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Rubrik: Tagesberichte |
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Zwischenbilanz: „Wissenschaft kontrovers“ zum sechsten „Wissenschaft ist doch nicht die katholische Kirche“ |
„Problem oder Potential? Grenzen und Chancen der öffentlichen Mitsprache in der Wissenschaft“ – So war der letzte Vortragsabend aus der Reihe „Wissenschaft kontrovers“ in diesem Semester betitelt (1). Ins Audimax der ETH kamen knapp 150 Männer und Frauen. Diskutiert wurde über die Verantwortung und den Dialog mit der Öffentlichkeit. Von Michael Breu „Die Wissenschaft erhebt einen Wahrheitsanspruch, der sich quer stellt zu unserem Denken; Denken und Forschung sind nicht identisch“, sagte Dieter Imboden, ETH-Professor für Umweltphysik und Zukunftsdenker, gestern im Audimax. Mit zwölf Häppchen versuchte er, die Grenzen, das Definieren von Ordnung also, und die Chancen, das Schaffen von Ordnung, einzukreisen und ihre Bedeutung für die Wissenschaft und ihre Macherinnen und Macher zu beschreiben. „Wir müssen den Wissenschaftsbetrieb differenziert analysieren und uns fragen, was wir mit seinen Ergebnissen tun“, sagte er. Denn die Öffentlichkeit, diese „amorphe Masse“, wolle wissen, welche Konsequenzen daraus entstehen. Eine Forderung, die Unterstützung fand von Ernst Buschor, ehemaliger Zürcher Regierungsrat, Alt-Prorektor der Universität St.Gallen und seit Anfang Jahr Vizepräsident des ETH-Rates. Die Wissenschaft habe grosse Bedeutung, doch dürfe sie nie den Absolutheitsanspruch für sich in Anspruch nehmen: „Wissenschaft ist doch nicht die katholische Kirche“. Buschor plädierte für ein „Scientific Governance“, welche ethische Standpunkte in Form von ausformulierten Regeln festlege, ein Controlling ermögliche und wissenschaftliches Fehlverhalten sanktioniere. Allerdings dürfe dies nicht in Form von Gesetzen erfolgen, „die sind nicht flexibel“, sagte der Betriebswirtschaftsprofessor Ernst Buschor.
„Vertrauen gewinnen kann nur, wer den Dialog sucht“, ergänzte Meinrad Eberle, emeritierter ETH-Professor für Verbrennungsmotoren, ehemaliger Direktor des Paul-Scherrer-Instituts und heutiger Projektleiter „Jubiläum 150 Jahre ETH“. Und Matthias Haller, Professor für Versicherungswirtschaft der Universität St.Gallen und Gründer der Stiftung Risiko-Dialog, fand: „Die Öffentlichkeit wird immer Stellung beziehen wollen, darum ist der Dialog entscheidend.“ Als Kommunikationsspezialist bei Risikofragen beobachtet Haller, dass in Diskussionen eine Mehrheit im „sozialpsychologischen Bereich“ argumentiere, die sozialen Einflüsse und das Verhalten also im Vordergrund stünden und nicht die naturwissenschaftlich-technischen Argumente. Als mögliches Zukunftsmodell stellte Haller die Umkehr des Push-Prinzips (Public understanding of Science) vor: das Scientific understanding of the Public. Haller: „Die Grosstechnologieunfälle der 1980er-Jahre stellen den Vorrang der naturwissenschaftlich-technischen Risikoanalyse, aber auch die dahinter stehenden Institutionen in Frage. Die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnisse wird als kontextgebunden und interessenabhängig erlebt. Weniger die Risikoeinschätzung als die Glaubwürdigkeit der Institutionen wird zum Thema der öffentlichen Debatte – bis heute. Wer Mitsprache grundsätzlich will und begrüsst, muss dies alles zum Thema Forschung machen: Nicht bloss das 'Public understanding of Science', sondern ebenso ein 'Scientific understanding of Science' muss eingefordert werden.“
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Ein Spezialist für solche Prozesse ist Rolf Probala, studierter Ethnologe, ehemaliger Fernsehmann und heutiger Kommunikationschef der ETH. In einem fiktiven Brief unter Ethnologen berichtete er vor dem Publikum im Audimax über das Volk Wu, welches den Dialog nicht finde und deshalb eines „Sprach- und Kulturvermittlers“ bedürfe – womit im übertragenen Sinne wohl Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten gemeint sind. Allerdings verstünden nicht alle Vermittler das gleiche unter Dialog, ein weiteres Problem also.
Wie kontrovers die Vermittlung von Wissen (-schaft) aufgefasst wird, zeigte die anschliessende Diskussion im Audimax. Nur schon darüber, wo die Kontroverse beginnt, waren sich die Anwesenden nicht einig. „Unsere Resultate dürfen nicht kontrovers sein, der Weg zu ihnen schon“, meinte etwa Chemie-Nobelpreisträger Richard Ernst. Und Meinrad Eberle gab zu bedenken, dass es kein Projekt gebe, das nicht kontrovers diskutiert wird: „Die Kernenergie wird genauso angegriffen wie die Erforschung erneuerbarer Energien.“ Auch waren sich die Anwesenden keineswegs einig, ob Forschung heute, zweieinhalb Jahre nach Science et Cité, für die Öffentlichkeit ein relevantes Thema darstellt: Barbara Orland, Oberassistentin am ETH-Institut für Geschichte, meinte, dass Forschungsresultate sehr wohl in der Öffentlichkeit diskutiert würden; Webforum-Teilnehmer Markus Habermacher glaubte, das Gegenteil treffe zu, und Ernst Buschor sagte sogar: „Wissenschaft ist heute ein Unthema“.
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Literaturhinweise:
Fussnoten:
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