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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 16.11.2001 06:00

Gefährliche Güter auf Schiene und Strasse
Das Risiko fährt mit

Täglich werden Zehntausende von Tonnen gefährlicher Güter meist problemlos durch die Schweiz transportiert. Aber am Gotthard hat sich kürzlich wieder gezeigt, wie gefährlich der Gütertransport sein kann. Gefahren zu erkennen, Risiken zu bestimmen und technische Systeme zu optimieren sind Aufgaben des Laboratoriums für Sicherheitsanalytik (LSA).

Von Regina Schwendener

Die Gotthard-Katastrophe hat uns das schlagartig vor Augen geführt: Verkehrssysteme sind ein Beispiel für hoch komplexe und stark vernetzte technische Einrichtungen, deren Empfindlichkeit gegenüber Störungen in Zukunft möglicherweise noch zunimmt. Gleichzeitig steigen die Erwartungen an Funktionalität und Qualität. Diese Aspekte erschweren die wissenschaftliche Betrachtung technischer Systeme generell. „Wir beschäftigen uns unter der Leitung von Professor Wolfgang Kröger mit Risikoanalysen solcher Systeme und damit mit Systemanalysen in Bezug auf Funktionssicherheit, Zuverlässigkeit und Risiko“, zieht Ralf Mock, Oberassistent am Laboratorium für Sicherheitsanalytik (LSA) (1), die Grenze beispielsweise zu den Bauingenieuren.

Risiko bedeutet mehr als Gefahr

Vor allem der Begriff Risiko wird in der Praxis unterschiedlich verwendet und oft mit Gefahr gleichgesetzt. In der Risikoanalytik beschreibt er jedoch nicht nur das potentielle Ausmass eines Unfalles, und damit eine Gefahr, sondern berücksichtigt ebenfalls seine Häufigkeit als wichtige Beurteilungshilfe.

Der Ansatz, Risiken einfach durch die Vermeidung oder Ersatz gefährlicher Stoffe zu senken, ist in der Praxis meist problematisch. Daneben sind Kosten und Wirkungsgrad von Sicherheitsmassnahmen oft schwer einzuschätzen. Risikoanalysen liefern dann wesentliche Beurteilungs- und Entscheidungshilfen und zeigen Optionen zur Risikominimierung auf. Für eine zeitgemässe Risikoanalyse braucht es vor allem kosteneffiziente Lösungen für eine ausreichende Sicherheit in offenen Märkten. Zum anderen sollen Ergebnisse fundierte technische Anstösse für Entscheidungsprozesse im Risikomanagement liefern. Die Aufgabe geht damit über klassisch ingenieurtechnische Arbeitsansätze hinaus. Dies lässt sich über die aktuelle Fallstudie "Risikoabschätzung durch den Transport gefährlicher Güter" veranschaulichen. Es bleibe aber, so Mock, auch gerade wegen des aktuellen Unfalls im Gotthard-Tunnel festzuhalten: Eine absolute Sicherheit gibt es trotz aller Forschungsarbeit und verbesserter Werkzeuge nicht.

Risikoanalyse1
Bild 1 zeigt die atmosphärische Ausbreitung einer toxischen Substanz nach einer unfallbedingten Freisetzung beispielsweise aus einem beschädigten Eisenbahnwaggon. Der Unfallort entspricht einem identifizierten „Hot Spot“ (grosses "X"). gross

Aufspüren der „Hot Spots“

Die Aufgabe, ein grosses und vernetztes Transportsystem zu analysieren, ist schwierig und benötigt anspruchsvolle mathematische Ansätze. Der Informations- und Datenbedarf ist gross und betrifft sowohl die formale Problemdefinition als auch Modellparameter. Die Entwicklung von Methoden und Werkzeugen ist hier ohne interdisziplinäre Arbeitsansätze und Problemsteller, beispielsweise die SBB, nicht denkbar.

Jedes Jahr werden in der Schweiz etwa neun Millionen Tonnen gefährlicher Güter mit der Bahn transportiert. Obwohl die Abgrenzung im Einzelnen nicht immer eindeutig ist, so sind dies vor allem entzündbare Kohlenwasserstoffe (Benzin, Diesel und Heizöl, aber auch Flüssiggase wie Propan und Butan) und toxische Stoffe (Lösungsmittel, Säuren oder anderes). Verschärft durch die harten Konkurrenzbedingungen in der Transportbranche gewinnen präventive Risikoanalysen als Entscheidungshilfe für Unternehmen, Behörden und Interessengruppen an Bedeutung. "Die heute üblichen, vereinfachenden Ansätze und Werkzeuge der Transport-Risikoanalytik liefern ein verzerrtes Risikobild. Sie betrachten nur grosse Streckenabschnitte und berücksichtigen die Systemkomplexität und -dynamik nur unzureichend. Daher muss die Entwicklung von Risikoanalysemethoden forciert werden", wie Adrian Gheorghe, Projektmanager am LSA, betont.


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Risikoanalyse2
Bild 2: Berechnung der kritischen Lüftungsgeschwindigkeit in einem Tunnel. gross

Weiterentwicklung und Erprobung neuer Ansätze, unterstützt von neuen Software-Modulen, seien ein Ziel der Fallstudie. Hier konzentrieren sich die Forschungsaktivitäten auf die automatisierte Identifizierung potentieller Gefahrenstellen ("Hot Spots") entlang einer beliebigen Transportroute in der Schweiz. Jeder dieser "Hot Spots" ist der Ausgangspunkt für potentielle Unfallabläufe und erhält damit ein eigenes Risikoprofil. Nofallmassnahmen, welche die Auswirkungen eines Unfalles begrenzen, sind ebenfalls Teil der Analyse. Zu Vergleichszwecken dienen Ergebnisse nach den Methoden der Schweizer Kontrollbehörden. Der zweite grosse Projektabschnitt umfasst die Entwicklung sogenannter IDSS (Integrated Decision Support Systems) zur möglichst realitätsnahen Simulation der Auswirkungen von Notfallmassnahmen. Sie sind ein Werkzeug zur Planung und Analyse risikoreduzierender Handlungen und damit des Risikomanagements.

Die Ausbreitungsverhalten eines Stoffes ist wesentlich von seinen chemisch-physikalischen Eigenschaften und vom jeweiligen Wetter abhängig. Für die Simulation greift das entsprechende Softwaremodul auf eine Chemiedatenbank zurück sowie auf Informationen über die ortspezifischen meteorologischen Verhältnisse, beispielsweise die häufigste Windrichtung am Unfallort.

Öffentlichkeit einbinden

Ist die Ausbreitung eines Stoffes berechnet, und damit seine Konzentration an einem beliebigen Ortspunkt bekannt, so lässt sich für jeden Punkt abschätzen, in welchem Masse Personen und die Umwelt geschädigt sind. Die Verbindung von Ausbreitungsrechungen mit Daten digitalisierter geographischer Informationssysteme (GIS) oder auch mit Luftbildern erhöht deren Aussagekraft erheblich (Bild 1). Vor allem GIS liefern weitere, leicht zugängliche Daten zur Bevölkerungsstatistik und Umwelt, beispielsweise über die Anzahl von Personen oder Gewässerflächen in einem (betroffenen) Gebiet. „Erst mit Hilfe solcher Graphiken gelingt es, 'trockene Risikozahlen' zum Transport gefährlicher Güter kompakt und anschaulich zu kommunizieren und somit auch die Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse direkt einzubinden, beispielsweise über die Notwendigkeit und Wirksamkeit von Notfallmassnahmen“, stellt Jürg Birchmeier, Assistent am LSA, fest.

Lüftung bei Tunnelbrand

Für die Risikoanalyse von Bahn- oder Strassentunneln, generell wichtigen „Hot Spots“, steht ein weiteres Software-Modul zur Verfügung. Mit diesem Modul lässt sich unter anderem die kritische Lüftungsgeschwindigkeit berechnen und damit eine der wichtigsten Kenngrössen für die Einschätzung eines Tunnelbrandes. Sie charakterisiert die Geschwindigkeit der durch die Lüftung eingeblasenen Luft, um einen Brand möglichst zu begrenzen und beispielsweise Rauchgase von angrenzenden Tunnelabschnitten zurückzuhalten (Bild 2). Das Modul berechnet zudem die Flammenhöhe, ihre lineare Ausdehnung sowie die Temperatur in Abhängigkeit von Abmessung und Bauart des Tunnels. Diese und weitere Berechnungen dienen wiederum dazu, potentielle Folgen eines Unfalles für die im Tunnel anwesenden Personen abzuschätzen. Im Wesentlichen sind dies die Auswirkungen durch das Einatmen giftiger Gase und tödliche oder nicht tödliche Verbrennungen.


Literaturhinweise:
Informationen zum LSA und NDK: (www.lsa.ethz.ch ) / World Institute for Disaster Risk Management (DRM): (www.drmonline.net/)

Fussnoten:
(1) Institut für Energietechnik; Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik (www.mavt.ethz.ch/ )



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