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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 12.09.2002 06:00

Kontroverse Ansichten über die Rolle der staatlichen Aufsicht
Was bringt das Elektrizitätsmarktgesetz?

Am 22. September stimmen wir über das Elektrizitätsmarktgesetz ab. ETH-Professor Massimo Filippini sieht in der Vorlage viele positive Aspekte, kritisiert jedoch die vorgesehene Rolle des Staates bei der Regulierung der Tarife und der Sicherung des Wettbewerbs.

Von Lukas Denzler

Der Strom kommt aus der Steckdose - so denken viele. Wer sich jedoch mit dem Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) beschäftigt, muss einsehen, dass die Dinge viel komplizierter sind. Der Bundesrat möchte mit dem neuen Gesetz Leitplanken schaffen, damit die Öffnung des Strommarktes geordnet abläuft. Während bei der Stromerzeugung und beim Handel Konkurrenz geschaffen wird, bleibt die Stromübertragung auch in Zukunft ein Monopol - die Ökonomen reden von einem sogenannten natürlichen Monopol. Dank transparenten Preisen lassen sich die Tarife für die Durchleitung des Stroms jedoch besser überprüfen. Im Weiteren sind Massnahmen für die Versorgungssicherheit vorgesehen, damit uns die Lichter nicht ausgehen. Und schliesslich werden erneuerbare Energien gefördert: Ökostrom wird während zehn Jahren gebührenfrei durch die Netze geleitet.

Mehr Wahlmöglichkeiten und Transparenz

Für die Konsumenten ändern sich in erster Linie zwei Dinge: Nach einer Übergangsfrist können sie den Stromlieferanten frei wählen und auf der Rechnung wird ersichtlich, wie der Strompreis zustande kommt. Ob die Haushalte tatsächlich in den Genuss von Rabatten kommen, wie die Befürworter der Vorlage prognostizieren, wird erst die Zukunft zeigen. Professor Massimo Filippini vom Centre for Energy Policy and Economics (CEPE) der ETH Zürich hat sich mit der Vorlage eingehend beschäftigt. „Das EMG bringt Wahlmöglichkeiten für die Konsumenten und mehr Transparenz bei den Tarifen. Das ist sicher positiv. Die Vorlage enthält jedoch auch einige Schwachstellen.“ Die Reform des Elektrizitätsmarktes beinhalte einerseits die Liberalisierung der Erzeugung und des Stromverkaufs, andererseits würden neue Regulierungsmethoden bei der Stromübertragung eingeführt, erklärt Filippini. Es sei jedoch fraglich, ob im liberalisierten Markt bei der Erzeugung und beim Handel von Strom auch wirklich Konkurrenz herrschen werde. Sowohl auf europäischer als auch auf schweizerischer Ebene sei nämlich eine relativ starke Konzentration in der Branche zu beobachten. Um den Wettbewerb zu gewährleisten, brauche es deshalb eine starke sektorspezifische Aufsichtsbehörde.

Schwache Stellung der Aufsichtsbehörden

Das EMG sieht denn auch eine Schiedskommission vor, die den Markt beobachten und die Durchleitungsgebühren überprüfen soll. Für Professor Massimo Filippini ist die vorgesehene Kommission jedoch zu schwach. „Problematisch ist, dass die Schiedskommission die Tarife nicht im Voraus überprüfen kann.“ Die Kommission müsse also selber aktiv werden und sich die Informationen beschaffen, was anspruchsvoll sei, da in der Schweiz etwa 940 Verteilwerke existierten. Auch die Wettbewerbskommission des Bundes könne einschreiten, wenn beispielsweise der Verdacht bestehe, dass Absprachen getroffen wurden. Die Wettbewerbskommission sei jedoch auf eine Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Energie angewiesen. „Die Aufsplittung der Kompetenzen verhindert eine effektive Aufsicht“, sagt Massimo Filippini. „Für die Marktbeobachtung sowie für die Regulierung und Kontrolle der Preise sollte nur eine Stelle zuständig sein.“


Die ETH-Spezialisten für Energiewirtschaft
Massimo Filippini ist Professor für Nationalökonomie und Energiewirtschaft am Centre for Energy Policy and Economics der ETH (CEPE) . Das Zentrum wurde 1999 als Schnittstelle zwischen Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft gegründet. Mit seiner interdisziplinären Forschung und seinen Beratungstätigkeiten beleuchtet das CEPE Möglichkeiten, Gefahren und die Hindernisse von Entwicklungen in der Energietechnologie und -industrie; das CEPE unterstützt notwendige Umwandlungen und trägt zu den Energieinnovationen in Wirtschaft und Technologie bei.



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Wieviel staatliche Aufsicht braucht es für den Strommarkt? Dazu sind die Meinungen kontrovers. gross

Lieber kein "Superregulator"

Urs Näf, Leiter der Sektion Energiemärkte und -versorgung im Bundesamt für Energie und bei der Ausarbeitung der Vorlage beteiligt, beurteilt den Vorschlag, eine einzige Regulierungsbehörde zu schaffen, aus Sicht der Regulierung zwar als wünschbar. In der Realität sei dies jedoch kaum zu realisieren. Man müsse das immer auch im Zusammenhang mit den politischen Gegebenheiten sehen.

„Ein Superregulator verträgt sich schlecht mit unserem System, wo viele Entscheide auf Gemeindeebene gefällt werden“, sagt der Beamte. Zudem habe man in Grossbritannien keine guten Erfahrungen mit der Schaffung einer solchen zentralen Aufsichtsbehörde gemacht. In der Schweiz würden mit der Annahme der Vorlage die Kompetenzen klar geregelt. „Die Schiedskommission kontrolliert die Durchleitungsgebühren im Monopolbereich, und Preisüberwachung und Wettbewerbskommission sind für den Bereich zuständig, der neu für den Markt geöffnet wird“, sagt Näf.

Neue Impulse erhofft man sich in Bern, wenn endlich transparente Preise existieren. Man unterschätze oft die Wirkung der Transparenz, ist Urs Näf überzeugt. „Die für die Festlegung der Tarife zuständigen Stadt- oder Gemeindebehörden entscheiden anders, wenn bekannt ist, wieviel anderenorts für die gleiche Leistung bezahlt wird.“

Viele Verteilwerke auf kleinstem Raum

Aus ökonomischer Sicht wäre insbesondere eine Reorganisation der Stromübertragungswerke sinnvoll, erklärt Massimo Filippini. In der Schweiz gibt es rund 940 Verteilwerke, wobei die kleinsten etwa 500 und die grössten über 100'000 Konsumenten beliefern. Statistisch kommt auf drei Schweizer Gemeinden ein Verteilwerk. Ein anderer Vergleich: Deutschland besitzt ungefähr gleich viele Verteilwerke wie die Schweiz, zählt aber rund zwölf Mal so viele Einwohner. Gemäss Untersuchungen am CEPE bestünde bei der Stromverteilung ein Potenzial für Effizienzsteigerungen, das sich auch auf die Preise auswirken würde. Ob dieses Potenzial jedoch genutzt wird, hängt von den Verteilwerken und ihren Besitzern ab.

Und wie ist der vorgesehene gebührenfreie Transport von Strom aus erneuerbaren Energien einzuschätzen? Die Idee sei zwar interessant, sagt Filippini, führe aber nicht zur Internalisierung der externen Kosten. Das Ziel müsse nach wie vor sein, dass die Marktpreise die tatsächlichen gesellschaftlichen Kosten widerspiegelten.

Ja oder Nein stimmen?

Stellt sich schliesslich die Frage, ob die Mängel der Gesetzesvorlage so gravierend sind, dass diese abzulehnen ist. Doch dazu will Massimo Filippini nicht Stellung beziehen. Das EMG sei eine interessante und vielversprechende Vorlage, um den schweizerischen Elektrizitätsmarkt zu reformieren. Die vorgesehene Rolle des Staates als Ausichtsbehörde werfe jedoch Fragen auf. „Wer der Meinung ist, dass später relativ rasch und einfach Korrekturen vorgenommen werden können, der kann dem Gesetz mit gutem Gewissen zustimmen“ lautet sein Fazit. „Wer das aber anders sieht, der kann auch zum Schluss kommen, dass es besser ist, die Vorlage abzulehnen.“ Soll man nun zustimmen oder ablehnen? Vielen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern dürfte die Entscheidung schwer fallen.


Literaturhinweise:
Hier können Sie nachlesen, was im Elektrizitätsmarktgesetz genau drinsteht: www.energie-schweiz.ch
Website des CEPE: www.cepe.ethz.ch



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