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Publiziert: 01.02.2005 06:01

Interview mit ETH-Professor Urs Meyer zu seiner Kostenberechnung der Verfassung.
„Politiker rechnen nicht!”

Am 27. Februar entscheiden die Stimmbürger von Zürich, ob ihr Kanton nach 136 Jahren eine neue Verfassung (1) erhält. Die Abstimmungsunterlagen wurden letztes Wochenende per Post zugestellt. Die Befürworter argumentieren mit der notwendigen Aktualisierung. Hauptargument der Gegner sind die prophezeiten jährlichen Folgekosten von 1,342 Milliarden. Berechnet hat dies ein ETH-Professor, der für die SVP im Verfassungsrat sitzt. „ETH Life“ befragte Urs Meyer zu den Details seiner Berechnungen. (2)

Von Jakob Lindenmeyer

Herr Meyer, sind Sie nun ein Professor oder ein Politiker?

Urs Meyer: Meine Lebensaufgabe liegt ganz klar hier an der ETH und nicht in der Politik. Ich bin primär engagiert in der Ausbildung von Studierenden und Doktorierenden. In der Politik bin ich ein Quereinsteiger. Vor fünf Jahren wurde ich als Punktesammler auf die Liste gesetzt und bin dann eher zufällig in den Verfassungsrat gewählt worden. Doch dann habe ich mir gesagt: Wenn man schon einen Auftrag vom Volk bekommt, dann mache ich den Job auch grad richtig. Darum habe ich auch alle diese Berechnungen durchgeführt.

Waren Sie denn der Einzige, der nachrechnete?

Meyer: Ja. Und bisher hat noch kaum jemand die Zahlen genauer angeschaut, denn Politiker rechnen nicht. Eine technisch-wissenschaftliche Methodik ist ihnen fremd. Im Verfassungsrat ist man das ganze Projekt denn auch amateurhaft angegangen. Ich bin dort der einzige aktive Professor. Als ich mich mit einem ingenieurmässig-systematischen Vorgehen an die Berechnung der Folgekosten machte, hat dies bei den Politikern einen Kulturschock ausgelöst – auch innerhalb meiner eigenen Partei, der SVP. Dabei habe ich lediglich das Grundwissen der Produkteentwicklung angewendet, wie ich es hier an der ETH den Ingenieurstudenten unterrichte, und damit ein Zukunftsszenario für die nächsten 10 bis 20 Jahre entworfen.

Dachten Sie da nicht etwas zu kurzfristig?

Nein. Über 20 Jahre hinaus lassen sich kaum berechenbare Prognosen erstellen. Bei der Hochrechnung der Kosten rechnete ich sogar eher langfristiger. Die meisten Verfassungsbestimmungen sind aus dem Moment heraus entworfen, da der Verfassungsrat von verschiedenen Berufs-Politikern dominiert wurde. Und Politiker denken grundsätzlich nur bis zu den nächsten Wahlen. Bei der Ausarbeitung einer Verfassung ist dies allerdings viel zu kurz, denn die jetzige musste bisher immerhin 136 Jahre halten.

Regierungsrat Markus Notter erklärte, alle Aufgaben in der neuen Verfassung würden vom Staat heute schon wahrgenommen, es gebe keine Ausweitung der Staatstätigkeit…

Das ist eine unbelegte Behauptung! Regierungsrat Notter hat keine Berechnung, um diese Annahme zu stützen. Dabei hätte der Kanton 40'000 Leute in seiner Verwaltung und auch die notwendige Zeit gehabt, um eine solche Berechnung der Folgekosten zu erstellen, wie ich sie jetzt vorgelegt habe.

Zu Ihrer Kostenberechnung: (2) Für den neuen Artikel KV 46 I zur Staatshaftung erwarten sie Folgekosten von jährlich 10 Millionen. Dabei ist kausale Haftung des Staates bereits seit 36 Jahren im Gesetz (3) geregelt.

Das ist natürlich nicht dasselbe. Die Verfassung hat einen viel längeren Zeithorizont als ein Gesetz. Es ist gefährlich, wenn man einfach alles, was in den Gesetzen steht, unbesehen in die Verfassung übernimmt. Dadurch entsteht ein höherer Grad an Verpflichtungen mit hohen Folgekosten. Durch die Kausalhaftung des Staates haben wir bald Sammelklagen mit Haftungssummen wie in den USA zu befürchten, beispielsweise wegen vereister Trottoirs…

Diese Tendenz besteht ja auch ohne die neue Verfassung. Ein weiteres Beispiel: Aufgrund des neuen Artikels KV 11 III zum Behindertenzugang erwarten sie Mehrkosten von jährlich 67 Millionen. Doch auch diese Aufgabe ist – delegiert durch die Bundesverfassung (BV 8 IV) – bereits in einem Bundesgesetz (4) geregelt…

…aber in der Verfassung ist der Auftrag viel prominenter verankert. Und an je mehr und wichtigeren Orten eine Staatsaufgabe steht, umso stärker wirkt das und umso teurer kommt das den Steuerzahler zu stehen. Die Politik tendiert dazu, öffentliche Aufgaben im Sinne einer Verteuerung auszulegen. Sind die Ausgaben einmal beschlossen, besteht kein Anlass zu sparen, denn es ist ja nicht das eigene Geld, das da ausgegeben wird. Wenn der von Ihnen angesprochene Artikel nun auch noch in der Verfassung steht, wird das von Politikern zum Anlass genommen, noch teurer zu bauen. Dabei baut die öffentliche Hand heute schon um 30 Prozent teurer als Private, nur um möglichst viele Auflagen zu erfüllen.

Die mit Abstand grössten Mehrkosten in Ihrer Berechnung verursacht der neue Artikel KV 11 III zur Geschlechter-Gleichstellung. Dabei kann die Lohngleichheit doch gar nicht strikter geregelt sein als schon heute in der Bundesverfassung (BV 8 III).

Der Unterschied besteht im neuen Anspruch der Frauen auf Förderung der tatsächlichen Gleichstellung in allen Lebensbereichen. Darunter versteht der Verfassungsrat ein „Equal opportunity employment“, wie es in den USA besteht. Die ETH müsste dann bei der Besetzung neuer Professuren gleich viele Frauen wie Männer engagieren. Doch davon ist sie noch weit entfernt. Gesamthaft müssten die Frauensaläre um mehr als zehn Prozent erhöht werden, was beim Kanton Mehrkosten von über einer halben Milliarde pro Jahr verursacht.


Erfinder Urs Meyer neben der von ihm und seinen Studierenden entwickelten Streckspul-Maschine zur Herstellung von technischen Garnen. gross

Zur Detailkritik: Für den neuen Artikel KV 111 II zur Umschulung Erwerbsloser rechnen sie mit jährlich 1’000 Franken für jeden Arbeitslosen. Wieso 1'000?

Diese Schätzung stammt aus meiner praktischen Erfahrung. Unser Institut für Automatisierte Produktion betreut nun schon seit rund fünf Jahren Erwerbslose aus der Arbeitslosenvermittlung. Daraus summierte ich den Aufwand an Weiterbildung, Betreuung und Material, um jemand auf dem Arbeitsmarkt neu zu positionieren auf 10'000 Franken pro Jahr. Für die Hochrechnung nehme ich aber an, dass sich nur jeder zehnte Arbeitslose wirklich eignet für eine solche Weiterbildung.

Ein weiteres Zahlenbeispiel: Für den neuen Artikel KV 104 III zur Förderung des öffentlichen Verkehrs rechnen sie mit jährlich 100 Franken Abo-Verbilligung für jeden Einwohner. Wie kommen sie gerade auf 100 Franken?

Ich musste an eine verständliche Dimension anknüpfen. Da ein Durchschnittsbürger jährlich mehrere hundert Franken für Tickets bezahlt, müsste eine substantielle Verbilligung mindestens 100 Franken betragen.

Diese Begründung scheint mir etwas willkürlich. Haben Sie jemals erwogen, dass ihre Annahmen falsch sein könnten? Dann nützt ja die ganze nachträgliche Rechnerei nichts mehr, sei sie auch noch so korrekt…

Selbstverständlich! Als Ingenieur bin ich es gewohnt, dass jedes meiner Produkte überprüft und nachbearbeitet werden muss. Darum habe ich meine Berechnungen auch erst jetzt offen gelegt, nachdem ich sie zuvor der Kritik aus der eigenen Partei ausgesetzt habe. Natürlich ist die Mehrkosten-Berechnung für jeden einzelnen Artikel immer etwas spekulativ. Aber in der Hochrechnung über alle 145 Artikel hinweg gleichen sich die Schätzfehler der einzelnen Positionen wieder aus.

Was würden Sie denn besser machen an der neuen Verfassung?

Ich würde da nur die minimalen Spielregeln des Staates hineinpacken und nur das Grundsätzliche regeln. Der heutige Entwurf ist viel zu überladen und regelt zu viele Details. Trotzdem fehlen die Visionen und das grosszügige Denken. Wenn man vom 22. Jahrhundert zurückschaut, wird dies wahrlich kein gutes Zeugnis sein für unsere Zeit. Darum fände ich es sinnvoll, wenn der Verfassungsrat Gelegenheit bekäme, nochmals über die Bücher zu gehen, um einige Korrekturen vorzunehmen und insbesondere eine sparsamere Formulierung zu finden.

Rechnen Sie denn mit einer Ablehnung durch das Volk?

Ich rechne mit einem eher zufälligen Ausgang der Volksabstimmung am 27. Februar. Denn primär geht es da gar nicht um die neue Kantonsverfassung. Der Hauptkampf dreht sich um den freigewordenen Sitz im Regierungsrat. Bei der jetzigen Dreier-Konstellation von Kandidaten ist völlig offen, wie die Leute nebenbei noch für die Verfassung stimmen.


Urs Meyer: Erfinder und SVP-Verfassungsrat

Der 62-jährige Zürcher Urs Meyer ist seit 1993 Professor für Textilmaschinen. Nach dem Elektroingenieurstudium an der ETH doktorierte Meyer in Maschinenbau. Danach absolvierte er eine militärische Karriere wo er infanteristische Taktik und Gefechtstechnik unterrichtete. Es folgte der Übertritt in die Industrie, wo Meyer zuletzt als technischer Direktor die Forschung und Entwicklung der Stapelfaser-Spinnmaschinen der Maschinenfabrik Rieter leitete. Meyer ist Inhaber von mehr als 50 Patenten. Seit dem Jahr 2000 sitzt er für die Schweizerische Volkspartei (SVP) im Verfassungsrat des Kantons Zürich. Zu Meyers Hobby gehört das Fliegen mit dem eigenen Akrobatikflugzeug.




Fussnoten:
(1) Entwurf für die neue Zürcher Kantons-Verfassung: www.verfassungsrat.zh.ch/allerlei/verfassungstext_041028.pdf auf der Website des Verfassungsrates: www.verfassungsrat.zh.ch/
(2) Kostenberechnung von Urs Meyer, wonach die neue Verfassung jährliche Mehrkosten von 1,342 Milliarden verursacht: www.svp-zuerich.ch/download/050107staatsaufgaben.pdf
(3) Haftungsgesetz des Kantons Zürich vom 14.9.1969: www.zhlex.zh.ch/Erlass.html?Open&Ordnr=170.1
(4) Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG, SR 151.3): Art. 7: www.admin.ch/ch/d/sr/151_3/a7.html



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