ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
Print-Version Drucken
Publiziert: 12.12.2001 06:00

Artefakte und Begriffe VI: Verfahren

Von David Gugerli

Wohl in Vorwegnahme akademischer Lebenswirklichkeit steht im Buch der Bücher folgender berühmte Satz: "Des Büchermachens ist kein Ende, und viel Studieren macht den Leib müde." Für Kolumnisten trifft er glücklicherweise nur halb zu. Denn das Ende der Schreibpflicht ist spätestens beim sechsten Versuchen zum Greifen nah. Ich will keine Sentimentalität aufkommen lassen - trotz eingebauter direkter Feedback-Möglichkeit war eben dieses einigermassen bescheiden. Darüber hinweg tröstet nur die Tatsache, dass Katharina von Salis, die Jeanne d'Arc unter den Kolumnisten, nicht nur Antworten erhalten, sondern auch viel bewegt hat mit dem Hinweis auf einen Missstand an der ETH. Ich erlaube mir, einen zweiten zu nennen: Die zunehmende "polykratische" Unterminierung von Verfahren.

Wir wissen es aus der Theorie, und manche parlamentarischen Demokratien haben es unter Beweis gestellt: Komplexe Entscheidungsprozesse werden mit Vorteil an transparente Verfahren geknüpft.

Nach wie vor macht sich unsere Hochschule diese Vorteile zunutze, in unzähligen Einzelfällen: Vernehmlassungsverfahren zum Leistungsauftrag und zur Leistungsvereinbarung, Wahlvorbereitungsverfahren für die Besetzung von Professuren, Evaluationen von Departementen, Reformprozesse in Studiengängen.


Zur Person

Das Label des "Paradiesvogels" trägt er mit Stolz: David Gugerli wurde kürzlich zum ordentlichen Professor für Technikgeschichte an der ETH ernannt - eine Premiere für die Schweiz. Er studierte Allgemeine Geschichte, Literaturgeschichte und Literaturkritik an der Universität Zürich. Nach seiner Promotion 1987 forschte und lehrte er an verschiedenen Universitäten in Europa und Amerika, unter anderem an der Stanford University. 1995 habilitierte sich David Gugerli an der Universität Zürich. Arbeiten zur Geschichte der Visualisierung im wissenschaftlichen Kontext, zum Verhältnis von Kartographie und Nationenbildung im 19. Jahrhundert, zum Diskurs über die Elektrifzierung der Schweiz oder über den Wandel in der Schweizer Kommunikationstechnologie seit 1960 stecken sein breites Forschungsinteresse ab.




weitermehr

david gugerli
David Gugerli, ETH-Professor für Technikgeschichte.

Stets werden Verfahren dazu genutzt, Entscheidungsprozesse übersichtlicher, vertretbarer und damit legitimer zu machen. Denn Verfahren sind in der Lage, grosse, unübersichtliche Problemlagen in überschaubare Sequenzen aufzuteilen.

Die Zeit, die sie dafür in Anspruch nehmen, ist ihr Vor- und auch ihr Nachteil. Daraus, so scheint mir, entsteht denn auch der Missstand, auf den ich hinweisen möchte: Niemand will auf ein so erfolgreiches Instrument wie die Legitimation durch Verfahren verzichten. Nur: die Zeit, die dafür zur Verfügung steht, wird offensichtlich immer knapper. Manchmal so knapp, dass das Verfahren eigentlich keinen Sinn mehr macht, weil die erforderlichen Informationen von den Beteiligten gar nicht aufgearbeitet werden können.

Der "Konsens" erfolgt dann trotz gegenseitigem Unverständnis. Das gibt niemand gerne zu. Denn wer will sich schon gerne selbst für inkompetent und langsam erklären. Deshalb wird dann, aus Selbstschutz und reiner Verfahrenstreue, aber in Unkenntnis entscheidender Tatsachen, wenigstens minmal mitgearbeitet in einer Weise, die doch nur operative Hektik sein kann.

Das Risiko einer solchen Mitarbeit scheint minimierbar zu sein. Notfalls, so denkt man, sind da ja noch viele andere beteiligt, und die werden schon aufpassen, dass nichts schiefgeht. Wenn aber alle das Gleiche denken, dann werden ungenaue Analysen zur Grundlage für Entscheidungen, die nur mehr scheinbar legitimiert sind. Ich denke, aus solchen Verfahren könnten schnell auch verfahrene Situationen entstehen.




Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!