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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 15.03.2001 06:00

Art-Brut-Ausstellung in der ETH
Zwischen Krankheit und Genialität

Kommt Kunst von - handwerklichem - Können? Wohl nur bedingt: auch psychische Ausnahmezustände sowie der Verzicht auf Schulung und Tradition zeitigen mitunter erstaunliche künstlerische Resultate. Im Rahmen der "Woche des Gehirns" veranschaulicht das eine Ausstellung an der ETH. Sie präsentiert "rohe" Kunst, entstanden teils in psychiatrischem Umfeld und teils auf autodidaktischer Basis.

Von Norbert Staub
Art brut 1
Obere Reihe: Copyright Psychiatrische Universitätsklinik Zürich. gross

Art brut 2
gross
Art Brut 7
gross
mar1
Untere Reihe: Copyright Andrew Mariano. gross

Andrew Mariano
gross
Art Brut 6
gross


Adolf Wölfli, das Monument des "Art Brut", verbrachte über 30 Jahre in der Irrenanstalt Waldau bei Bern. Der künstlerische Wert seines Werks wurde in den zwanziger Jahren von seinem Arzt Walther Morgenthaler erkannt, publik gemacht und gefördert. Die "Verrückten", die radikalen Aussenseiter: als Schöpfer von Kunst waren sie plötzlich, was zuvor nur den genialen Geistern zugestanden worden war.

Der Maler Jean Dubuffet prägte in den vierziger Jahren dafür den Begriff "Art Brut": "Diese Kunst will in keiner Weise traditionelle Kunst imitieren", schrieb er, "sie appelliert im Gegenteil an den kreativen Grund im Menschen und an den persönlichsten, spontansten Ausdruck".

Spiel mit der Verunsicherung

"Art Brut" spielt mit der Verunsicherung des Betrachters darüber, wie denn nun diese Werke zu werten seien: als Ausdruck von Krankheit - und insofern von Bedauernswerten - oder als Botschaften einer schwer zugänglichen Wahrnehmungswelt, die der "normalen" aufgrund ihrer Radikalität verschlossen bleibt und gerade deshalb interessant ist?

Genau dieses Spiel führt auch die Ausstellung "Maladie mentale et Expression Artistique" vor, die Dominique Gygax vom Zentrum für Neurowissenschaften Zürich im Rahmen der "Woche des Gehirns" in der Haupthalle im F-Stock des ETH-Hauptgebäudes organisiert hat: sie zerfällt in einen Teil, der Bilder von Patienten der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich zeigt und einen mit Werken des 1975 geborenen US-Künstlers Andrew Mariano. Seine Bilder werden anlässlich dieser Ausstellung erstmals in Europa vorgestellt. "I've never been to an art class", schreibt er; dieses Abseitsstehen von Schulen und Traditionen ist sein Programm. Was er malt und zeichnet, lässt sich denn auch kaum einordnen. Es vermittelt den Eindruck einer eigenen, in sich geschlossenen Welt: nervös-gedrängte Strukturierungen, abrupte, ja schreiende Farbwechsel, Metaphern und Symbole, die Isolation, Bedrohung und Schmerz ausdrücken und wenn alles versagt: die Schrift - all das deutet auf extreme seelische Befindlichkeiten hin, die ungefiltert in Farbe und Figuren umgesetzt wurden.


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Hier trifft sich Mariano mit dem Schaffen von Patienten und Patientinnen der Psychiatrie. Dominique Gygax mag zwar keine Vergleiche anstellen - dennoch zeigen sich Parallelen: Eine enthauptete, im Blut watende Frau, wilde und rätselhafte Buchstaben-Botschaften auf einem Handtuch und eine Figur, bei der man sich kaum entscheiden kann, ist es ein Clown oder Schreckgespenst?

Die Bilder dieser Menschen, deren Seelenleben aus dem Gleichgewicht geraten ist, "funktionieren" ähnlich wie jene von Andrew Mariano: nämlich über den unkontrollierten, in Farbgebung und Strich verwandelten Appell an die Aussenwelt, über das unvermittelte Vorzeigen von Erfahrungen wie Schmerz und Angst.

Radikal oder dilettantisch?

Überaus deutlich zeigt sich hier, was Kunst auch sein könnte: nicht mehr Kür, sondern der direkteste Zugang zur Innenwelt eines Menschen. Wer bei der "Art Brut" allerdings Qualitätsurteile abgeben will, gerät mehr als anderswo in Schwierigkeiten: was ist bei aller Kindlichkeit radikal, ehrlich und darum gut, und was gehört (auch bei einem Mariano) ins Reich des Dilettantismus? - Es ist an den Bildbetrachterinnen und -betrachtern, dies zu entscheiden.


Literaturhinweise:
Die Ausstellung dauert noch bis und mit Samstag, 17. März 2001. Weitere Informationen über Andrew Mariano finden Sie unter: www.artnet99.ch/mariano.htm



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