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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 27.09.2004 06:00

Entwicklung des öffentlichen Verkehrs
Was bringt es dem Kunden?

Seit gut drei Monaten ist Ulrich Weidmann Professor für öffentliche Verkehrssysteme. Im Gespräch mit ETH Life äussert er sich über die Zukunft der Bahn zwischen Liberalisierung und Sparvorgaben und über die Rolle der Verkehrsingenieure als Partner der High-Tech-Forscher.

Von Felix Würsten

Dass sich in diesem Raum vieles um Bahnverkehr dreht, ist unübersehbar. Ein drei Meter langer Gleisplan des Hauptbahnhofs Zürich ziert die Bürowand von Ulrich Weidmann, Professor am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT). (1) "Das ist ein Auszug aus der 'Datenbank fester Anlagen' der SBB", erklärt der Bahnspezialist, der vor drei Monaten die Nachfolge von Heinrich Brändli (2) angetreten hat. "Dank diesem Werkzeug können die Planungs- und Bauprozesse effizienter gestaltet werden. Muss etwa eine Weiche ersetzt werden, dann werden die Informationen aus der Datenbank direkt an die Weichenfabrik übermittelt. Dort wird die Verzweigung dann mitsamt allen Zubehörteilen nach Mass hergestellt."

Markante Produktivitätssteigerung

Das Beispiel illustriert, wie vernetzt die Bahntechnik heute ist. Auch eingefleischte Bahnkunden dürften kaum bemerkt haben, dass sich hinter den Kulissen viel verändert hat. "Die Bahn konnte in den letzten Jahren ihre Produktivität markant verbessern", bestätigt Weidmann. "Das ist eigentlich erstaunlich bei einem immerhin 150-jährigen Verkehrssystem." Ist angesichts der immer stärken Vernetzung eine Liberalisierung ähnlich wie im Telekombereich überhaupt realistisch? "Bei der Infrastruktur hat man eine Monopolsituation, da ist es müssig, über Liberalisierung zu sprechen", erklärt Weidmann. "Beim Güterverkehr hingegen ist die Liberalisierung bereits Realität. Die BLS nimmt zusammen mit der Deutschen Bahn der SBB Marktanteile weg."

Möchte das Verständnis für Zusammenhänge vermitteln: Ulrich Weidmann, Professor für öffentliche Verkehrssysteme. gross

Ganz unproblematisch ist diese Entwicklung nicht. Obwohl die Preise zusammengebrochen sind, konnte die Bahn bis jetzt noch keine wesentlichen Marktanteile gewinnen. Vielmehr findet noch eine Umlagerung zwischen den Anbietern statt. Deshalb werden heute immer mehr Güter über die Lötschberg-Simplon-Achse anstatt die Gotthard-Achse transportiert. Und mit der früheren Inbetriebnahme des Lötschberg-Basistunnels wird sich dieser Trend weiter verstärken. "Vor allem auf der Zufahrtsachse in Olten und Bern ist mit Engpässen zu rechnen", erklärt Weidmann.


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Auf der Lötschbergachse hat der Güterverkehr durch die Liberalisierung stark zugenommen. Im Bild ein Huckepackzug bei Wynigen (BE). (Bilder SBB) gross

Technische Aspekte berücksichtigen

Er als Forscher verfolgt die Liberalisierung mit grossem Interesse. "Uns Verkehrsforscher interessiert das Verhalten des Gesamtsystems. Was bedeutet es beispielsweise für den Unterhalt der Anlagen, wenn man die Spielregeln für den Netzzugang ändert?" Bis jetzt, so Weidmann, werde die Liberalisierung praktisch nur unter ökonomischen Gesichtspunkten diskutiert. Aber die technischen Aspekte sollten nicht vernachlässigt werden. "Die Bahn ist ein träges System, das nicht so schnell reagieren kann wie etwa der Flugverkehr." Weidmann stört sich deshalb auch an der aktuellen Spardiskussion. "Ich habe Verständnis, wenn man auch beim öffentlichen Verkehr den Rotstift ansetzt. Aber man sollte nicht innerhalb eines Jahres die Mittel kürzen, denn das wirkt sich direkt auf die Qualität des Produktes aus. Die Bahn braucht eine gewisse Planungssicherheit, damit sie sich anpassen kann."

Integration als Aufgabe

Gerade das Verständnis für Zusammenhänge und Wechselwirkungen möchte Weidmann seinen Studierenden vermitteln. "Planung, Investition und Betrieb bilden eine Einheit und müssen aufeinander abgestimmt werden. Verkehrsingenieure machen keine High-Tech-Forschung, sondern versuchen, in einer High-Tech-Welt die einzelnen Komponenten zu verbinden." Wie wichtige diese integrierende Funktion ist, hat er als Projektleiter für die Einführung der ETCM-2-Technologie beim Lötschberg-Basistunnel erlebt. "Die Produktentwickler verstehen viel von Technik, aber der Betrieb interessiert sie in der Regel nur am Rand. Das äussert sich etwa darin, dass die Integration der neuen Zugsteuerung in den Betrieb von den Anbietern komplett unterschätzt wurde." Dabei, so Weidmann, sei doch gerade der Betrieb das Entscheidende. "Bei allen technischen Neuerungen lautet die zentrale Frage: was bringt das dem Kunden?"

Fussgänger und Busverkehr als Stiefkinder

Diese Frage stellt Weidmann auch ins Zentrum seiner Forschungstätigkeit. Ihn interessiert beispielsweise, warum Güterzüge – im Gegensatz zu Personenzügen – derart unpünktlich sind. Auch dem Fussgängerverkehr möchte er mehr Aufmerksamkeit schenken. "Das Verhalten von Fussgängern bei Bahnhöfen beispielsweise ist eine schwer fassbare Grösse; deshalb bereitet es auch Mühe, sie in die Verkehrsmodelle zu integrieren." Forschungsbedarf sieht Weidmann auch beim optimalen Einsatz der Verkehrsmittel. "Was wir wollen, ist öffentlicher Verkehr. Die Frage ist: wie erreichen wir das möglichst effizient?" Der Busverkehr in den Städten etwa wird seiner Ansicht nach häufig allzu stiefmütterlich behandelt. Ein konkretes Studienobjekt dazu findet Weidmann übrigens direkt vor seinem Arbeitsplatz. "Ein Anschluss der Science City an das bestehende Tramnetz dürfte wohl zu teuer sein. Aber wir könnten hier ja zeigen, was unter einem zukunftsträchtigen Bussystem konkret zu verstehen ist."


Fussnoten:
(1) Homepage des Instituts: www.ivt.ethz.ch/index
(2) Siehe ETH-Life-Artikel "Prononcierter Praktiker" www.ethlife.ethz.ch/articles/31012004_braendli.html



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