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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 04.12.2002 10:24

Rückblick auf das UNO-Jahr der Berge
Neuer Schub für die Gebirgsforschung

Im UNO-Jahr der Berge standen die Berggebiete und ihre Sorgen im Rampenlicht. Zahlreiche Veranstaltungen wurden durchgeführt, um auf die spezielle Situation dieser empfindlichen Lebensräume aufmerksam zu machen. Doch was wurde in diesem Jahr wirklich erreicht? Vier Gebirgsforscher ziehen Bilanz.

Von Felix Würsten

Das UNO-Jahr der Berge ist offiziell bereits seit rund einem Monat zu Ende. (1) Mit der grossen Konferenz in Bishkek wurde Anfang November das Jahr auf internationaler Ebene abgeschlossen. Die Tagung in der kirgisischen Hauptstadt war der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, die in den letzten Monaten weltweit durchgeführt wurden. Das Jahr der Berge war auch für die Gebirgsforschung in der Schweiz von Bedeutung. So wurde etwa das mehrjährige Polyprojekt "Primalp" (2) zum Thema "Nachhaltige Primärproduktion im Alpenraum" abgeschlossen. Und im Frühjahr wurden die Arbeiten für das Nationale Forschungsprogramm NFP48 "Landschaften und Lebensräume der Alpen" aufgenommen. (3) Doch wie beurteilen Gebirgsforscher das Jahr der Berge im Rückblick? Eine kleine Umfrage ergibt ein differenziertes Bild.

Grundsätzlich positive Bilanz

Eine grundsätzlich positive Bilanz zieht Nikolaus Gotsch vom Institut für Agrarwirtschaft (IAW) der ETH Zürich. "Bei der Bevölkerung hat eine deutliche Sensibilisierung für die Probleme der Gebirge stattgefunden", meint der Projektleiter von "Primalp". Bei einem Rückblick müsse man sich immer vor Augen halten, dass ein solches Jahr eine beschränkte Wirkung habe. "Man kann nicht erwarten, dass nun alle Probleme anders angegangen werden als vorher", relativiert Gotsch die Bedeutung des UNO-Jahres. Für die Wissenschaft bot das Jahr hingegen eine ideale Plattform. "Die Forscher konnten sich in der Öffentlichkeit glaubwürdig darstellen. So erhielt etwa 'Primalp' zusätzliche Aufmerksamkeit, weil es zufällig im Jahr der Berge abgeschlossen werden konnte."

Berglandschaft bei Vals (GR). (Bilder: Peter Rieder, IAW) gross

Konkrete Forschungsarbeit ist gefragt

Auch Peter Rieder, Professor für Agrarwirtschaft am IAW, ist mit dem Jahr grundsätzlich zufrieden. "Es gab viele Veranstaltungen und auch genügend Publizität in den Medien", meint Rieder. Allerdings: die erfolgreichen Bemühungen der Schweiz auf internationaler Ebene haben die Bevölkerung nicht gross beeindruckt. "Es hat zwar eine Sensibilisierung stattgefunden, aber sie erfolgte nicht über die abstrakten Konventionen", sagt Rieder dezidiert. Es sind vielmehr konkrete Probleme wie der Abbau des Service public in den Randregionen, der Verlust von Arbeitsplätzen oder Naturkatastrophen, welche die Bevölkerung in Zusammenhang mit den Bergregionen beschäftigen.


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Gebirge - auch nach dem UNO-Jahr der Berge ein brisantes Forschungsthema. gross

Die Wissenschaft muss sich daher vermehrt an solchen Fragen orientieren, ist Rieder überzeugt. Eine gesamtwirtschaftlich wichtige Frage ist etwa, wie im Alpenraum die Abwanderung der Bevölkerung gebremst werden kann. "Es geht nicht darum, jeden kleinen Weiler zu erhalten, sondern aufzuzeigen, welche Strukturen nötig sind, damit die Wirtschaft im Gebirge überleben kann." Praxisorientierte Forschungsergebnisse, das erfährt Rieder immer wieder, werden mit grossem Interesse aufgenommen, auch wenn sie für die Betroffenen manchmal nicht sehr angenehm sind.

Auch Zentren haben Probleme

Eher skeptisch beurteilt Hans Elsasser, Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Zürich, das vergangene Jahr. "Die Gebirgsforschung erhielt zwar etwas mehr Schub, doch insgesamt war das Jahr kein Highlight." Elsasser ist gegenüber UNO-Jahren grundsätzlich kritisch eingestellt. "Alle Aktivitäten werden auf ein Thema konzentriert, doch im nächsten Jahr lässt man es fallen." Eine nachhaltige Entwicklung von Gebirgsregionen lasse sich jedoch nicht mit einem einzigen grossen Effort erreichen, sondern sei eine längerfristige Angelegenheit. Elsasser weist darauf hin, dass nicht nur die Gebirgsregionen mit Problemen kämpfen, sondern auch die städtischen Zentren. "Der Gebirgsraum geniesst hierzulande viel Goodwill, und seine Probleme werden von der Bevölkerung als nationale Aufgabe wahrgenommen. Von den Zentren hingegen erwartet man, dass sie ihre Aufgaben selber lösen." Zudem werde oft vergessen, dass es zwischen den Regionen Abhängigkeiten gibt. So wirkt sich etwa die wirtschaftliche Situation im Unterland unmittelbar auf den Tourismus im Berggebiet aus. "Man hätte in diesem Jahr mehr unternehmen können, um das Verständnis zwischen den Regionen zu fördern", ist Elsasser überzeugt. Der Forscher räumt allerdings ein, dass die Terminkollision mit der Expo02 unglücklich war. "Der Fokus der Medien lag eindeutig an einem anderen Ort", meint der Geograph.

Zusammenarbeit ist noch ungenügend

Harald Bugmann, Assistenzprofessor für Gebirgswaldökologie am Departement Forstwissenschaften und Leiter der Mountain Research Initiative (MRI) (4), hingegen denkt beim Stichwort "Jahr der Berge" vor allem an positive Aspekte. "Auf der politischen und insbesondere auch forschungspolitischen Ebene wurde in Erinnerung gerufen, dass es in der Agenda 21 ein Kapitel über Gebirge gibt", erklärt Bugmann. Zudem konnten längerfristige Forschungsaktivitäten wie etwa die MRI auf eine solidere finanzielle Basis gestellt werden. "Für gewisse Forschungsvorhaben war es in diesem Jahr leichter, Geld zu erhalten", ist Bugmann überzeugt. Unbefriedigend sind hingegen die strukturellen Defizite, an denen die Gebirgsforschung nach wie vor leidet. "Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit findet nur selten statt, die Forschung ist noch zu stark sektoral ausgerichtet." Es komme daher immer wieder vor, dass Wissenschafter in der gleichen Gegend an ähnlichen Problemen arbeiten, ohne diese aufeinander abzustimmen. Um solche Doppelspurigkeiten zu vermeiden, braucht es nach Ansicht von Bugmann vermehrt grössere koordinierte Projekte wie beispielsweise "Primalp" oder das NFP48.


Fussnoten:
(1) Webseite der Schweizer Projektleitung: http://www.berge2002.ch/
(2) Polyprojekt Primalp: www.primalp.ethz.ch
(3) Nationales Forschungsprogramm NFP 48: www.nfp48.ch
(4) Website der Mountain Research Initiative: www.mri.unibe.ch



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