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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 02.11.2004 06:00

Der Spayer von Zürich: Harald Naegeli kommt zurück ins Quartier von ETH und Uni
Der Sprayer ist zurück

In den 1970er-Jahren hielt er Zürich in Atem – mit seiner Spraydose. Schliesslich wurde er zu einer Haftstrafe verurteilt. Nach seinem selbstgesuchten Exil kehrt er nun nach Zürich zurück: Harald Naegeli. Der Künstler setzte in seiner aktiven Phase auch an der ETH seine Zeichen.

Von Michael Breu

Die Zeit heilt alte Wunden nicht. Wer ihn einst hasste, hasst ich noch heute; wer ihn liebte, verehrt ihn noch immer. Die Rede ist von Harald Naegeli, der die Linke von Zürich entzückt und die politisch Rechte empört. Naegeli, der Sprayer von Zürich, ist wieder zurück aus seinem selbstgesuchten Exil in Deutschland. Aber die Wunden, die er geschlagen hat, bluten noch immer – und werden es auch noch lange tun. Ein Zeichen dafür ist der Protest der SVP-Fraktion im Zürcher Kantonsrat gegen die Restauration des Wassergeistes „Undine“ am ehemaligen Physikinstitut und heutigen Deutschen Seminar der Uni Zürich; Alfred Heer, Chef der Parlamentariergruppe, protestiert im Tages-Anzeiger: „Das ist Unfug, total absurd. Der Mann, der die Stadt verschandelt hat, wird glorifiziert.“

Aus bürgerlichem Haus

Ein Blick zurück. Harald Naegeli wird 1939 in Zürich als Sohn einer Künstlerin und eines Psychiaters geboren. Er wächst im Quartier gleich neben dem Unispital auf, besucht in der Zwinglistadt die obligatorischen Schulen und studiert an der Zürcher Kunstgewerbeschule, an der Pariser Ecole des Beaux-Arts sowie am Konservatorium; das Klavierstudium gibt er später auf. Die Gesellschaft behagt dem Sohn aus reichem Familienhaus nicht. Naegeli protestiert gegen den Kapitalismus und setzt Zeichen gegen „das tiefsitzende Unbehagen gegenüber dieser gesellschaftlichen und politischen Situation“: Als „stummer Aufstand, als Aufschrei der Jugend in der Schweiz“ hinterlässt der damals 38-Jährige mehrere Tausend verschiedene Figuren an Hauswänden. Das bringt ihm 1977 den Namen „Sprayer von Zürich“ ein. 1979 wird er von der Polizei gestellt. Doch bevor es zu einer Gerichtsverhandlung kommt, flüchtet Naegeli nach Deutschland. 1982 wird er in Stuttgart beim Sprayen erneut erwischt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Die wiederholte Verurteilung führt in der Schweiz zu einer Verschärfung der 1981 festgesetzten Strafe; Naegeli wird mit internationalem Haftbefehl gesucht und schliesslich 1983 an der Grenze nach Dänemark verhaftet. Ein neues Verfahren wird anberaumt, Naegeli zu einer Strafe von neun Monaten Gefängnis (unbedingt) und einer Geldstrafe von 206'000 Franken verurteilt.

Spontane Utopie in der Tiefgarage der ETH. gross

Inzwischen wird der Fall in ganz Europa publik. Künstler wie Joseph Beuys oder Politiker wie Willy Brandt setzten sich für ihn ein, und die Hamburger Senatorin Helga Schuchardt will Naegeli sogar als „Kulturgut unter den Schutz der Haager Konvention“ stellen. Der Sprayer von Zürich wird schliesslich nach sieben Monaten Haft entlassen; mit der Schweiz will er fortan nichts mehr zu tun haben. Trotzdem kommt er aus seinem Exil in Deutschland immer wieder zurück – zum Beispiel im Februar 1993 für eine Performance im Zürcher Kunsthaus oder für eine Ausstellung in der Graphischen Sammlung der ETH. Auch für einzelne „spontane Stadtverschönerungen“, um mit den Worten Naegelis zu sprechen.

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Harald Naegelis Kunstwerke: Auch heute noch nicht beliebt. gross

Den Hausbesitzern stösst dies sauer auf (dokumentiert wird dies etwa in der Kantonsratsdebatte vom 20. September 1999). Wohl deshalb wird er bei einer seiner nächtlichen Aktionen beim Unispital verprügelt – der Tathergang ist allerdings bis heute noch nicht restlos aufgeklärt, wie die NZZ im Juni 1999 berichtete.

Auch ein Zwischenfall mit dem Hausdienst der ETH ist verbrieft, kann aber nur aus Sicht des Ordnungshüters erzählt werden. Dieser und sein Hund trafen Naegeli in der Garage an, der Hund kläffte, Naegeli erschrak, verlor Brille und Spraydose und flüchtete. Am nächsten Morgen bat Naegeli um die verlorene Brille – und wurde abgeführt.

Der Rebell flüchtet

Das war schliesslich zuviel für den Rebell: Er flüchtete erneut nach Deutschland und sagte allen, die es hören wollten: „Ich meine, die Schweiz ist derart verbiestert und ihre Gesellschaft ist derart verbockt, (…) ich weigere mich sogar, die Sprache zu sprechen. Unter die Schweiz habe ich einen Schlussstrich gezogen.“

Seither sind einige Jahre verstrichen. Naegeli sprayt seine Figuren mittlerweile auf Bademäntel und Bettwäsche, stellt in grossen Galerien und Museen aus (Kunstmuseum Düsseldorf, Staatsgalerie Stuttgart), hat in Köln einen ganzen Totentanz an die Wand gebracht und ist inzwischen Professor an der Thomas-Morus-Akademie in Köln-Benzberg; dem Kapitalismus ist er also nicht mehr abgeneigt. Nun ist er wieder zurück in Zürich. Ende September 2004 befreite er den Wassergeist „Undine“ von seinem Bretterbeschlag (inzwischen ist die Restauration verschoben worden, wie der Tages-Anzeiger berichtete). Nun will er sich wieder im Quartier niederlassen und in einer der vielen Liegenschaften, die seiner Familie gehören, ein eigenes Museum aufbauen. Vielleicht wird er auch wieder einmal an der ETH auftauchen, jener Hochschule, die er am meisten mit seinen „spontanen Utopien“ besprayte; mehr als fünf seiner Strichmännchen sind in der Tiefgarage zu sehen (und wurden teilweise sogar restauriert, wie das Münchner Magazin „Focus“ letzten Sommer schrieb), eines ist auch an der Gloriastrasse erhalten (Elektrotechnik). Genaueres kann man an der ETH über die Figuren allerdings nicht mehr in Erfahrung bringen – weder in der Graphischen Sammlung noch beim Hausdienst.

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P.S.: Der „Wahrnehmung von Graffiti in der Bevölkerung“ war im Oktober 2003 eine Semesterarbeit am Lehrstuhl für Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften der ETH gewidmet. Im Kapitel 1.3 heisst es: „In der Schweiz wurde Harald Naegeli mit seinen Strichmännlein zum Vorreiter der Graffiti-Szene. Als Phantom sprühte er – meist im Schutz der Dunkelheit – rasche Striche auf Gebäude, Brückenpfeiler, Betonwände, was ihm den Namen 'Der Sprayer von Zürich’ einbrachte.“


Literaturhinweise:
„Harald Naegeli. Zeichnungen“ Ausstellungskatalog des Kunstmuseums Düsseldorf und der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart, Düsseldorf 1990
Michael Müller (Hrsg.): „Der Sprayer von Zürich. Solidarität mit Harald Naegeli“, rororo-Verlag, Hamburg 1984
Harald Naegeli: „Mein Revoltieren, mein Sprayen“, Benteli-Verlag, Bern 1979
Betty Grünberg, Hubert Maessen: „Der Sprayer von Zürich. Kölner Totentanz“, Köln 1982



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