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Rubrik: Tagesberichte Abschluss des ETH-Polyprojekts "Primalp" Den Berg erklommen |
Published: 12.06.2002 01:00 Modified: 12.06.2002 09:14 |
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So zerklüftet wie manche Schweizer Bergregion erscheint die Situation in der Landwirtschaft: hier viel Bio-Romantik mit heiler Welt und Kleinbauern-Idylle, dort der von der EU und dem Preiszerfall diktierte Trend zum rationell operierenden Agrarbetrieb. Die Resultate des jetzt abgeschlossenen ETH-Polyprojekts "Primalp" zeigen unter anderem auf, wohin künftgig die Reise in der alpinen Land- und Forstwirtschaft gehen könnte. Von Norbert Staub (mailto:norbert.staub@sl.ethz.ch) Werkzeuge für eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft im Alpenraum bereitzustellen: mit diesem Ziel wurde das disziplinenübergreifende ETH-Projekt "Primalp" vor fünf Jahren gestartet.(1) Über zwanzig Forschende, von den Forst- und Nutztierwissenschaftlern über Agrarökonomen bis zu Geobotanikern und Historikern, haben nun Erkenntnisse vorgelegt (darunter 10 Doktorarbeiten), die in Massnahmen für nachhaltiges Wirtschaften im Schweizer Alpenraum münden sollen. Begleitet hat das Unternehmen Albert Waldvogel, damals ETH-Vizepräsident Forschung, heute Delegierter für die Strategischen Erfolgspositionen. Das Beispiel „Ozonloch“, so Waldvogel, habe gezeigt, dass bei völlig neuen Situationen trotz vorhandenen Messdaten das Bewusstsein, dass etwas getan werden müsse, jahrelang fehlen könne. Nachhaltigkeit in der Forschung heisse auch, dem entgegenzuwirken. Fülle von AnregungenPeter Rieder, ETH-Professor für Agrarökonomie und Vorsitzender des Projektausschusses, umriss das Ziel "Nachhaltigkeit in Alpenregionen" an der "Primalp"-Schlussveranstaltung vom Montag an der ETH so: Optimierung der hineinspielenden Faktoren Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft, ohne dass einer durch die anderen einen Verlust davontrage.
- Also die "Quadratur des (Nachhaltigkeits)-Dreiecks", wie der Leiter des "Primalp"-Projekts Nikolaus Gotsch zusammen mit Christian Flury vom Kernprojekt andeutete? Entscheidend sei, so Rieder, wie man von Systemwissen zu Handlungswissen komme, und dafür stelle "Primalp" mit seinem Kernprojekt und den "Best Practices"- und "Best Policies"-Teilprojekten jetzt eine Fülle von Anregungen zur Verfügung. Ökologie und Ökonomie verbindenBei der Forstbewirtschaftung jedenfalls zeigt sich, dass es nicht zwingend zum Widerspruch "ökonomische Effizienz" kontra "ökologische Verträglichkeit" kommen muss: Laut Hans Rudolf Heinimann, ETH-Professor für Forstliches Ingenieurwesen, klettert auch unter schwierigsten Geländeverhältnissen der Verbrauch an nicht erneuerbarer Energie auf maximal vier Prozent des Heizwerts des erzeugten Rohholzes. Lokale Holznutzung im Gebirge, auch die technisch aufwändige, ist also sinnvoll. Hingegen betrachtet Heinimann den Holzimport etwa aus Polen für ökologisch unsinnig, zumal wenn noch eine "Bio"-Etikette am Produkt hängt: "Die Bereitstellung von einem Kubikmeter Holz entspricht einer Lastwagenfahrt über 50 Kilometer. Kann man eine solche Fahrt einsparen, ist schon viel gewonnen", hält Hans Rudolf Heinimann fest. Politischer ZündstoffWohin geht die Reise bei den Bauernbetrieben im Berggebiet? Und mit welcher Politik können die gesellschaftlich gestützten Nutzungsziele "dezentrale Besiedlung", "ökologische Produktion" und "ökonomische Effizienz" am besten erreicht werden? - Momentan stehen die Zeichen auf anhaltenden Strukturwandel. Christian Flury und Nikolaus Gotsch haben anhand von umfangreichen Modellrechnungen für das Bündnerland ermittelt, dass die jetzige Strukturwandelsrate von 2,5 Prozent pro Jahr und die entsprechenden Rationalisierungen nicht genügen, um den zu erwartenden Rückgang bei den Preisen aufzufangen.(2)
Konsequenz dieser Erkenntnis sei, entweder die Direktzahlungen an die Betriebe zu erhöhen, oder aber den Strukturwandel noch zu beschleunigen. Auffallend ist, dass gemäss den Modellrechnungen bei frei spielendem Strukturwandel vermutlich kein unerwünschtes Brachland mehr anfiele. Es brauche künftig eine "aktive Strukturpolitik", fordern die Autoren, und nicht eine Behandlung des Strukturwandels als "agrarpolitische Restgrösse". - "Primalp" enthält ausser wissenschaftlichen Denkanstössen also auch einiges an (agrar-)politischem Zündstoff. Warnung vor falschen ErwartungenBei der Viehhaltung in Bergregionen legen die steigenden Arbeitskosten den Bauern nahe, die herkömmliche Intensiv-Milchwirtschaft zu überdenken; folgerichtig geht der Trend in Richtung Rindfleischproduktion über eine extensive Mutterkuh-Haltung; das erscheint landläufig obendrein ökologischer. (3) Ein differenziertes Bild dazu skizzierte Michael Kreuzer, ETH-Professor für Nutztierwissenschaften: Extensive Alpwirtschaft ist bei den Nutztieren nur dann ökologisch und damit nachhaltig, wenn ein "ausgeklügeltes Weidemanagement" angewendet werde. Es habe sich nämlich gezeigt, so Kreuzer, dass die Tiere in steilen Lagen nur einen Bruchteil der zur Verfügung stehenden Weide nutzen und dort damit ein sehr ungünstiges Verhältnis von Nährstoffentzug und -rückführung bewirken. Extensive Nutzung ist also nicht automatisch nachhaltig. Dafür wäre einiger Aufwand nötig und diese Nutzungsform somit „ohne massive finanzielle Unterstützung kaum umsetzbar“, machte Kreuzer geltend.
Von "Primalp" zum "Projekt Umweltsysteme" Als Rahmen für eine disziplinenübergreifende Zusammenarbeit mit guter disziplinärer Verankerung habe sich "Primalp" sehr bewährt, stellt Projektleiter Gotsch gegenüber ETH Life fest. Das führe für die Wissenschaft und die Gesellschaft zu Gewinnen, die bei komplexen Fragestellungen mit ausschliesslich disziplinärer Forschung kaum möglich wären. „Der intensive Austausch über die disziplinären Grenzen hinweg erlaubt eine umfassendere Wahrnehmung und praktikable Lösungen von Umweltfragen, wie sie die Öffentlichkeit heute von der Wissenschaft fordert", sagt Gotsch. "In 'Primalp' war dies möglich, weil das Projekt in der gesamten Planungs- und Umsetzungsphase sowie seiner Organisationsstruktur auf diese Ziele ausgerichtet war", fügt Gotsch hinzu, der diese Erkenntnisse in seine neue Aufgabe als wissenschaftlicher Koordinator der zweiten Phase des "Projektes Umweltsysteme" besonders einfliessen lassen will. References:
Footnotes:
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