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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 07.06.2006 06:00

Mehr Mut zu Herzblut

Alexander Zehnder

Scheherazade, die Tochter des Wesirs, will am Leben und die Frau des Königs Shahryar bleiben. Um nicht umgebracht zu werden, beginnt sie, ihm Geschichten zu erzählen, die so spannend sind, dass er unbedingt die Fortsetzungen hören will und sie deshalb am Leben lässt. Nach tausend und einer Nacht hat sie ihm drei Kinder geboren und der König will sie längst nicht mehr ums Leben bringen.

Sind wir nicht alle fasziniert vom Neuen? Das Ende der Geschichte zu kennen, ist die Triebkraft der meisten unserer Gespräche. Bücher fesseln uns, weil wir erst auf den letzten Seiten den Ausgang erfahren, manchmal auch nicht. Dann denken wir weiter, beschäftigen uns mit der Materie. Die Zeitung am Morgen befriedigt unsere Neugier zu erfahren, was in den letzten 24 Stunden in der Welt so geschehen ist. Wissensdurst und der Drang, Neuland zu betreten, ist die Triebfeder für Bildung, ist der Motor unserer Entwicklung. Dass tausend und ein Tag in etwa den Kontakt- und Lernzeiten eines Bachelor- und Masterstudiums zusammen entspricht, ist vielleicht kein Zufall.

Wer möchte nicht etwas Spannendes hören, sich gespannt aufs nächste Mal freuen? Wäre das nicht ein super Studium, den nächsten Tag, die nächste Vorlesung kaum erwarten zu können? Umfragen attestieren den Lehrenden nicht unumschränkt Bewunderung durch die Studierenden. Die Eigenschaft zu fesseln, die Neugier zu wecken und diese auch zu erhalten, scheint nicht bei jedem Dozierenden gleich gut entwickelt zu sein. Muss das so sein, oder ist etwas im Auswahlverfahren falsch?

Forscher werden in starkem Masse aufgrund ihres wissenschaftlichen Leistungsausweises an die Universitäten berufen. Die Lehrerfahrung zählt zwar auch und ist ein Bewertungskriterium, aber selten das einzig Ausschlaggebende. In der weiteren Karriere wird der wissenschaftlichen Produktivität ein grosses Gewicht beigemessen. Dies führt dazu, dass Lehre und vor allem die Einführungsvorlesungen von einigen als unnötige Belastung gesehen werden. Die Universität Chicago wollte Princeton einen Gewinner der Fields-Medaille (einer Art Nobelpreis der Mathematiker) abwerben und bot ihm eine Professur ohne Lehrverpflichtung an. Der Mathematiker wollte von Princeton eine Gegenofferte mit gleichen Bedingungen. Der damalige Präsident Bill Bowen lehnte die Anfrage glatt ab und schrieb: “Princeton würde Sie gerne behalten, es wird aber auch ohne Sie überleben; ohne Professoren, die mit Freude Einführungsvorlesungen halten, hat es aber keine Chance das zu sein, was es heute ist“. Der Mathematiker blieb.


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ETH-Ratspräsident Alexander Zehnder, derzeit auch' ETH Life'-Kolumnist.

Die Forschenden, und vor allem die besten, mit ihrem ausserordentlichen Enthusiasmus für Forschungsgegenstände, für Forschungsgebiete und für neue Erkenntnisse, sind unverzichtbar für die Lehre. Lehrbücher sind da, um Fakten didaktisch sauber darzustellen. Begeisterte Forscher können in Vorlesungen mehr, sie können dem Emotionalen den nötigen Raum geben. Nur bei Ihnen ist wirklich das Herz voll. Auch Studierende wollen Geschichten hören, sie wollen in den Vorlesungen nicht nur intellektuell gefordert, sondern auch in ihrer Neugier und Entdeckerfreude angestachelt werden und an der Begeisterung der Forscher teilhaben können. - Hier ist Nachholbedarf, es bedarf mehr Mut zum Herzblut.


Zur Person

Alexander Zehnder absolvierte das Studium der Naturwissenschaften an der ETH Zürich und war danach während einiger Jahre in Marokko tätig. Später schrieb er an der Eidgenössischen Anstalt für Abwasserreinigung, Wasserversorgung und Gewässerschutz (EAWAG) seine Dissertation. Seine weitere wissenschaftliche Karriere führte ihn als Postdoc an die Universität von Wisconsin, Madison, und als Assistenzprofessor an die Universität Stanford. 1982 folgte er dem Ruf als Professor für Mikrobiologie und Institutsvorsteher an die Landwirtschaftliche Universität Wageningen in den Niederlanden. Von 1992 bis 2004 war er Direktor der EAWAG und Professor für Umweltbiotechnologie an der ETH Zürich. Seit Mitte 2004 ist er Präsident des ETH-Rats.






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