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Rubrik: Tagesberichte Eröffnungsfeier der BrainFair 2005 mit dem Philosophen Thomas Metzinger Rätselhaftes Bewusstsein |
Published: 23.05.2005 06:00 Modified: 22.05.2005 22:31 |
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Letzten Freitagabend wurde die nun bereits zum siebten Mal durchgeführte Veranstaltungsreihe "BrainFair" (1)
(siehe Kasten) offiziell eröffnet, dieses Jahr zum Thema "Gewissen + Bewusstsein". Hauptredner der Eröffnungsfeier war der Frankfurter Philosoph Thomas Metzinger. In seinem Vortrag befasste er sich mit dem Rätsel des Bewusstseins und dem Blick von innen. Von Jakob Lindenmeyer (www.jakob.lindenmeyer.ch/) Dass an der Eröffnungsfeier der BrainFair ein Philosoph im Mittelpunkt stand, ist eher ungewöhnlich. Speziell nachdem der aufs Bewusstsein spezialisierte Hirnforscher Christof Koch vom Caltech behauptete, nur Herumsitzen und Debattieren bringe wenig, denn das Bewusstsein sei viel zu kompliziert, um es in intellektuellen Diskussionen verstehen zu können. Die Philosophen hätten nur wenig sinnvolles zur Aufklärung von Gewissen und Bewusstsein beigetragen, so die beissende Kritik von Hirnforscher Koch. "Gewissensbisse erziehen zum Beissen", zitierte Alexander Borbély, Schlafforscher und Prorektor Forschung der Uni Zürich, zu Beginn seiner Einleitung den Philosophen Friedrich Nietzsche und liess dabei offen, welchem Lager er die Gewissensbisse nun zuordnete. Er warnte davor, neuste Forschungserkenntnisse voreilig auf alte Konzepte und Modelle anzuwenden, die möglicherweise bereits im Ansatz unzureichend sind. Der Mediziner Borbély räumte ein, dass auch er einer Projektion erliegen könnte, denn: "Das Gewissen macht uns alle zu Egoisten", zitierte er Oscar Wilde. Von den Philosophen erhofft sich Borbély insbesondere eine Klärung der begrifflichen Strukturen. Doch grundsätzlich laute die Frage: "Können Philosophen eine Antwort bringen zu den wichtigen Fragen der Neurowissenschaften?" Mutter aller WissenschaftenIn der zweiten Einleitungs-Ansprache betonte Professorin Marie-Claude Hepp-Reymond vom Institut für Neuroinformatik von Uni und ETH, dass es gerade in der gegenwärtigen Boom-Phase der Neurowissenschaften wichtig sei, eine Brücke zur Philosophie zu schlagen. Denn schliesslich sei die Philosophie die Mutter aller Wissenschaften. Hepp-Reymond begründete die Einladung des Hauptredners Thomas Metzinger damit, dass gerade Philosophen die Erkenntnisse der Neurowissenschaften kritisch beurteilen könnten. Zum Schluss kommentierte sie Metzingers bekanntestes Buch "Being No One": "Man muss es gelesen haben! ...aber es ist sehr dick."
"Sie können einem Blinden niemals erklären, was Röte ist", veranschaulichte Thomas Metzinger (siehe Kasten) in seiner Eröffnungsrede mit einem Beispiel die erkenntnistheoretische Begrenztheit, unser Bewusstsein objektiv zu analysieren. Und als passende Replik auf die einleitend erwähnten Vorwürfe von Hirnforscher Christof Koch behauptete Metzinger: "Hirnforscher können selbst nicht genau erklären, was Bewusstsein ist." Dem entgegen steht das Postulat, dass man den Begriff in der Anfangsphase der Forschung nicht allzu genau definieren sollte, denn das ergebe sich mit der Zeit. Doch hierauf antwortete der Philosoph: "Der weisse Fleck auf der Wissenschafts-Landkarte zum Bewusstsein wird niemals geschlossen werden."
Anhand zahlreicher psychiatrischer Krankheitsbilder und Phänomene gelang es Metzinger, verschiedene Aspekte philosophischer Theorien über das Bewusstsein zu erklären. So können beispielsweise Astronauten, die sich lange im Weltraum aufhalten, das Gefühl für oben und unten verlieren. Der Grund sei die fehlende Schwerkraft. Aufgrund fehlender Inputs von aussen wird die Selbst-Wahrnehmung instabil. Als Therapie dient den Astronauten ein kräftiger Schlag auf die Ferse, damit sich das Selbst-Modell wieder festigt und der Körper wieder weiss, wo unten ist. Als weiteres Beispiel einer Fehlfunktion des "phänomenalen Selbst-Modells" erwähnte Metzinger die Phantomschmerzen an nicht mehr existierenden Gliedern, teilweise noch Jahrzehnte nach deren Amputation. Ein Therapie-Ansatz verwendet einen mit einem Spiegel und einem Guckloch ausgestatteten Kasten, in den man Arm und Armstumpf hinein steckt. Der Patient erhält nun die Aufgabe, seine Glieder synchron zu bewegen. Der Blick ins Guckloch zeigt ihm dank dem Spiegel ein Bild des amputierten Stumpfes, der genau seinen Bewegungen folgt. Dank des dadurch bewirkten Eindrucks der Kontrolle über das fehlende Glied entstand ein Selbst-Modell, das den Phantomschmerz verschwinden liess. Ein ähnliches Experiment wurde letzten Sommer in der Fachzeitschrift "Nature" publiziert. Dabei wird die eine Hand einer Versuchsperson abgedeckt und mit synchronen Bewegungen sowohl über die abgedeckte, wie auch über eine sichtbar daneben liegende Gummihand gestreichelt. Nach rund einer Minute ist die Gummihand ins Selbst-Modell der Versuchsperson eingebaut. Wenn nun der Versuchsleiter überraschend mit einem Hammer auf die Gummihand schlägt, werden im Hirn der Versuchsperson dieselben Areale aktiviert, wie wenn auf seine verdeckte Hand geschlagen worden wäre. "Benutzeroberfläche fürs Überleben"Es folgten einige komplexe philosophische Überlegungen zum "Selbst" und zum "Ich-Gefühl". Metzinger versuchte damit "auf eine sehr komplizierte Art zu erklären, was passiert, wenn sie morgens aufwachen und zu sich selbst kommen." Denn das wahrgenommene Selbst-Modell sei virtuell und werde nur aktiviert, wenn es gebraucht werde. Auf eine Publikumsfrage erklärte Metzinger am Beispiel des Greifens nach der Wasserflasche: "Unser Bewusstsein liefert uns eine einfache Benutzeroberfläche fürs Überleben." Diese Benutzeroberfläche wurde über Jahrmillionen evolutiv auf den heutigen Zustand optimiert. Eigentlich habe niemand ein "Selbst", sondern nur die Wahrnehmung eines "Selbst-Erlebens", postulierte Metzinger zum Schluss, und ergänzte vielsagend: "Aber wenn das 'Selbst' nur eine Illusion ist, wer ist es dann, der diese Illusion hat?"
References:
Footnotes:
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