ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
Print-Version Drucken
Publiziert: 10.01.2001 06:00

Nachlese zu den Nationalen Forschungsschwerpunkten (NFS)
Forschungspolitisches Debakel

von Thomas Bernauer

Wenn der Schweizer Staat 126 Millionen Franken in Aktivitäten der scientific community investiert, erwarten die Steuerzahlenden, dass bei der Auswahl der Forschungsvorhaben Kriterien der wissenschaftlichen Qualität, Verfahrensgerechtigkeit (aber nicht unbedingt Verteilungsgerechtigkeit!) sowie Transparenz oberste Priorität haben.

Im Falle der Nationalen Forschungsschwerpunkte (vgl. ETH Life vom 19. Dezember) wurden die letzten beiden Prinzipien weitgehend ignoriert. Die Pathologie dieses Entscheidungsprozesses lässt sich bei den Gesuchen aus dem sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich (S&G) sehr gut aufzeigen. NaturwissenschaftlerInnen sind eingeladen, aus Ihrer Sicht die folgenden Bemerkungen zu bestätigen, zu widerlegen oder zu ergänzen!

Nach einer auf wissenschaftlichen Kriterien beruhenden Vorselektion wurde in der Endrunde explizit nach forschungspolitischen Kriterien entschieden. Dabei wurden alle S&G-Gesuche, die es in die Endrunde geschafft hatten, abgelehnt. Im Prinzip kann diese Entscheidung sinnvoll sein, insbesondere wenn die wissenschaftliche Qualität von S&G-Anträgen systematisch geringer ist als die Qualität anderer Gesuche und/oder kein gesellschaftlicher Bedarf nach mehr oder inhaltlich anders ausgerichteter S&G-Forschung besteht.

Im vorliegenden Fall ist das Resultat jedoch ein Debakel, nicht nur für die leer ausgegangenen S&G ForscherInnen, sondern auch für die zuständige Bundesrätin, Staatssekretär Kleiber, und den Nationalfonds, die mit ihrer Entscheidung in der scientific community sehr viel Porzellan zerbrochen haben.

Erstens: Anlässlich der Ausschreibung der Forschungsschwerpunkte wurde den S&G ein wichtiger Stellenwert eingeräumt. Richtig erkannt wurde, dass die naturwissenschaftliche Forschung den gesellschaftlichen Wandel beschleunigt, und dass die Sozialwissenschaften zum Verständnis dieses Wandels und seiner Probleme sowie zur Erarbeitung von Lösungen beitragen müssen. Da nun kein einziger S&G-Antrag Erfolg hatte, wurde ein wichtiges, vom Bundesrat formuliertes forschungspolitisches Ziel klar verfehlt.


Zur Person

Thomas Bernauer, geboren 1963 in London, Ontario (Kanada), ist seit April 1999 ausserordentlicher Professor für Internationale Beziehungen am Zentrum für Internationale Studien (CIS) der ETH und Uni Zürich. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören Fragen der internationalen Wirtschafts- und Umweltpolitik sowie der Rüstungskontrolle.




weitermehr

thomas bernauer
Politologe Thomas Bernauer

Zweitens: Bei der wissenschaftlichen Beurteilung schnitten einige S&G Anträge sehr gut ab und drei Gesuche schafften es in die Endrunde, in der 10 von 18 Gesuchen bewilligt wurden. Die summarische Ablehnung aller S&G-Gesuche wurde u.a. mit angeblich ungenügenden Kriterien zur wissenschaftlichen Beurteilung begründet. Wie kann man aufgrund wissenschaftlicher Bewertungen Gesuche zuerst vor-selektieren und dann mit der Begründung ablehnen, dass keine geeigneten wissenschaftlichen Kriterien zur Selektion vorhanden seien? Zudem: Ist es in der S&G-Forschung schwieriger als in den Naturwissenschaften, die Spreu vom Weizen zu trennen? Ich glaube, dass diese Annahme falsch ist.

Drittens: Die Ablehnung aller S&G-Gesuche wurde auch damit begründet, nationale Forschungsschwerpunkte seien vielleicht nicht das ideale Fördermittel für diese Bereiche. War es nötig, die ForscherInnen-Gemeinde hunderte von Mann/Frau-Tagen auf Trab zu halten nur um dies herauszufinden (ohne es in der Praxis getestet zu haben)?

Hätte man diese Erkenntnis nicht auch aus einer Analyse der deutschen Sonderforschungsbereiche, der EU Rahmenprogramme oder der verschiedenen Programme des Schweizerischen Nationalfonds gewinnen können? Vermutlich hätten die Verantwortlichen dabei gemerkt, dass in diesen Förderprogrammen die S&G keineswegs systematisch schlechter abschneiden als die Naturwissenschaften.

Die von Bundesrätin Dreifuss und Staatsekretär Kleiber vorgebrachten Begründungen haben vor allem drei Personengruppen vor den Kopf gestossen: Diejenigen Angestellten des Nationalfonds, die das ganze Verfahren organisiert haben; die in- und ausländischen KollegInnen, die viel Zeit und Energie in ihre Gutachtertätigkeit investiert haben; und schliesslich die ganze S&G-community, welche die von den Entscheidenden formulierten Begründungen als völlig unlogisch und elementaren forschungspolitischen Prinzipien und Zielen widersprechend betrachtet.

Wie lässt sich dieser Scherbenhaufen beseitigen? Erstens sind Bundesrätin Dreifuss und Staatssekretär Kleiber gefordert, eine detaillierte Begründung für ihren Entscheid vorzulegen. Zweitens ist eine gründliche Evaluation des ganzen Entscheidungsverfahrens durch externe Experten und mit Beteiligung der scientific community geboten. Sollte es bei einem Nein zu den S&G-Gesuchen bleiben, muss drittens der Nationalfonds mit Sozial- und Geisteswissenschaftern zusammen bessere Selektionskriterien erarbeiten und mehr Mittel für nicht-programmgebundene Forschung verfügbar machen.




Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!