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Rubrik: Tagesberichte Stelldichein von Versicherungsmathematikern aus aller Welt Dem Zufall zu Leibe rücken |
Published: 07.09.2005 06:00 Modified: 07.09.2005 21:00 |
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An der ETH versammelt sich in diesen Tagen, was in der Berechnung und Modellierung von Risiken in Forschung, Versicherungs- und Finanzwelt Rang und Namen hat (1)
. Die sich ergänzenden Tagungen zu Nichtleben- und Finanzrisiken führen internationale Spezialisten zusammen, unter ihnen Kapazitäten wie der Oxforder Statistiker Sir David Cox und der Amerikaner Robert F. Engle, Wirtschafts-Nobelpreisträger 2003. Norbert Staub (mailto:norbert.staub@sl.ethz.ch) „Das Treffen versammelt rund 400 Spezialisten aus der ganzen Welt und stellt fachintern ein bedeutendes Forum dar“, sagt Paul Embrechts, ETH-Mathematik-Professor und wissenschaftlicher Leiter der Konferenz. „Die Teilnehmer stammen je zur Hälfte aus der Finanz- und Versicherungswirtschaft sowie der Wissenschaft.“ Hervorzuheben seien der Statistiker Sir David Cox von der Uni Oxford – „einer der wichtigsten Statistiker weltweit“ und natürlich der Finanzmarktwissenschaftler Robert F. Engle, der 2003 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten hat. Engle erläutert anhand neuer Anwendungsgebiete seine Theorie der dynamischen Volatilitätskalkulation – ein Verfahren, das zur Berechnung der Abweichung von Renditen eingesetzt wird. Versicherbarkeit hat GrenzenBehandelt würden alle relevanten Fragen, die sich aus den Schnittstellen von mathematischer Forschung und dem Umgang mit Risiken im Finanz- und Versicherungssektor ergeben, so Embrechts. „Wie können Risiken wie etwa Naturkatastrophen modelliert und quantifiziert werden? Die desaströsen Folgen des Wirbelsturms 'Katrina’ im Süden der USA - und in weniger katastrophalem Ausmass die Überschwemmungen in der Schweiz - führen uns schlagend einmal mehr auch die Grenzen der Versicherbarkeit vor Augen“, gibt der Mathematiker zu bedenken. Sie zeigten zudem, dass Risiken und das Bedürfnis und die Möglichkeiten, sie zu versichern, sämtliche Bereiche der Gesellschaft touchieren. Herausforderung SozialversicherungUnd dies in zunehmendem Mass. Scherzhaft im Ton, aber ernst in der Sache betont Embrechts: „Die Schweiz hat in der Zukunft drei Probleme: erstens die Sozialversicherung, zweitens die Sozialversicherung, drittens die Sozialversicherung!“ Das an der ETH versammelte finanz- und versicherungsmathematische Wissen könne wichtige Beiträge liefern, um die damit zusammenhängenden drängenden Fragen zu lösen. Verhaltensregeln für VersichererZu den Referenten der Tagung zählt auch Hans Bühlmann, emeritierter ETH-Mathematikprofessor und ETH-Präsident von 1987 bis 1990. In seinem Beitrag beleuchtet der Spezialist für Versicherungsmathematik die Grundlagen des Versicherungswesens. „Es ist kein Zufall, dass 1848 in London das Institute of Actuaries, das weltweit erste versicherungsmathematische Institut, gegründet wurde“, sagt Bühlmann. „Das industrielle Zeitalter war voll auf Touren gekommen, und mit den damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen wuchs auch das Risikobewusstsein. Sprunghaft schoss die Zahl der Versicherungsgründungen in die Höhe.“ Das Institute of Actuaries, so Bühlmann, stellte die Lebensversicherung erstmals auf eine wissenschaftliche Grundlage. Denn es verschrieb sich der Entwicklung, Verbesserung und Durchsetzung der mathematischen Theorien, auf denen die Praxis der Lebensversicherung basiert, sowie der Sammlung von Daten zu Lebensdauer, Gesundheit und Finanzierung. „Die Aktuare unserer Zeit sind sozusagen die Nachfolger der Londoner Pioniere“, sagt Hans Bühlmann. “Nur ist die Versicherungsmathematik längst in sämtliche Bereiche der Assekuranz und mit dem Aufkommen von Derivaten auch in die Finanzwirtschaft vorgedrungen.“
Er sehe aus der Perspektive des Risikomanagements drei fundamentale Verhaltensregeln für eine funktionierende Versicherung, so Bühlmann und macht gleich eine wichtige Prämisse: „Funktionierend heisst hier: die Versicherten müssen die ihnen zustehende Leistung bekommen.“ Diesen dem reinen Shareholder Value entgegen stehenden Schutzgedanken teile übrigens auch die schweizerische Versicherungsaufsicht. Absage an SpekulationDer erste Faktor sei der Konsens, dass das Gesamtrisiko durch das Kollektiv der Versicherten getragen wird. – „So wird das Risiko gleichmässig verteilt“, hält Bühlmann fest. Zweitens brauche die Versicherung genügend hohe Reserven. Dabei müsse das "No-Arbitrage-Prinzip" befolgt werden. Dieses Prinzip aus der Finanzmarkttheorie bedeutet vereinfacht gesagt, dass nur dann ein korrekter Gewinn erzielt werden kann, wenn ein Risiko eingegangen wird. „Für die Versicherten heisst das: Die ihnen garantierten Leistungen dürfen für den Versicherer nicht zum Spielball der Spekulation auf Gewinne werden.“ Deshalb müsse drittens das Anlageverhalten der Gesellschaften vom Grundsatz gesteuert sein, immer für die Versicherten aufzukommen. „Das heisst: Erst ein Deckungsgrad von über hundert Prozent berechtigt eine Versicherung, finanzielle Risiken einzugehen.“ Angesichts weit darunter liegender Deckungsgrade bei vielen Schweizer Pensionskassen lässt sich diese Haltung auch als eine Mahnung zu äusserst sorgfältigem Umgang mit dem Versicherten-Kapital interpretieren.
References:
Footnotes:
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