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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.12.2005 06:00

Gespräch mit der Hochschulpfarrerin Friederike Osthof
„Wir sind alle eingeladen“

Junge Studierende sind heute offener für religiöse Themen als frühere Generationen, stellt die Hochschulpfarrerin Friederike Osthof fest. Der Rat der Theologin ist vor allem bei Beziehungsfragen und beim Thema Prüfungsstress gefragt. Friederike Osthof hat in systematischer Theologie doktoriert und wirkt im Hochschulforum der reformierten Kirche Zürich für Uni, ETH und die Fachhochschulen.

Interview: Norbert Staub

Frau Osthof, Weihnachten kann etwas nüchtern ausgedrückt auch als wohl organisierte, kollektive Gefühlseruption bezeichnet werden – schlägt sich das bei Ihnen als Hochschulpfarrerin in den Kontakten mit Angehörigen von Uni und ETH nieder?

Friederike Osthof: Nur indirekt. In den Monaten November und Dezember registriere ich regelmässig eine erhöhte Betriebsamkeit bei den Leuten, eine wohl durch die gehäuften Termine hochgeschraubte Dynamik. Aber dass eine wie auch immer zu definierende „weihnächtliche“ Gefühlslage um sich greifen würde, kann ich nicht bestätigen.

Eine Ihrer Tätigkeiten ist die Beratung von Hochschulangehörigen, vor allem Studierender, bei persönlichen Fragen und Problemen. Mit welchen Anliegen werden Sie am häufigsten konfrontiert?

Viele kommen mit Beziehungsfragen. Häufig geht es um eine Auseinandersetzung mit den familiären Wurzeln - generell gesagt um Adoleszenzthemen, was bei dieser Klientel in den Zwanzigern nicht überrascht. Auf den Punkt gebracht: Wer zu mir kommt, hat meist ein „Gnusch“, bei dessen Entwirrung ich zu helfen versuche. Ein zweiter wichtiger Komplex sind Prüfungen. Oft ist es einfach zuviel Druck und Stoff, was sich die Studierenden zumuten und ihnen zugemutet wird. Oder dann werden Ängste ausgelöst, die auch ins Existentielle kippen können. Ich stelle eine gesellschaftliche Tendenz fest, Menschen, die gewissen Anforderungen nicht genügen, als Problem und nicht als Menschen zu sehen. Das finde ich bedenklich.

Wie sieht Ihre Unterstützung denn konkret aus?

Zunächst höre ich einmal ganz genau zu. Hier werden ja oft vielschichtige, komplexe Probleme an mich herangetragen, und eine möglichst vollständige Auslegeordnung und Orientierung ist der erste Schritt, sie anzugehen. Im Gespräch suche ich dann gemeinsam mit der ratsuchenden Person einen Ansatz, um das Problem in die Hand zu bekommen. Dabei sind keine grandiosen Durchbrüche zu erwarten, sondern kleine Schritte, die hoffentlich weiterführen. Ich sehe mich dabei als Resonanzboden, welcher dem Gegenüber hilft, sich selbst besser zu verstehen. Die Erfahrung zeigt, dass in der Auseinandersetzung zu zweit mit dem Thema die Anspannung der Klienten bald nachlässt.

Das mutet recht psychologisch an. Sie sind aber Theologin. Welche Rolle spielt die Religion bei Ihren Beratungen?

Eine wichtige. Sie bestimmt mein Menschenbild und meine Haltung gegenüber den Leuten, die zu mir kommen. Die Psychologie hat in der Religion immer schon eine grosse Rolle gespielt, weil es in ihr ja um den Menschen geht. Mein Instrumentarium verdankt sich also nicht einer psychologischen Ausbildung, sondern meiner Theologie und meiner Lebenserfahrung, und hat aufgrund letzterer natürlich auch Züge heutigen psychologischen Wissens.

Lässt sich bei der Art und Weise, mit einem persönlichen „Gnusch“ umzugehen, ein Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern feststellen?

Ich meine nein. Es wenden sich ohnehin nur Leute an das Hochschulforum, die voraussetzen, dass wir ihnen Zugang zu einem bestimmten geistigen Raum geben können, der neue, zusätzliche Perspektiven eröffnet. Dazu zählen gerade auch Menschen, die an der ETH studieren und arbeiten. Ein durch und durch „sec“ disponierter Mensch wird sich anders orientieren. Ich habe im Verlauf meiner vierjährigen Tätigkeit übrigens festgestellt, dass die Ressentiments gegenüber der Theologie abnehmen.


Nüchternes, strikt auf Effizienz getrimmtes Studieren hat auch seine Kehrseiten, findet Hochschulpfarrerin Frederike Osthof: Es fördert das Entstehen von Scheuklappen.

Junge Studierende nähern sich religiösen Themen heute offener an, mit weniger ideologischen Vorurteilen. Das ist an den Erstsemestrigen-Veranstaltungen, an welchen das Hochschulforum sich vorstellt, deutlich zu spüren. Skeptisch jedoch sind die jungen Studierenden gegenüber allem, was als „Sekte“ wahrgenommen wird.

Wie stehen Sie als Vertreterin der Landeskirchen zum Phänomen der frei organisierten christlichen Gruppen, von denen es auch an den Hochschulen welche gibt?

Jede Form von geistiger Unfreiheit ist entschieden abzulehnen. An unseren Hochschulen vertreten die Gruppierungen „Campus live“ (1) und VBG (Vereinigte Bibelgruppen (2)) zwar einen anderen Frömmigkeitsstil als wir. Aber ihre Arbeit ist wertvoll, und wir pflegen eine konstruktive, von gegenseitigem Respekt geprägte Zusammenarbeit. So tragen wir den Raum der Stille am Hönggerberg und künftig auch jenen an der Uni gemeinsam. Mein persönlicher Kontakt mit diesen Gruppen ist sehr gut. Es ist möglich, die Unterschiede im Umgang mit dem Glauben ohne ideologische Scheuklappen zu diskutieren.

Zurück zu Ihrer „Klientel“ – stellen Sie bei der heutigen Studierenden-Generation im Unterschied zu früheren weitere Veränderungen fest?

Ja. Ich finde, die Leute studieren heutzutage sehr nüchtern, zielbewusst und effizient. Das Studium wird eher als Job wahrgenommen, und auch nur als ein Teil dessen, was einen beschäftigt. Studieren, das war doch zu meiner Zeit geradezu eine Lebenshaltung. Das vorherrschende Effizienzdenken spart zwar Ressourcen. Doch es erzeugt auch Defizite, und das finde ich schade. Ich denke, nicht rechts und nicht links zu schauen, ist nicht das, was Gesellschaft und Wirtschaft von Leuten mit einem Hochschulabschluss erwarten. Wenn wir hier eine Elite ausbilden, sollte sie nicht nur pragmatisch orientiert, sondern auch inspiriert, wach und offen gegenüber anderem sein.

Wie begegnen Sie persönlich dem Phänomen Weihnachten?

Ich habe mich dieses Jahr für einen Artikel intensiv mit verschiedensten Aspekten von Weihnachten auseinandergesetzt. Besonders angesprochen hat mich das Festliche des Anlasses. Mich überzeugt die Vorstellung von Weihnachten als einem Fest, zu dem wir alle vorbehaltlos eingeladen sind. Ich bin Gast, einfach so – das ist für mich ein wohltuender Kontrapunkt in der hektischen Betriebsamkeit.


Kirchen auf dem Campus

Die schweizerischen Landeskirchen bieten Hochschulangehörigen im Rahmen des aki (www.aki-zh.ch, katholische Hochschulgemeinde) und des reformierten Hochschulforums (www.hochschulforum.ch) eine Vielzahl von Veranstaltungen und Beratungsmöglichkeiten: Gespräche, Kurse, Lektüren, Meditationen, aber auch Reisen und gesellige Anlässe. Dazu gehören zum Beispiel auch die ungefähr im Monatsrhythmus stattfindenden Hochschul-Gottesdienste des Hochschulforums in der Predigerkirche. Diese stehen im aktuellen Semester unter dem Motto "Götterspeise".




Literaturhinweise:
"ETH Life"-Bericht über den "Raum der Stille" in der ETH Hönggerberg: www.ethlife.ethz.ch/articles/news/kirche.html
"ETH Life"-Bericht "Beten an der ETH": www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/betenanderETH.html

Fussnoten:
(1) Zur "Campus live"-Website: www.cfc.ethz.ch/
(2) Website der Vereinigten Bibelgruppen VBG: www.evbg.ch/37.0.html



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