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Rubrik: Tagesberichte Biologie und Teilchenphysik im Weltraum Experiment im freien Fall |
Published: 29.09.2003 06:00 Modified: 29.09.2003 16:10 |
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Vor zwanzig Jahren starteten die Weltraumbiologen der ETH das erste Mal mit einem Experiment in den Orbit – und brachten aufsehen erregende Resultate mit. Inzwischen zählt die Gruppe zu den Spezialisten, wenn es um Wachstumsversuche mit Zellen geht. Doch nicht immer verläuft alles reibungslos. Ein Tag aus dem Labor. Von Michael Breu (mailto:breu@cc.ethz.ch) Eigentlich hat niemand je daran gedacht, dass die ETH Zürich einst zum Kompetenzzentrum für Weltraumbiologie werden könnte. Auch nicht Augusto Cogoli, als er in den frühen 1970er-Jahren – eben als organischer Chemiker promoviert – aus Italien in die Schweiz kam um Biochemie zu studieren. Die Geschichte beginnt mit einem Zufall, „ein grosser“, wie Augusto Cogoli sagt. Unsicher streicht er über seine beige Cordhose und rückt die Brille zurecht. „Wo soll ich beginnen? Also 1974: Ich beendete an der ETH meine Dissertation in Biochemie und ging nach einer Assistenzzeit für ein Postdoktorat nach Israel ans Weizmann-Institut. Dort arbeitete ich mit T-Lymphozyten, einem Bestandteil des Immunsystems.“ Das ist der erste Teil der Geschichte. Der zweite beginnt 1976 in Zürich am Laboratorium für Biochemie.“ Cogoli blickt konzentriert auf den Blätterstapel, der vor ihm auf dem Tisch liegt. „Da lag ein Briefumschlag ungeöffnet im Kaffeezimmer. Keiner interessierte sich für den Inhalt. Also öffnete ich den Brief.“ Es war eine Ausschreibung für mögliche Projekte, welche die europäische Weltraumorganisation (ESA) im All durchführen wollte(1) . Und hier beginnt der dritte Teil: die Faszination für den Weltraum. „Mein Vater war Hobbyastronom“, sagt Augusto Cogoli, „und auch ich habe immer alles mit grosser Spannung verfolgt. Den 'Sputnik' habe ich sogar von Como aus gesehen, faszinierend.“
Wissenschaftliche Basis, die Ausschreibung und das Interesse – Cogoli musste mitmachen. Doch mit welchem Projekt? Was lag näher, als das Wachstum von T-Lymphozyten im Weltraum zu untersuchen? „Unsere Projektskizze stiess bei der ESA auf grosses Interesse. Doch die Finanzierung war alles andere als einfach“, sagt Cogoli. Nur dank dem Engagement von Maurice Cosandey, damals Präsident des Schweizerischen Schulrates (dem heutigen ETH-Rat), konnten die nötigen 100’000 Franken beschafft werden; ein Teil des Geldes stammte vom Schweizerischen Nationalfonds. Das Projekt wurde ausgearbeitet, und eine weltraumtaugliche Apparatur wurde für den Flug STS-9/Spacelab 1 entwickelt (2) . An Board des Shuttles „Columbia“ wurde die Versuchsapparatur schliesslich am 28. November 1983 mit vierjähriger Verspätung in den Weltraum katapultiert (die US-amerikanische Raumfahrtorganisation Nasa führte den Versuch im Auftrag der ESA durch). „Es war aufregend“, sagt Cogoli und gerät ins Schwärmen: „Weil die Nasa uns nicht erlaubte, auf dem Gelände des Kennedy Space Centers die Blutproben abzunehmen, mussten wir uns gegenseitig in einer Mietwohnung in Cocoa Beach das Blut abzapfen.“ Lymphozyten werden nicht aktiviertIm Weltraum verhielten sich die Proben nicht wie erwartet: „Eine aktivierte Kultur von humanen Lymphozyten wächst bei Mikrogravität um weniger als drei Prozent verglichen mit aktivierten Proben auf der Erde“, berichteten die Forscher um Augusto Cogoli in einem aufsehen erregenden Artikel in der Fachzeitschrift Science (3) .
Die Resultate bedeuten: Befinden sich Lymphozyten in der Schwerelosigkeit (korrekt: im Zustand des permanenten freien Falls), werden sie nicht aktiviert; das Immunsystem bleibt (im Reagenzglas) im Weltraum stehen. Der Erfolg des Versuchs war gleichzeitig der Start für die Gruppe Weltraumbiologie, die nun seit zehn Jahren im Technopark eingemietet ist (4) . Die Stimmung in Zürich-West ist speziell; sie ist weniger mit dem Forscherleben auf dem Campus zu vergleichen, eher mit der Aufbruchstimmung bei Spin-Offs der Biotech-Szene. Zusammen mit anderen Unternehmen sind die Weltraumbiologen an der Technoparkstrasse 1 eingemietet; die Labors befinden sich im zweiten Stock. Ganz irdische, normale Labors, in denen farbigen Flaschen mit Aufschriften wie DMSO, Glycerin oder Puffer stehen und Eppendorfer-Pipetten auf dem Tisch liegen. „Das hier ist eine ähnliche Apparatur, wie jene, die wir dem Flug STS-107 mitgaben“, sagt Cogoli. Ein trauriges Ereignis, denn der Shuttle „Columbia“ explodierte am 1. Februar 2003 kurz vor der Landung. Die meisten Daten gingen verloren – ein Verlust von ungefähr einer Million Franken (die zu etwa gleichen Teilen von der ETH Zürich, der Universität Sassari und der Nasa getragen werden). Und ein herber Rückschlag für das Team. Denn nur wenige Monate zuvor – am 15. Oktober 2002 – explodierte eine unbemannte FOTON Rakete 29 Sekunden nach dem Abheben im nordrussischen Weltraumbahnhof Pleszek. An Board: Ein von der Gruppe Weltraumbiologie betreuter Studentenversuch mit dem das Wachstum von Knorpelzellen hätte untersucht werden sollen.
„Seither ist es etwas ruhiger bei uns“, sagt Cogoli. „Aber die Arbeit geht weiter.“ Für den Herbst 2003 ist ein bemannter Sojus-Flug geplant, dem die ETH-Studenten eine neue Versuchsanlage mitgeben, eine Wiederholung des verloren gegangenen Experiments. Auch die Projekte der ESA sollen weiterlaufen. Das zumindest wurde Ende März 2003 am zweiten Internationalen Fachkongress „Fortschritt der Raumfahrtmedizin“ in Berlin betont. Wann allerdings der nächste Flug gestartet wird, ist offen. „Wir hoffen möglichst bald“, sagt Cogoli. Denn seine Industriepartner – zum Beispiel Centerpulse – haben ein grosses Interesse, dass die Resultate der Versuche baldmöglichst vorliegen. Überhaupt, Augusto Cogoli ist zuversichtlich. Im letzten Bulletin der Universität und ETH Zürich schreibt er: „Die ISS wird das orbitale Laboratorium der Zürcher Weltraumbiologen für dieses und das nächstes Jahrzehnt sein. Man kann sie alle paar Tage abends oder morgens als strahlenden Stern von Südwesten nach Nordosten über den Himmel rasen sehen.“
References:
Footnotes:
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