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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 03.06.2003 06:00

Nothilfeeinsatz für die Erdbebenopfer in Algerien
Kommunikation in der Not

Armin Brunner ist Sektionsleiter Kommunikation der ETH-Informatikdienste und Mitglied der Übermittlungsgruppe des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH). Dieses leistete kürzlich einen Nothilfeeinsatz in Algerien. Brunner erzählt in einem Interview mit ETH Life von seinen Fünftageeinsatz im Erdbebengebiet und der Verwendung von High-Tech-Kommunikation in Notsituationen.

Interview: Richard Brogle

Armin Brunner, wie haben Sie vom Erdbeben erfahren?

Ich bin auf einer Mailingliste des Erdbebendienstes der ETH Zürich. Auf diese Weise habe ich bereits Minuten nach dem Beben davon erfahren. Sehr früh am folgenden Morgen flog ein Vorausdetachement des SKH (1) mit drei Hunden nach Algerien. Um elf Uhr wurde ich vom SKH angefragt, ob ich innert Stunden nach Algerien abreisen könne. Um zwei Uhr nachmittags kam das Aufgebot und um fünf Uhr war ich am Flughafen. Mit 74 Personen und rund 18 Tonnen Material flogen wir mit einer Swiss-Maschine nach Algier. Diese so genannte Staffel setzte sich aus Leuten des SKH, aus Hundeführern der „Redog“ und aus Rettungsspezialisten der Schweizer Armee zusammen. Mit von der Partie waren auch zwei Seismologen der ETH Zürich.

Das Kommunikationszelt mit Fax, Telefon, Mail- und Internetanschluss im Erdbebengebiet. gross

Welche Situation fanden Sie im Erdbebengebiet vor?

Vom Flughafen fuhren wir direkt in die vom Erdbeben am meisten zerstörte Stadt Boumerdés, wo einige Stadtteile schwer beschädigt wurden. In einem Sportstadion, das in der Nähe von zwei der Schadensplätze lag, errichteten wir unser Zeltlager. Es gab weder Wasser noch Strom. Während sich die Hundeführer und Retter sofort an die Arbeit machten, Menschen zu retten, begannen wir mit der Inbetriebnahme der Notstromversorgung und dem Aufbau der Kommunikationsverbindungen.


Stichwort „SKH“

(rib) Das Schweizerische Korps für humanitäre Hilfe (SKH) (1) ist ein Glied der Schweizer Rettungskette. Das Korps, das früher Katastrophenhilfekorps hiess, setzt sich aus mindestens 700 Freiwilligen zusammen, die entsprechend ihren Fähigkeiten in Fachgruppen eingeteilt sind. Sie gehen einem andren Beruf nach und können bei Bedarf sehr schnell vom SKH aufgeboten und in einen Einsatz geschickt werden. Das SKH ist ein Mittel der humanitären Hilfe des Bundes für direkte Aktionen und die Unterstützung internationaler Organisationen durch Spezialisten.



Funktionierten die GMS-Handys nicht?

Nein, aufgrund des Stromausfalles konnten wir keine GSM-Handys einsetzten. In einem Katastrophenfall muss man stets davon ausgehen, dass man ganz auf sich alleine gestellt ist. Ausser bei Fahrzeugen und Treibstoff, der nicht im Flugzeug transportiert werden darf, sind wir grundsätzlich völlig unabhängig von der lokalen Infrastruktur. Wasser allerdings hatten wir nur für einen Tag dabei.

Welche Kommunikationsmittel setzten Sie ein?

Wir bauten auf dem Schadensplatz zwei eigene Funknetze mit einer Relaisstation auf, die eine Abdeckung von rund 25 Kilometern erlaubte. So waren einerseits die Retter unter sich und andererseits die Schadenplatzleiter mit der Einsatzzentrale im Stadion in ständigem Kontakt.

Für die Kommunikation mit der Schweiz verwendeten wir in erster Linie Satellitentelefone. Dies ermöglichte uns, bei Bedarf Telefongespräche zu führen und Faxe zu senden und zu empfangen. Aber auch einen Mailcheck machten wir etwa jede halbe Stunde über eine Inmarsat-Verbindung. Bei Bedarf konnten wir via Satellit eine an sich ganz normale ISDN-Verbindung ins Internet aufbauen und so Informationen aus dem Internet beziehen.

Aber mit Satellitentelefonen ist man ja auch von Dritten abhängig...

Ja, daher haben wir als Notfalllösung stets auch Kurzwellenfunkgeräte dabei, die eine direkte Kommunikation mit der Schweiz erlauben. Viele in unserem Übermittlungsteam sind Funkamateure, wie zum Beispiel mein Arbeitskollege Franz Koch (2), der schon oft im Einsatz war, dieses Mal aber nicht mitkommen konnte. Funkamateure bringen selbst unter widrigsten Umständen fast immer irgendwie eine Sprachverbindung zustande.


Armin Brunner ist Sektionsleiter Kommunikation der ETH-Informatikdienste und Mitglied der Übermittlungsgruppe des SKH. gross

Belastete Sie der Einsatz?

Der Einsatz war körperlich sehr anspruchsvoll. Die ersten 30 Stunden ist man so beschäftigt, dass man gar nicht ans Schlafen denkt. Nachher merkt man den Schlafmangel schon. Trotzdem kann man kaum schlafen, da man so aufgepeitscht ist. Viele legten sich hin und kamen nach einer Stunde wieder, da sie keinen Schlaf fanden.

Die Armut und die Zerstörung zu sehen, hat mich schon beelendet, aber ich stellte es mir emotional belastender vor. Es gibt sicher schlimmere Einsätze.

Wie war die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden?

Recht gut. Aufgefallen sind mir die vielen Soldaten, die wohl zur Abschreckung allfälliger Plünderer angefordert wurden. Die lokalen Zivilschützer machten mit ihren sehr beschränkten Mitteln sehr gute Arbeit. Problematischer waren eher andere ausländische Hilfsorganisationen. Einige kamen mit Hunden erst an, als wir bereits am Zusammenpacken waren, weil die Chance für Rettungen auf Null gesunken war. Irgendwann erhält es eine politische Note: jedes Land will helfen, obwohl viele dazu nicht in der Lage sind. Viele Teams waren sehr schlecht ausgerüstet und überhaupt nicht autonom. Sie belasteten die lokalen Behörden mehr, als dass sie ihnen halfen.

Gefreut hat mich, dass sich viele Algerierinnen und Algerier spontan bei uns für die Hilfe bedankten, wenn wir irgendwo hinkamen.

In Algerien sind immer noch Schweizer Geiseln in der Hand ihrer Entführer. Hatten Sie keine Angst vor einer Verschleppung?

Nein. Wir hatten die Anweisung, das Camp abends nach acht Uhr nicht mehr unnötig zu verlassen und nie Taxis zu nehmen. Über Nacht schlief ich im Übermittlungszelt, um die Geräte zu bewachen. Aber auch am Tag war immer jemand dort.

Neben dem Kommunikationszelt wurden auf einer Stadiontreppe provisorisch drei weisse, rechteckige Satellitenantennen montiert. gross

Warum stellen Sie sich der SKH zur Verfügung?

Ich leiste weder Militär- noch Zivilschutzdienst. Ein SKH-Engagement ist meine Art von Sozialeinsatz. So kann ich mit meinem Know-How ein wenig Gutes tun.


Bekannte Erdbebenregion

(fw) Der Norden Algeriens wird immer wieder von schweren Erdbeben heimgesucht. Alleine in den letzten 50 Jahren ereigneten sich fünf grössere Beben, die teilweise Tausende von Toten forderten. Der Grund dafür ist, dass vor der algerischen Küste die afrikanische Platte mit einer Geschwindigkeit von rund 6 Millimetern pro Jahr gegen die eurasische Platte stösst. Am Kontakt der Platten entsteht so ein kompressives Umfeld: Es bilden sich Überschiebungen und vertikale Blattverschiebungen, und entlang dieser Störungszonen treten immer wieder Erdbeben auf.

Das Hauptbeben am 21. Mai erreichte nach Angaben des Schweizerischen Erdbebendienstes an der ETH Zürich eine Magnitude von 6,5 (3). Das Beben, das in einer Tiefe von 10 bis 12 Kilometern entstand, löste eine zwei Meter hohe Tsunami-Welle aus, die verschiedene Schiffe zerstörte und vor der Küste Spaniens Unterwasser-Telefonkabel beschädigte. Bei der Katastrophe starben über 2000 Menschen, Tausende wurden verletzt und obdachlos. Dass die Erschütterungen derart verheerende Folgen hatten, hängt auch mit der mangelhaften Bausubstanz der Gebäude zusammen. Obwohl das Gebiet bekanntermassen eine risikoreiche Zone ist, wurden in Nordalgerien zum Beispiel Häuser gebaut, die im Erdgeschoss keine tragenden Wände, sondern Säulen aufweisen. Solche Strukturen können einem Erdbeben jedoch kaum standhalten.




Fussnoten:
(1) SKH: www.skh.ch
(2) Homepage von Franz Koch: www.id.ethz.ch/Homepage/fkoch/
(3) Hompage des Schweiz. Erdbebendienstes: www.seismo.ethz.ch/



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