieden führen können. "Diese Laborunterschiede gäbe es jedoch weniger, wenn innerhalb der Labors die Bedingungen systematisch variiert bzw. randomisiert würden", ist der ETH-Biologe überzeugt. Dies bedeutet zwar im Einzelfall Mehraufwand. Dieser wird sich langfristig aber auszahlen, wenn damit Artefakte vermieden werden können.
Schlecht erforschtes Gebiet Würbel wird weiterforschen und versuchen herauszufinden, was es für die Tiere bedeutet, in einer künstlichen Umwelt aufzuwachsen, und wie sich das auf die Forschungsresultate auswirkt. Und Beiträge wie jener in "Nature" bestätigen den Biologen auch darin, dass die Relevanz dieses Forschungsgebiets über die Verhaltensforschung hinaus erkannt worden ist. Trotzdem: Würbel ist immer noch einer von ganz wenigen Forschern, die in diesem Gebiet arbeiten. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es an Schweizer Hochschulen - im Gegensatz etwa zu England und den USA, aber auch Deutschland - kaum entsprechende Stellen gibt. Bald wird Würbel das Institut für Nutztierwissenschaften verlassen. Es sieht so aus, dass nach seinem Abgang niemand an der ETH die Grundlagenforschung in der Versuchstierhaltung weiterführen wird. |
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Fussnoten:
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