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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 29.10.2003 06:00

Die arabische Wissenschaft und die Wiedergeburt der Mathematik im Abendland
Zahlenblüte nach dem Mittelalterschlummer

Leonardo Fibonacci hat vor 800 Jahren massgebend dazu beigetragen, dass die Mathematik im Abendland wieder zur Wissenschaft wurde. Das italienische Museum „Il Giardino di Archimede“ hat zu diesem Thema eine Wanderausstellung konzipiert, die an der ETH Zürich bis Mitte November gezeigt wird (1). Am Montag war Vernissage.

Von Michael Breu

Die Zahlen von Null bis Neun sind uns vertraut, kaum jemand würde erwarten, dass ihre Einführung vor 800 Jahren zu grossen Protesten führte. Im angehenden 13. Jahrhundert war in mehreren italienischen Städten die Verwendung der neuen Zahlen sogar verboten; man sprach vom Kampf der Abakisten gegen die Algoristen. Die Abakisten verwendeten die römischen Zahlen und als „Rechenmaschine“ den Abakus, die Algoristen nutzten die indisch-arabischen Ziffern. Ausgerechnet ein Italiener brachte das römische Zahlensystem zu Fall: Leonardo Fibonacci. Ihm und seinem 1202 publizierten Buch „Liber Abaci“ ist eine Ausstellung gewidmet, die seit Montag im ETH-Hauptgebäude und in der Bibliothek zu sehen ist. Die Exponate in der Haupthalle stammen vom italienischen Mathematik-Museum „Il Giardino di Archimede“ in Priverno und wurden vom Departement Mathematik der ETH und der Cattedra di letteratura italiana nach Zürich geholt, jene in der Bibliothek – vorwiegend Bücher – stammt aus eigenen Beständen.

Algebra, eigenständiges mathematisches Werk

Unsere Zahlenwelt nimmt ihren Anfang kurz nach dem Untergang des römischen Reiches. „Die ersten eigenständigen mathematischen Werke, die innerhalb der arabischen Kultur erschienen, datieren aus dem neunten Jahrhundert, im zehnten und elften Jahrhundert erreichte die Mathematik ihre höchste Blüte“, ist in der Ausstellung zu erfahren. In einer Zeit also, in der das Abendland im Schlummer des Mittelalters liegt und die Errungenschaften der Griechen und Römer vergisst. In Bagdad jedoch entwickelt sich eine Hochburg des Wissens: „Aus dem Zusammentreffen der indischen Arithmetik und der griechischen Geometrie mit dem fernen Echo der ägyptischen und babylonischen Mathematik erwuchs eine in vielen Aspekten neue und einmalige Wissenschaft: die Algebra“, heisst es in der Ausstellung. Friedensverträge und die Entwicklung des Handels weckten vor allem die italienischen Städte Pisa, Florenz und Venedig aus dem mittelalterlichen Schlaf.

Fibonacci in der Bibliothek: Hauptsächlich Bücher zeugen von der Wichtigkeit der Fibonacci-Folge. gross

In dieser Zeit – man vermutet das Jahr 1170 – wird in Pisa Leonardo Fibonacci geboren, Sohn des Kaufmanns und Handelsabgeordneten Guilielmus Bonacci (Fibonacci bedeutet: Filius Bonacci, Kind des Bonacci).


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Fibonacci in der Haupthalle: Die Ausstellung wurde konzipiert vom italienischen Mathematik-Museum "Il Giardino di Archimede". gross

Leonardo Fibonacci wächst in Bugia im heutigen Algerien auf und eignet sich auf zahlreichen Reisen mathematische Kenntnisse an. Viel ist aus seinem Leben nicht bekannt – doch eines seiner Werke ist der Welt bis heute erhalten geblieben: der „Liber Abaci“. „In ihm stellte Fibonacci das Wissen zusammen, das er während seiner Wanderschaft durch die arabischen Länder und durch den Mittelmeerraum erworben hatte, und verband es mit eigenen Überlegungen und Ausarbeitungen“, informiert der Führer zur italienischsprachigen Ausstellung. „Einer der wichtigsten Beiträge des Liber Abaci bildet die Verbreitung der indisch-arabischen Ziffern und des Stellenwertsystems.“ Nicht nur: In seinem „Buch der Rechenkunst“, wie es die ETH-Bibliothek bezeichnet, legte Fibonacci die Grundlagen des neuen Rechensystems und entwickelte erste Rechenmethoden. Dazu gehört etwa der Dreisatz oder die so genannte Fibonacci-Folge, welche etwa die Zunahme einer Kaninchenpopulation beschreibt (deshalb „Kaninchen-Aufgabe“), oder das geometrische Problem aneinander liegender Quadrate erklärt (und somit Grundlage des „goldenen Schnittes“ ist).

„Da der Liber Abaci in einem auf dem Gebiet der Mathematik rückständigen Umfeld erschien, bedurfte es einer beachtlichen Zeit, bis er seine Früchte tragen konnte. Erst für die letzten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts begegnet man konkreten Zeugnissen des Einflusses von Leonardo Fibonacci auf die Entwicklung der Mathematik in Italien“, heisst es im Ausstellungsführer weiter. „Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, mit dem Wiedererwachen der mathematischen Förderung in Italien, erlangte das Werk seine angemessene Stellung zurück.“ Fibonacci starb nach 1240 – Dokumente darüber liegen nicht vor.

Wiedergeburt im Abendland

Mit der Ausstellung „Un ponte sul Mediterraneo. Die arabische Wissenschaft und die Wiedergeburt der Mathematik im Abendland“ wollen das Departement Mathematik, die Cattedra di letteratura italiana und die Bibliothek der ETH „eine Brücke schlagen“, sagte Ottavio Besomi, emeritierter ETH-Literaturprofessor für italienische Sprache, am Montag anlässlich der Vernissage und fügte an die Adresse von ETH-Rektor Konrad Osterwalder an, dass trotz Budgetkürzungen an der ETH ein Brückenschlag zwischen den wissenschaftlich dominierten und den geisteswissenschaftlichen Fächern dringend nötig sei. In seinem Referat ging Osterwalder auf die Forderung nicht ein, sondern würdigte das Engagement der Aussteller. Wolfram Neubauer, Direktor der ETH-Bibliothek, verwies auf die grossen Schätze der eigenen Sammlung, Enrico Giusti von der Università di Firenze und Roshdi Rashed von der Pariser Université Denis Diderot führten in die Arbeiten Fibonaccis ein.


Fussnoten:
(1) „Fibonacci. Un ponte sul Mediterraneo. Die arabische Wissenschaft und die Wiedergeburt der Mathematik im Abendland“, Ausstellung des Departementes Mathematik: www.math.ethz.ch/fibonacci und der ETH-Bibliothek: http://www.ethbib.ethz.ch/exhibit/fibonacci/index.html.



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