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Rubrik: Tagesberichte |
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Porträt des ETH-Alumnus Hanspeter Schlatter Vom Landvermesser zum Risikospezialist |
Der ETH-Alumnus Hanspeter Schlatter arbeitet als Kulturingenieur bei einer grossen Ingenieurunternehmung. Er, der sich persönlich eher als ängstlichen Menschen einschätzt, befasst sich im Beruf mit der Risikoanalyse. Von Marion Morgner "Risikoanalyse und Massnahmenplanung einer bestehenden Brücke betreffend Anprall" heisst eines der Projekte, das der Kulturingenieur Hanspeter Schlatter bearbeitet hat. Die Fragestellungen dazu lauten: Was passiert, wenn ein entgleister Zug gegen eine Brücke prallt und wie kann das vermieden werden? Hanspeter Schlatter ist bei einer Ingenieurunternehmung im Geschäftsbereich Sicherheit tätig. Ein typisches Arbeitsfeld für einen Kulturingenieur?(1) "Wenn ich meinen Studienplan mit dem vergleiche, was ich heute mache, stimmt das nicht. Wenn ich aber schaue, wie viel Kulturingenieure in unserem Unternehmen arbeiten, sieht das anders aus." Kulturingenieure können auf ein breit angelegtes Wissen zurückgreifen und das ist bei interdisziplinären Projekten, wie sie Schlatter bearbeitet, ein grosser Vorteil. "Für viele ist der Kulturingenieur aber immer noch der Landvermesser, der mit der rot-weissen Latte in der Landschaft steht", amüsiert er sich. Was Schlatter selbst zu Beginn des Studiums fasziniert hat, waren die Kartographie und die Vermessung, insbesondere in Verbindung mit Astronomie. Karten begeistern ihn auch heute noch. "So eine richtig schöne Karte, das ist wirklich was", sagt er im Brustton der Überzeugung. Und in seinem Büro, das er mit einem Kollegen teilt, hängt dann auch ein besonders eindrucksvolles Exemplar vom Aletschgletscher gegenüber von seinem Schreibtisch an der Wand.
Bauch gegen Kopf In vielen Situationen ist Hanspeter Schlatter ganz Ingenieur: "Es gibt eine Entgleisung auf so und soviel Millionen Zugkilometer - da bin ich dabei oder nicht. Wahrscheinlich aber eher nicht", sagt Schlatter nüchtern. Doch es gibt auch Momente, in denen er seinem Gefühl folgt. "Manchmal, trotz aller sorgfältig durchgeführten Berechnungen für z. B. eine Brücke, beschleicht mich im Berufsalltag ein ungutes Gefühl - dem folge ich dann auch und prüfe daraufhin jedes Detail ein weiteres Mal", erzählt er. Beim Bergwandern geht es ihm manchmal ähnlich: "Auch wenn ich mit einem Seil gesichert bin, kann es passieren, dass ich an einer brenzligen Stelle ein paar Minuten zögere, bevor ich weitergehe - auch wenn mein Kopf mir sagt, dass nichts passieren kann." Nicht immer schneller, höher, weiter Bei seinen Projekten hat Hanspeter Schlatter häufig mit Risikoanalysen von Verkehrsmitteln, wie Zügen oder Seilbahnen, zu tun. Die Unglücke in den letzten Jahren - Stichworte dazu sind Eschede und Kaprun - haben seine Einstellung zu Risiko und Sicherheit nicht verändert. Solche Unglücke zeigten, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt.
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Jedoch hätten diese Ereignisse die Gespräche mit Kunden gefördert, die Risikoanalysen in Auftrag geben. "Oft, wenn wir extreme Unglücksannahmen skizzieren, heisst es: Immer kommt ihr mit solchen unwahrscheinlichen Ereignissen. Den Kunden wird durch die Unglücksfälle häufig erst bewusst, dass eben auch der schlimmste Fall eintreten kann. Die vergangenen Katastrophen rufen ausserdem wieder ins Bewusstsein, dass man vor lauter Technik nicht den Mensch aus dem Auge verlieren darf", mahnt der 38-Jährige. Die Frage sei nicht: Wie schütze ich die Brücke vor dem Zug?, sondern es müsse heissen: Wie schütze ich die Zuggäste vor der Brücke? Ausgleich in der Musik Risikoforschung hält Hanspeter Schlatter besonders dann für wichtig, wenn das Risiko nicht akut ist, sondern erst langfristig Auswirkungen zeigt. Zum Beispiel bei der Luftverschmutzung, zu der viele Faktoren beitragen und deren Auswirkungen vielleicht erst die nächste oder übernächste Generation voll zu spüren bekommt. "Typischerweise reagieren die Menschen bei Risiken, bei denen sie nicht gleich eins auf den Deckel kriegen, nicht so empfindlich." Das beunruhige ihn, so Schlatter. Obwohl Hanspeter Schlatter im Beruf soviel mit Technik zu tun hat, privat ist er alles andere als ein Technikfreak. "Nicht einmal einen Fernsehapparat oder eine Mikrowelle habe ich", lacht er. Und wenn er in Urlaub fährt, geht er Bergwandern oder ist - vor allem noch zu Studienzeiten hat er häufig Touren gemacht - mit dem Rad unterwegs. Ansonsten begeistert ihn in seiner Freizeit alles rund um die Musik. Er spielt Klarinette und ist ein leidenschaftlicher Sänger. "Die Musik und die Natur sind für mich der ideale Ausgleich zu meinem Ingenieurberuf", unterstreicht Schlatter. Risikofaktor Mensch Aber wie war das noch mal mit der Brücke und dem Anprall? Zum Beispiel bei dem Zugunglück von Eschede im Jahr 1998. War das Schlamperei? "Nein, das war es wahrscheinlich primär nicht", sagt Schlatter. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Unfall passiert, sei sehr, sehr gering gewesen. "Es gibt immer Sachen, die man im voraus nicht weiss und welche, die man vorher nicht denkt", sagt Schlatter und skizziert den Hergang des Unglücks mit wenigen Strichen auf einem Blatt Papier. Wenn man versucht, das Unglück nachzuvollziehen, kann man das Ereignis in mehrere Einzelereignisse aufteilen, so dass man je nach Aufteilung eine Verkettung von zehn bis zwanzig Einzelereignisse erhält. Und alle Einzelereignisse waren unwahrscheinlich. Dennoch - am Anfang steht oft ein Mensch, der irgendetwas falsch gemacht hat. Der Mensch bleibe das unkalkulierbarste Risiko.
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