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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 18.04.2005 06:00

Jubiläumsrückblicke der ETH Technikgeschichte
Die Matrix oder: Wie organisiert sich eine Hochschule?

Die 1987 erfolgte Einführung der Matrixstruktur an der ETH Zürich hat der Hochschule ihre eigene Gestaltbarkeit in Erinnerung gerufen. Anders als im gleichnamigen Film von Andy und Larry Wachowsky stand am Ende dieses grossen Experiments an der ETH nicht die Wüste des Realen, sondern die Verhandelbarkeit der Organisationsform.

Von David Gugerli, Professor für Technikgeschichte der ETH Zürich

Was eine Matrixstruktur genau ist, das bleibt bis heute umstritten. „Matrix ist, wenn man mehrere Chefs hat“. „Wir wollten etwas kreatives Chaos stiften.“ „Matrix – viel zu kompliziert für Professoren.“ Matrix ist eine stets schwierig zu fassende Organisationsform, die an der ETH auch noch einigermassen ephemer geblieben ist. Denn nur fünf Jahre nachdem man mit ihrer Einführung begonnen hatte, gab es auch schon eine präsidiale Kommission, die sich – 1992 – mit ihrer Abschaffung beschäftigen musste.

Ein grosses Experiment

Vier heterogene, von unterschiedlichen hochschulpolitischen Parteien vertretene Gründe führten dazu, dass die ETH Zürich in der Mitte der 1980er Jahre ein grosses organisatorisches Experiment mit der Matrixstruktur gewagt hat. Erstens seien die „New Public Management“-Vorboten in der Bundesverwaltung erwähnt. Spätestens seit 1984 hatten jene Zukunft, die wie Nationalrat Adolf Ogi Reformen ankündigten und Effizienz forderten. Das Evaluationsprogramm EFFI drohte nun allen, der Munitionsfabrik wie der Hochschule.

Diese Gleichsetzung war durchaus als Schock gemeint und gab natürlich viel zu reden. Doch die Hochschule wusste schon immer, wie man auch unter erschwerten Bedingungen Distinktionsgewinne erzielen und eigene Zeichen setzen konnte. Einerseits erwirkte sie deshalb sofort das Privileg, nicht von McKinsey, sondern von der Hayek Engineering AG durchleuchtet zu werden. Und andererseits war es naheliegend, das organisatorische Angebot der Matrix zur Neuordnung der Verhältnisse zu nutzen. Matrixstrukturen hatten gerade Konjunktur bei all jenen, welche die öffentliche Verwaltung auf „Veränderungsmanagement und neue Methoden der Verwaltungsführung“ umstellen wollten.

Skizze der Führungsstruktur der ETH, Oktober 1984 (Bildquelle s. Anhang) gross

Den Kontakt zur Industrie wahren

Zweitens waren Matrixstrukturen auch in der Industrie der 1980er Jahre populär geworden. Sie galten als Flexibilitätsgaranten, und Flexibilität brauchte es, wenn man nicht wusste, wie man das japanische Wunder verkraften, die europäische Integration überstehen und das nordamerikanische Wachstumspotential nutzen sollte. Flexibilität brauchte es umgekehrt aber auch, wenn die Hochschule mit grossen Firmen kommunizieren musste. Denn die Projekt- und Matrixorganisation der Industrie hatte der Hochschule ihre festen und vertrauten Gesprächspartner geraubt. Mit der Einführung der Matrix liess sich die Hochschule wenigstens organisatorisch wieder äquivalent zur Industrie denken.

Forschungszuwachs erforderte neue Struktur

Der dritte Grund, welcher für eine Matrixstruktur der Hochschule sprach, war die steigende Bedeutung der Forschung in den akademischen Distinktionshaushalten einerseits und im Budget der Hochschule andererseits. Dies musste Folgen für die Forschungsorganisation haben. Obwohl die Hochschule in den 1960er Jahren massiv gewachsen war, blieb ihre Forschung im Wesentlichen auf der Ebene einzelner Professuren oder relativ kleiner Institute organisiert. Die Zahl der dem Präsidenten direkt Untergebenen stieg auf über 130 an.


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Kreatives Chaos: Grafische Übersetzung eines Vorschlags der Häusermann AG zur ETH-Führungsstruktur durch die Abteilung III B für Elektrotechnik, 1986. (Quelle s. Anhang) gross

Gleichzeitig war eine einzelne Professur für die Organisation von Forschung insbesondere dort zu klein, wo Forschung an grosse Anlagen gebunden war. Die Konjunktur der Forschung erheischte also eine neue organisatorische Struktur – die Schaffung von Forschungsdepartementen unter der Obhut eines Vizepräsidenten schien das Problem lösen zu können.

Sie wären aber nicht mit der Verwaltungsstruktur für Lehre kompatibel gewesen oder hätten gar die dem Rektor unterstellten Abteilungen in Frage gestellt. Eine Matrixstruktur erlaubte es, die neue Organisation aufzubauen, ohne die alte abschaffen zu müssen. Viertens stiegen aber gerade in den 1980er Jahren die organisatorischen Anforderungen auch in der Lehre. Nicht weniger als drei neue Studiengänge (Informatik, Materialwissenschaft, Umweltnaturwissenschaft), zahlreiche Nachdiplomstudiengänge und berufsbegleitende Weiterbildungsangebote, eine gründliche Reorganisation der Naturwissenschaftlichen Abteilung, die Versuche mit dem Projektorientierten Studium (POST) sowie die Reformen an den Normalstudienplänen machten deutlich, dass eine Hochschule damit rechnen musste, sich auch im Bereich der Lehre auf change management einzustellen.

Die Abteilungen, davon war man nicht nur im straff geführten Rektorat überzeugt, mussten weiterhin ihre ausbildungskoordinierende Funktion wahrnehmen und hatten keineswegs völlig ausgedient. Die Matrix stellte sicher, dass sich nicht alles auf einen Schlag ändern würde.

Kreatives Chaos unterscheidlich gemeistert

Das kreative Chaos, welches Präsident Bühlmann mit der Matrixstruktur stiften wollte, war bereits vorbereitet, als die Vorschläge der Unternehmensberatung Häusermann schulintern diskutiert wurden. Kaum eine Stellungnahme, die sich mit der andern deckte. Dies lag selbstredend daran, dass der Flexibilisierungsschub, welcher die Einführung der Matrixstruktur an der ETH 1987 erzeugte, grosse Verschiebungen im Machtgefüge der Hochschule zur Folge hatte. Zudem erforderte die grosse Strukturveränderung unzählige weitere organisatorische Anpassungsleistungen. Und dies bedeutet letztlich immer weitere Verhandlungsrunden, mit immer neuen Gewinn- und Verlustchancen.

Manche Departemente wussten dabei ihre Position dadurch zu verbessern, dass sie sich die Vorteile der Matrixstruktur zueigen machten und überraschende Autonomiegewinne verbuchten. Andere hatten weniger Erfolg. Die kollektive organisatorische und taktische Intelligenz war erstaunlich ungleich verteilt. Deshalb ist der Grad an Faszination und Schrecken, den jene Zeitzeugen bekunden, welche an die Matrixstruktur erinnert werden, genau davon abhängig, wie virtuos ihre Abteilung oder ihr Departement mit der Herausforderung der Matrixstruktur umgegangen war.


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Literaturhinweise:
Die bisher in "ETH Life" erschienenen Jubiläumsrückblicke der ETH-Technikgeschichte finden Sie unter: www.ethlife.ethz.ch/articles/ethistory/
Bildquellen: Linke Spalte: Hayek Engineering AG: Grobanalyse mit Optimierungs- und Konzeptstudie der ETH, Juli 1985, S.11. Rechte Spalte: Stellungnahme der Häusermann + Co. AG zum Kommentar der Schulleitung ETHZ vom 14.7.1986 zur "Organisationsstudie ETHZ" - Projekt AVANTI 1.1, Zürich 1986.



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