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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 19.09.2001 06:00

Artefakte und Begriffe III: Kriegsbilder

Von David Gugerli

"Let me show you this!" hatte Norman Schwarzkopf an den Pressekonferenzen während des Zweiten Golfkriegs zu sagen gepflegt. Wir sahen dann jene ausgewählten Bilder aus dem Videosystem einer Smartbomb, die ihren Flug bis kurz vor dem Einschlag ins Ziel selber dokumentierte. Es war diese Selbstreferentialität zerstörerischer Kraft, welche sich im Januar 1991 über Ted Turners Videoschüsseln und Kabelanschlüsse sowie als Kopien der Kopien über die Kanäle aller andern Fernsehstationen (mangels besserer oder auch nur anderer Bilder) weltweit verbreiten liess. Desert Storm schien ein Medienkrieg zu sein, dessen visuelle Nähe zu Videogames und Spielkonsolenerfahrungen unübersehbar war. Bisherige Seherfahrungen konnten damit mühelos mobilisiert werden. Erst später haben uns die Fact Sheets der Air Force darüber aufgeklärt, dass mehr als 90% aller abgeworfenen Bomben keineswegs so smart gewesen seien wie diejenigen, mit denen uns der Medienverbund von intelligenten Waffen und dummen Journalisten suggeriert hatte, es ginge am Golf tatsächlich um chirurgische Eingriffe.

Viel ist in den letzten Tagen über die Symbolik des 11. September nachgedacht und geschrieben worden, insbesondere auch über die Präfiguration der Horror-Szenarien in Politthrillern der cineastischen B- Liga. Es ist aber auch darauf hingewiesen worden, dass die Realität nach einer langen Blütephase postmodernen Bilderfetischismus’ auf dramatische Art die Lufthoheit über Hollywood zurückgewonnen habe. Darin liesse sich die historische Dimension und weltverändernde Wirkung der Anschläge von letzter Woche festmachen. Präzedenzlos sind die Anschläge aber gerade nicht deswegen, weil sie die kranken Hirne Hollywoods so überholten, wie Norman Schwarzkopfs Piloten die Videogames unserer Kids zitiert hatten. Die mediengerechte "Ästhetik der Zerstörung" mit all ihren Filmreferenzen ist nur mehr Kulisse geblieben und als solche problemlos erkennbar. Conditio sine qua non der televisionären Kanalisierung von globaler Aufmerksamkeit, die für die Attentäter kalkulierbar blieb.

Gewiss, es war die hochsymbolische Zerstörung von Höchstwertsymbolen des 20. Jahrhunderts: Der Wolkenkratzer als Extremform architektonischer Stadtentwürfe der Moderne, das düsengetriebene Flugzeug als Standardfaszinosum eines globalisierten Massenverkehrs, New York als Ikone für alle nur erdenkbaren Finanzmarktsuperlative, das Pentagon als grimmiges Administrationszentrum einer amerikanisierten Weltordnung.


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prof david gugerli
David Gugerli

Zum präzedenzlosen, historischen Einschnitt wurden die Anschläge erst durch die zynische Präzision, mit welcher sie eine beispiellose soziotechnische Selbstreferentialität erzeugt haben. Gemeint ist der totale Nihilismus, der dadurch entsteht, dass die selbstverständliche Technik unserer Zeit mit minimalem Aufwand und maximalem Effekt gegen ihre eigenen Hervorbringungen gewendet worden ist. Dies macht den Übergang zur nächsten Normalität so schwierig. Kein politisches Standardverfahren steht zur Verfügung für die Bewältigung der Krise. Selbst deren Extremform, die Kriegserklärung durch den Kongress, scheitert an der Tatsache, dass man keinen Feind benennen kann. Dass Sicherheit offenbar nur mehr in der totalen Paralyse der Normalität durch den Ausnahmezustand gewährleistet ist (Einstellung des zivilen Luftverkehrs, Schliessung der Börsen, Allokation sämtlicher Humanressourcen des Überwachungsapparats auf ein einziges Ziel), zählt zu den unübersehbaren Konsequenzen des 11. September 2001.


Zur Person

Das Label des "Paradiesvogels" trägt er mit Stolz: David Gugerli wurde kürzlich zum ordentlichen Professor für Technikgeschichte an der ETH ernannt - eine Premiere für die Schweiz. Er studierte Allgemeine Geschichte, Literaturgeschichte und Literaturkritik an der Universität Zürich. Nach seiner Promotion 1987 forschte und lehrte er an verschiedenen Universitäten in Europa und Amerika, unter anderem an der Stanford University. 1995 habilitierte sich David Gugerli an der Universität Zürich. Arbeiten zur Geschichte der Visualisierung im wissenschaftlichen Kontext, zum Verhältnis von Kartographie und Nationenbildung im 19. Jahrhundert, zum Diskurs über die Elektrifzierung der Schweiz oder über den Wandel in der Schweizer Kommunikationstechnologie seit 1960 stecken sein breites Forschungsinteresse ab.






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