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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.01.2007 06:00

Ausstellungseröffnung in der Graphischen Sammlung
Wenn Zwei das Gleiche tun...

Heute Dienstag wird die Ausstellung „Geste und Gestik – eine Formelsammlung“ in der Graphischen Sammlung der ETH eröffnet. Wer bisher davon überzeugt war, dass jeder Geste nur eine unmissverständliche Botschaft zugrunde liegt, wird beim Gang durch die ausgestellten Drucke aus sechs Jahrhunderten eines Besseren belehrt und kann so manche witzige Entdeckung machen.

Samuel Schlaefli

Wer die hohle Hand macht, der bettelt und will Geld. So einfach und verständlich scheint die nonverbale Kommunikation anhand der Deutung von Gesten. Dass die Bedeutung der ausgestreckten hohlen Hand auch eine ganz andere sein kann, zeigte bereits Rembrandt im Jahre 1655. In seiner Radierung „Ecce homo“ (Seht, da ist der Mensch!) kennzeichnet die hohle Hand des römischen Statthalters Pontius Pilatus den exakt berechneten Mittelpunkt des Werkes und inszeniert dadurch die Geste zum bestimmenden Element. Die Bedeutung der Geste ist jedoch in diesem Falle gerade konträr zur geläufigen Deutung. Die hohle Hand Pilatus' symbolisiert nämlich die Auslieferung Jesus an das Volk - eine folgenschwere Geste, deren Konsequenzen wohlbekannt sind.

Diese Geste aus Rembrandts „Ecce homo“ faszinierte die Kuratorin Eva Korazija schon seit Jahren und diente ihr gewissermassen als Ausgangspunkt bei der Suche nach Bildern zum Thema Geste und Gestik. Aus dem riesigen Fundus der Graphischen Sammlung von rund 150`000 Grafiken aus sechs Jahrhunderten hat Korazija eine vielfältige und manchmal ironische Auswahl zum Thema getroffen, die den kommunikativen Möglichkeiten der Gestik auf den Grund geht. Die Ausstellung „Geste und Gestik – eine Formelsammlung“ wird heute Dienstag in der Graphischen Sammlung der ETH eröffnet.

Eine Geste, vier Bedeutungen

Eva Korazija betont, dass die Ausstellung keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebe. Die Auswahl sei sehr persönlich, klar definierte Kriterien lagen dabei nicht zugrunde. „Ich will mit meiner Bildauswahl in erster Linie zeigen, dass selbst wenn zwei Menschen das Gleiche tun, die Bedeutung dessen für den Betrachter noch lange nicht gleich sein muss“, so Korazija. Zum Ausdruck kommt dies vor allem im Zentrum der Ausstellung, wo Korazija „eine Auslegeordnung des Gestischen“ vornimmt. Gesten werden verglichen und auf ihre möglichen Bedeutungen geprüft. So zum Beispiel wenn Korazija eine Wilhelm Tell-Darstellung aus dem Jahr 1790 - Tell verschränkt darauf seine Arme vor der Brust und verweigert damit gleichzeitig das Salutieren vor Gesslers Hut – mit drei Bildern gruppiert, die ebenfalls die Pose der verschränkten Arme zeigen. Ein und dieselbe Geste kann in verschiedenen Handlungszusammenhängen Verschiedenes, bisweilen sogar Gegenteiliges, bedeuten: stolze Distanz wie bei der Tell-Darstellung von Henri Courvoisier-Voisin, verlegene Scham bei Gregor Rabinovitsch, undurchsichtige Ausdruckslosigkeit bei Paul Cézanne, aber auch sorglose Gelassenheit wie bei Pierre-Narcisse Guérin.

Wilhelm Tell-Darstellung von Henri Courvoisier-Voisin, 1790: Tell der Rebell. (Bild: Graphische Sammlung)

Viel zitierte Melancholie

Die zentrale „Auslegeordnung“ ist umgeben von Bildergruppen mit jeweils zwei bis sechs Grafiken, welche die Kuratorin um einen selbst gewählten Titel versammelt hat. Die Titel, alphabetisch angeordnet, von A wie Archetyp über K wie Koketterie und Kokotte bis zu Z wie Zeichensprache, sind teils ironische Andeutung auf den Pathos oder Witz der gezeigten Geste, teils auch nur verbalisierte Bedeutung des Gezeigten. Das eigenwillige Alphabet führt den Besucher gleichzeitig durch die Ausstellung. Hierbei fällt besonders auf, wie sich gewisse Gesten über Jahrhunderte in verschiedensten Ausdrucksformen als künstlerisches Motiv bewährt haben.


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Die Melancholie von Albrecht Dürer, 1514: Archetypischer Gestus für Denker-Pose. (Bild: Graphische Sammlung)

In der Gruppe Archetypus zeigt Albrecht Dürers „Die Melancholie“ aus dem Jahre 1514 den Archetypus der Denker-Pose: Ein Mann stützt sein Antlitz mit versunkener Miene in die Hand. Die gleiche Geste ist auch auf den fünf zur Gruppe gehörenden Bildern auszumachen. Die jüngste bewusste oder unbewusste Bezugnahme auf Dürers melancholischen Denker stammt von Pablo Picasso aus dem Jahre 1959. Und wenn man sichs recht überlegt, findet sich der Archetyp und die dazugehörige Geste auch heute noch regelmässig in den Massenmedien wieder.

Portrait de Jacqueline accoudée von Pablo Picasso, 1959: Gleicher Gestus, andere Form. (Bild: Graphische Sammlung)

Mehr Bedeutungen als Abbilder

Alle in der ausstelung gezeigten Drucke stammen aus der Graphischen Sammlung der ETH, wobei vor allem Werke aus dem 15. bis ins 19. Jahrhundert zu sehen sind. Albrecht Dürer, Rembrandt und Honoré Daumier sind Namen, die dem Betrachter in der Ausstellung immer wieder begegnen. Viele der gezeigten Sujets stammen aus der Bibel, der griechischen Mythologie oder literarischen Erzählungen. Den Entscheid nur wenige Exponate aus dem 20. Jahrhundert auszustellen erklärt Korazija damit, dass die Gestik bei der Abkehr von einer gegenständlichen und figurativen Kunst im 20. Jahrhundert schwieriger auszumachen sei. Und doch ist die Kunsthistorikerin überzeugt: „Die Geschichte der Kunstgeschichte überhaupt ist eine Geschichte von Geste und Gestik“. Korazija betont, dass die Ausstellung auch für Laien interessant sei, sofern diese eine gewisse Neugier mitbringen. Der aufmerksame Besucher kann in diesem Fall die Welt der Gesten für sich selber entdecken und so manche witzige Entdeckung machen. Einerseits wird er überrascht sein, dass bestimmten Gesten die Kunstgeschichte wie ein roter Faden durchziehen andererseits kann er sich von der möglichen Bedeutungsvielfalt von ein und derselben Geste überzeugen. Dass ein Bild mehr sagen kann als tausend Worte ist bekannt, dass aber eine Geste mehr Bedeutungen als ihre mannigfaltigen Abbilder haben kann, ist doch erstaunlich.

Vernissage: Dienstag, 23. Januar 2007, 18 Uhr

Ausstellung: 24. Januar - 30. März 2007

Montag bis Freitag von 10 - 17 Uhr, Mittwoch bis 19 Uhr, Sa und So geschlossen

Eintritt frei


Literaturhinweise:
Informationen zur Graphischen Sammlung: http://www.gs.ethz.ch



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