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Jubiläumsrückblicke der ETH-Technikgeschichte Männlichkeitsschulen |
Dem eidgenössischen Polytechnikum und dem schweizerischen Offizierskorps werden enge personelle und institutionelle Verflechtungen nachgesagt. Stärker noch als der 1878 eingerichtete Lehrstuhl für Militärwissenschaften erwiesen sich die männerbündisch organisierten Studentenverbindungen und Studentenvereine als vermittelnde Sozialisationsagenturen. Von Monika Burri, Technikgeschichte der ETH Zürich Mit der Zentralisierung der vor 1874 kantonal organisierten Armeen und der damit verbundenen Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht begann sich das Schweizer Militär als staatstragende Sozialisationsinstanz zu etablieren. Die Mobilisierung aller wehrfähigen Männer machte die Armee zu einer geschlechterprägenden Erziehungsanstalt, zu einer Bastion und Brutstätte gesellschaftlich sanktionierter "Männlichkeit". "Das Ziel der soldatischen Erziehung ist Entwicklung männlichen Wesens", hiess es etwa in den Ausbildungszielen des Schweizerischen Militärdepartements, herausgegeben am 27. Februar 1908. Armee als Charakterschule Insbesondere die "Neue Richtung" des Militärdiskurses, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert unter der Federführung von Ulrich Wille durchzusetzen begann, verstand die Armee vorrangig als Charakterschule. Erst körperliche Stählung und exzessive, auf Charakterstärke abzielende "Erziehung" machten aus dem Zivilisten einen "kriegsgenügenden" Mann. Auch wenn, wie etwa das Militärorganisationsgesetz von 1907 zeigt, dem preussisch inspirierten Militarismus durchaus Einhalt geboten wurde, so machte sich im schweizerischen Offizierskorps seit der Jahrhundertwende doch ein markanter Mentalitätswandel bemerkbar. Insbesondere im Dienstverhältnis zwischen Offizieren und Milizen herrschte ein neuartiger Führungsstil, der auf elitäre und autoritäre Befehlsgewalt setzte und in dessen Zusammenhang nicht selten von "Soldatenmisshandlungen" die Rede war. Polytechniker: Begehrte Offiziersanwärter Diesem Paradigmenwechsel in der Führungs- und Verhaltenskultur entsprach eine Veränderung der korpsinternen Sozialstruktur. Konnten sich im 19. Jahrhundert hauptsächlich selbstständige Unternehmer oder auch Landwirte eine Offiziersausrüstung leisten, so mehrten sich seit der Jahrhundertwende akademisch, technisch und kaufmännisch gebildete Jünglinge in den Offiziersrängen. Insbesondere in den Führungsorganen der "armes savantes", den prestigeträchtigen Waffengattungen Artillerie und Genie, waren die Polytechniker bald unter sich.
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Die "Neue Richtung" bevorzugte Offiziersaspiranten mit höherer Schulbildung. Nicht weil wissenschaftliche Zugangsweisen geschätzt wurden, im Gegenteil: Hauptsächlich der elitäre und virile Habitus der korpsstudentisch geschulten Akademiker galt den Militaristen als eine ideale Grundlage der Autoritätsausübung. "Niemals darf man die Eignung zum Offizier nach den Leistungen des Rekruten und nach den Leistungen des Unteroffiziers ausschlaggebend beurteilen. (...) So bleibt als Einziges, dass allgemein sicher festgestellt werden kann und deswegen entscheidend sein muss, ob einer zur Offiziersaubildung zugelassen wird; die genügende Bildung des bildungsfähigen Geistes und die Frage, ob der junge Mann aus einem Milieu hervorgegangen ist, das zu der Annahme berechtigt, er habe die ehrenhafte Gesinnung, die für den Offizier notwendig ist", erläuterte Ulrich Wille 1910 in der von ihm gegründeten "Allgemeinen schweizerischen Militärzeitung" seine "Grundsätze für die Vorschläge zur Offiziersausbildung". Bis zur rituellen Selbstaufgabe Im so genannten "Bierstaat" der Studentenverbindungen fand das Offizierskorps der Jahrhundertwende eine zudienende Sozialisationsagentur. Seit den 1880er hatten sich nicht nur die meisten der ursprünglich parteipolitisch gefärbten schweizerischen Studentenverbindungen, sondern auch viele studentische Vereine sowie akademische Sänger- und Turnerschaften nach deutschem Vorbild in Couleur tragende Burschenschaften verwandelt. Der "Comment", das heisst dasjenige Regelwerk, welches in der Form eines Straf- oder Zivilgesetzbuches den Brauchtum dieser Männerbünde festschrieb, trat in den Vordergrund und mit ihm eine Vielzahl von Kneipen, Kommersen und patriotischen Festen, an welchen insbesondere der Trinkzwang der hierarchisch strukturierten Korporationen gnadenlos durchexerziert wurde. Im Zentrum des Comments stand der Erziehungsgedanke: In einer mehrjährigen, von Entgrenzungs- und Verbindungsritualen geprägten Initiationszeit wurden die Neueintretenden, die so genannten "Füchse", unter der Willkür der älteren Verbindungsmitgliedern zu "Burschen", zu rechtsfähigen Vollmitgliedern, geformt. Als Eintrittspreis in eine Studentenverbindung, die Halt, Orientierung sowie Gewinn bringendes Sozialkapital versprach, mussten die jungen Männer sich in ritueller Selbstüberwindung und Selbstaufgabe üben. Wie im Militär ging es auch in den männerbündischen Studentenorganisationen der Jahrhundertwende nicht um den intellektuellen Austausch von Wissen. Explizites Erziehungsziel war die physische und psychische Konditionierung und die damit einhergehende Züchtung von elitärer und autoritärer "Männlichkeit“. |
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Literaturhinweise:
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