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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
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Publiziert: 22.10.2001 01:00

Impressionen vom neuen Campus Hönggerberg
Wissens-Zentrum oder Ghetto?

Auf Semesterstart betreten Tausende von Studierenden erstmals die neuen Bauten auf dem Hönggerberg. Am ersten November wird die dritte Ausbauetappe offiziell eröffnet. Gründe genug, über die gegensätzlichen Urteile zu berichten, die "Hönggerberg'ler" über ihren neuen Campus fällen.

Von Jakob Lindenmeyer

"Das neue Jerusalem der technischen Wissenschaften" lobt die die Architektur-Zeitschrift "Hochparterre" den neuen Campus. Viele Studierende halten den zweiten Standort der ETH Zürich allerdings für alles andere als einen Wallfahrtsort: "Das ist doch das totale Ghetto hier oben!", flucht beispielsweise die Architektur-Studentin Johanna. Da sie zusätzlich noch in der nahen Studentensiedlung wohnt, sei ihr Kontakt zur Aussenwelt extrem eingeschränkt. Sie lebe nur noch in einer Welt von Studis und Profs. "Der Hönggerberg ist eine hingeklotzte Trabantenstadt, eine von der Umwelt abgeschnittene Insel", ärgert sich auch ihr 25-jähriger Studienkollege Johannes über die langen Anfahrtswege. (Hinweis: Entgegnung auf diese Vorwürfe (1) )

Luxus-Feeling

Eine Mehrheit der befragten Studierenden würde lieber im Stadtzentrum studieren. Doch andere - speziell Mitarbeitende - zeigen sich zufrieden mit dem Standort "im Grünen". Der 28-jährige Vermessungs-Student Tobias Dahinden bekräftigt beispielsweise: "Ich fühl mich wohl hier oben - trotz des langen Anfahrtswegs." Zuerst studierte er Mathematik, doch die Hektik im ETH-Hauptgebäude behagte ihm gar nicht. Am Campus Hönggerberg schätzt Dahinden primär die Nähe zur Natur und die Übersichtlichkeit, die er auch durch den neuen Chemiebau nicht gefährdet sieht. "Der neue Bau sieht sehr luxuriös aus, fast wie eine Grossbank am Paradeplatz", freut er sich über die grosszügige Verwendung edler Materialien wie Marmor und Glas.

Generell begeistern sich viele Befragte für das neue, mit Glassfassaden überzogene Chemie-Gebäude. Die Angestellten loben die hellen und modernen Büros und Labors - trotz ihrer Ringhörigkeit. Die neue Cafeteria wird auf Semesterstart das meist überfüllte Bistro zwar entlasten, aufgrund der Schattenterrasse aber wohl kaum ausstechen können. Gross sind die Erwartungen auch an die neue Mensa. Einige ehemals im Zentrum angesiedelte Chemiker beschwerten sich lautstark über die eingeschränkte Menü-Auswahl und -Qualität an ihrem neuen Arbeitsort Hönggerberg (Details dazu weiter hinten). Auch die Bibliothek, die neu "Infozentrum" heisst, wirkt mit ihrer warmen Holzverkleidung einladend. Doch sei sie viel zu klein geraten und zu laut, beschweren sich regelmässige Benutzer.


Tage der offenen Tür

Der neue Chemie-Bau (1. Phase) in Kürze: Bauzeit: 1997-2001. Hauptnutzfläche: 39'400m2. Zugesprochener Kredit: 597 Mio., tatsächliche Anlagekosten: 486 Mio. Architekten: Mario Campi und Franco Pessina. Speziell innovativ sind das Reinraumcenter "FIRST-Lab" für Mikro- und Nanotechnologie sowie die modulare Laboreinrichtung (Laborvision).

Wer den neuen Campus selbst erkunden will: Am nächsten Wochenende (3./4.Nov.) finden im HCI-Gebäude unter dem Motto "Moleküle verstehen und neue schaffen" jeweils von 10-16 Uhr zwei Tage der offenen Tür statt. Weitere Informationen unter www.chem.ethz.ch/openday/

ETH Life wird am 1. November umab 11:00 die Eröffungsfeier per Video live ins Internet übertragen.




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Abschleifen
Nachtraegliches Abschleifen des allzu rutschigen Granitbodens: "Das kommt uns immer noch billiger als ein einziger Unfall!" gross

Bad in der "Betonpfütze"

Überraschend leise ist es dafür in den mit quadratischen Wasserflächen dekorierten Innenhöfen, die nicht etwa Löschwasser speichern, sondern die Glasfassade spiegeln sollen. Einige Bewohner der neuen Chemie-Bauten hätten allerdings lieber etwas "mehr Grün" gehabt in den Innenhöfen, statt diese "Betonpfützen", wie sie die Teiche abschätzig nennen. Zwei Badenixen nutzten letztere aber an einem heissen Herbsttag bereits für ein kühles Bad. "Strengstens verboten!" Lautet dazu jedoch das Urteil des Hausdienstes, der fürchtet, dass die Schutzfolie reissen und es ins darunter liegende Reinraumcenter tropfen könnte. Neben Badenixen sind auch schwimmende Enten dem Hausdienst ein Gräuel: "Besonders ärgert uns, dass die Leute die Enten auch noch füttern und sie dadurch noch stärker anlocken", meint etwa Hausmeister Urs Bodmer.

Paradies für Skater

Anlocken wird der neue Bau auch eine andere - nicht unbedingt gesuchte - Klientel: Spaziergänger und Skater. Während sich bei Ersteren vor allem die neue Cafeteria zu einem beliebten Ausflugsziel entwickeln könnte, bevorzugen die Skater den Vorplatz mit "polierten" Granitplatten und führten dort auch schon grössere "Skate-Contests" durch. "Die ETH hat einen voll geilen Boden", lobt denn auch der 15-jährige Skater Igor. Ausserdem gebe es viele "Specials" wie Treppen oder Bänke. "Die absolute Einladung an Skater", kommentiert auch der Chemiker Daniel Bierbaum den Vorplatz seines Gebäudes. Halsbrecherische Rollbrett-Sprünge auf Bänke und Informationstafeln verärgern wegen Kratzspuren und Lärmbelästigungen aber Sicherheits- und Hausdienst. "Darum werden wir wie im Zentrum auch auf dem Hönggerberg demnächst ein Amtsverbot gegen die Skater erlassen", meint der Sicherheits-Chef Beat Müller. Mehr dazu am Donnerstag in ETH Life.

"Billiger als ein Unfall"

Auch eine andere Massnahme wird den Skatern ihre Freude am Hönggerberg vergällen, wenn auch unfreiwillig: Wegen akuter Rutschgefahr mussten die ursprünglich glatten Granitplatten wieder aufgeraut werden. Wie schon beim Granitboden im Shop-Ville in den 90-ern, bemerkte man auch auf dem Hönggerberg erst nachträglich, dass die eingebauten Granitplatten trotz SUVA-Prüfung bei Nässe und Eisbildung zu einer Rutschbahn mutieren. "Bis Ostern haben wir darum den neuen Granitboden provisorisch mit Brettern überdeckt", erklärt Projektleiter Martin Moll von der Abteilung Bauten. "Doch auf Semesterstart sind wir dann endlich fertig mit Nachschleifen." Leider verschwindet damit auch der architektonische Effekt der Musterung durch die unterschiedlich geschliffenen Granitplatten. Nicht zuletzt darum hatte sich der Architekt Mario Campi lange gegen die Aufrauung gewehrt. Neben der ästhetischen Einbusse schmerzen vor allem auch die ärgerlichen Mehrkosten, welche der ETH anfallen. Doch der Sicherheits-Chef ist überzeugt: "Das kommt uns immer noch billiger als ein einziger Unfall!"


(res) Typischer Hönggerberg-Wind weht einem entgegen. Das täuscht: Hört man sich bei den bereits im HCI arbeitenden ETH-Angehörigen um, steht das Stimmungsbarometer auf eitel Sonnenschein. Gitta Rechsteiner und Jozefa Vogel-Zurawiew strahlen die Besucher aus der Loge des neuen Gebäudes an. Sie fühlen sich an ihren Arbeitsplätzen sehr wohl, wie sie betonen. Das gleiche Bild im Infozentrum Chemie/Biologie. EDV-Koordinator Martin Brändle zeigt sich begeistert vom durchdachten architektonischen Konzept: Jeder Mitarbeiter ist von jedem Ort aus sichtbar.

Nur strahlende, unkritische Gesichter im Haus? - Nicht ganz. Im G-Stock ist Professor Detlef Günther in der Anorganischen Chemie zu Hause. Er bedauert, dass Forschungs- und Studierendenbereiche so streng voneinander getrennt sind. Ihm fehlt der pulsierende Verkehr auf dem Gang, auch wenn er sich ebenfalls wohl fühlt in seinen vier Wänden. Nur, dass der Architekt soviel Beton ohne Grün planen konnte - das versteht er nicht.




Fussnoten:
(1) Interview mit dem ETH-Vizepräsident Gerhard Schmitt über den neuen Campus Hönggerberg: www.ethlife.ethz.ch/tages/show/SchmittIntervie.html



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