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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Mit leerem Bauch doktorieren? |
Von Luciano Carraro Seit letztem Jahr sind Diskussionen über die Höhe der Doktorandenlöhne an der ETH Zürich in Gang. Kolumnen und Leserbriefe in ETH Life, offene Briefe an den Präsidenten der ETH und sogar die Tagespresse informieren über die Entwicklung. Die Akademische Vereinigung des Mittelbaus an der ETH Zürich (AVETH) reichte bei der Schulleitung eine Petition für höhere Doktorandenlöhne ein, die 1'897 Mal unterschrieben wurde. Diese ihrerseits setzte eine Arbeitsgruppe ein, welche Vorschläge erarbeiten soll. Zur Zeit liegen die Doktorandenlöhne in einer Bandbreite von 30'000 bis 60'000 Franken brutto pro Jahr. Nicht Leben, nur Überleben In einem Diskussionsbeitrag wurden die Löhne für Doktorate an der ETH Zürich mit denjenigen von unqualifiziertem Personal in grossen Ladenketten verglichen. Wer sich mit einem langen und entbehrungsreichen Studium eine gute Qualifikation erarbeitet hat, dürfte sich dadurch wahrlich nicht geschmeichelt fühlen. Die praktische Auswirkung der monetären "Wertschätzung", die DoktorandInnen erfahren müssen, ist, dass es sich mit dem Betrag in Zürich und Umgebung mehr schlecht als recht leben lässt. Es geht hier mehr um ein Überleben der Jahre, die ein Doktorat dauert. Ich möchte fast behaupten, dass sich bereits Maturanden genau fragen müssen, ob die angestrebte Studienrichtung neben der Befriedigung des Wissensdrangs auch eine materielle Zukunft bietet. So gesehen mag die Alternative Doktorat schnell verworfen sein. Heirat als Risiko Trotz dieser Umstände habe ich mich in jugendlichem Übermut noch während des Doktorats zu einer wirklich zweifelhaften Entscheidung hinreissen lassen: ich habe im Alter von 28 Jahren geheiratet, immerhin habe ich ein Menschenrecht dazu.
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Darüberhinaus noch mit einer Frau, die wie ich in Ausbildung steht (ich werde als PhD student bezeichnet) und nur nebenher jobbt. Immerhin können wir als DINKS, dieses Akronym steht für "Double Income No Kids", unsere Lebenshaltungskosten teilen und uns zusammen durchschlagen. Wir stammen beide aus Familien, die es seit eh und je gewohnt sind, jeden Franken zweimal umzudrehen und ohne Luxus zu leben. Falls meine Frau aber schwanger würde, wären wir finanziell am Ende. Bereits heute leben wir von einer kleinen Reserve, die aus Zeiten vor dem Doktorat stammt, und elterlichen Zuwendungen. Verbrieftes Recht auf adäquaten Lebensstandard Wie tief darf der Lohn für bezahlte Arbeit überhaupt sinken? Falls Doktorierende als Arbeitnehmer bezeichnet werden, sollte der "International Covenant on Economic, Social and Cultural Right" der UNO beachtet werden, den die Schweiz 1991 ratifiziert hat. In Artikel 11 wird das Recht der Arbeitnehmer auf "adequate standard of living for himself and his family, including adequate food, clothing and housing" beschrieben.(1) Der Schweizerischen Gewerkschaftsbund fordert gestützt auf statistische Mittelwerte in der Schweiz einen Brutto-Mindestlohn zwischen 3‘050 und 3‘400 Franken für einen einzelnen, erwerbstätigen Erwachsenen.(2) Berücksichtigt man das überdurchschnittliche Preisniveau in Zürich, wären die von der AVETH geforderten 3‘750 Franken Bruttolohn gerade das Existenzminimum. |
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Fussnoten:
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