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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Von Christoph Küffer Die letzten Wochen habe ich im Wald mit dem Sammeln von Blättern verbracht. Diese benutze ich für ein Experiment, bei welchem ich die Abbaugeschwindigkeit von zerfallendem Laub einheimischer und invasiver Arten vergleiche. Gemäss meiner Hypothese werden die invasiven Arten schneller zersetzt als die einheimischen. Falls meine Vermutung zutrifft, könnte dies weit reichende Folgen haben. Wird das Pflanzenmaterial schneller zersetzt, werden mehr Nährstoffe für das Pflanzenwachstum verfügbar. Der Boden wird gedüngt, und die invasiven Arten, welche gut gedüngte Böden bevorzugen, wachsen schneller. Die invasiven Arten würden demnach den Boden für sich optimal herrichten und dadurch ihre weitere Ausbreitung fördern. Soweit die Theorie. Die Arbeit jedoch begann mit dem Sammeln von Blättern. Die Blätter sollten typisch für frisch gefallenes Laub sein. Ich habe zu grüne, zu braune, und zu stark zerfressene oder mit Moosen überwachsene Blätter aussortiert, um dann die restlichen zu Hause zu trocknen. Bis sie beim Betasten die gleiche Brüchigkeit aufwiesen. Darauf habe ich die Blätter auf einheitliche Grösse zerkleinert und, getrennt nach Art, in Stoffnetze eingenäht. Diese Säcklein habe ich an verschiedenen Standorten im Wald, sternförmig angeordnet, in der Streuschicht vergraben. In einigen Monaten werde ich die Säcklein wieder ausgraben, und das verbliebene Pflanzenmaterial wägen.
Kürzlich habe ich ‚Rivers and Tides’, einen Film über den Künstler Andy Goldsworthy, gesehen. Goldsworthy arrangiert Stein, Wasser, Eis, Holz, Blätter, Wurzeln in der Natur zu vergänglichen Skulpturen. Eine mit Holzstücken zusammengenähte Schlange aus Haselblättern treibt spiralförmig in einem Fluss. Ein natürlich in den Fels geschliffenes Wasserloch leuchtet farbig durch darin symmetrisch angeordnete Herbstblätter. Ein aus geschichtetem Holz an den Strand gebauter Kegel wird von der Flut ins Meer getragen und treibt langsam auseinander. Mich haben die Parallelen zwischen der Arbeit von mir und Goldsworthy interessiert. Zunächst, die verspielte Sinnlosigkeit des Tuns. Dann das Sinnliche. Das Ertasten von Blättern, Felsen und feuchter Erde mit blosser Hand. Vor allem aber die Spannung zwischen dem Anspruch, als Betrachter in der Natur zu lesen, und dem aktiven Gestalten von Resultaten. Goldsworthy spricht von der Mühe, etwas zu schaffen, das mühelos ist, während er an einem Stein-Kegel baut, welcher immer wieder in sich zusammenfällt.
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Ein langwieriger Arbeitsprozess sei nötig, um den Stein und das Potential eines Ortes kennen zu lernen. Erst die gezielte Auswahl der Steinbrocken erlaubt den Bau eines stabilen Kegels. Die Skulptur lebt vom Zusammenspiel mit der umgebenden Natur. Auch für ein ökologisches Feldexperiment ist ein solcher Lernprozess nötig. Ich musste zum Beispiel bei der Auswahl der Blätter und Standorte entscheiden, welche Abweichungen von der Norm ich zulasse, um die Resultate nicht durch künstliche Eingriffe zu verfälschen. Gleichzeitig sollen untypische Abweichungen das Experiment nicht gefährden. Dieser Ordnungsprozess ist kreativ, indem er den geplanten Versuchs-Ablauf beeinflusst. Bei der Umsetzung eines Experiments sind viele Fragen offen. Das sinnlich-physische Tun gibt Vertrauen in das gewählte Vorgehen und damit in die späteren Resultate. Ich frage mich, ob die stärksten wissenschaftlichen Überzeugungen eines Forschers nicht eher durch seine persönliche Erfahrungen während der Durchführung von Experimenten geprägt werden, als durch statistisch signifikante Endresultate.
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